23 | Wahn-Sinn

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Sweet Lover ist gleich Game Over.

Für heute ist es genug. Mir reicht es. Mein Unterbewusstsein spielt mir einfach irgendwelche Streiche, ganz sicher. Aber auch wenn mir das bewusst ist, muss ich mich der Situation jetzt entziehen.

Genau aus diesem Grund schicke ich Myst mit den anderen Gästen raus. Auf ihre Hilfe beim Klarschiff machen, kann ich gut und gerne verzichten. Auf ihr Aber ebenso. Es gelingt mir ausnahmsweise, es im Keim zu ersticken, bevor sie es herausbringen kann. Stattdessen keimt ein wenig Hoffnung in mir, dass ich es doch noch drauf habe.

Lass es einfach stecken, knalle ich ihr nicht an den Kopf – auch wenn ich es gerne wollte –, aber dafür im gleichen Moment wie diesen Gedanken die grüne Eingangstür. Freiheit.

Der letzte Part des Arbeitstages war echt anstrengend genug. Es kommt einem Wy aber gar nicht in die Suppen-Tüte, dass er andere mit seinem Hirnquatsch bestraft und die Bar früher schließt. Pah, so weit kommt es noch. Automatisch habe ich wohl meinen linken Arm rechtwinklig nach oben gezogen und stehe hier nun wie ein Muskelprolet und Möchtegern-Held. Schnell lasse ich ihn wieder sinken – nicht nur, weil dort kein angespannter Bizeps zu sehen ist – und lehne mich gegen die Tür.

Warte mal. Hörst du dir eigentlich zu? Du bist dir dem bewusst?

Was meint mein Ich im Inneren jetzt genau? Bewusst sein, worüber? Ich gehe meinen Monolog noch mal durch ... Ah, stimmt. Wo ich recht habe. Tricks und Streiche meines Unterbewusstseins – kann ich das denn wirklich so genau wissen? Ich stoße mich von der Tür ab und laufe durch die Bar auf und ab. Wie ein Irrer, was mir egal ist.

Vielleicht will mich Myst auch in den Wahn treiben. Das liegt doch viel näher. Vor allem ist es genau das, was ich von Anfang an vermutet habe. Nur rätselhaft, wie sie es zwischendurch schafft, nett zu wirken. Obwohl ... trifft das nicht auch auf Psychopathen oder Soziopathen zu? Kein Plan, die werden immer in eine Kiste geschoben ... Auch wenn ich weiß, dass es da gravierende Unterschiede gibt. Irgendetwas-Pathen halt.

Vielleicht eher die Homöo-Pathen oder die Sym-Pathen. Letztere haben auf jeden Fall den Dreh raus mit dem nett sein. Und Myst damit, mich in einen Zustand vollkommener Verrücktheit zu versetzen. So sehr, dass ich sogar das hinterfrage und auch das für völlig abgefreakt einstufe.

Langsam komme ich selbst nicht mehr mit. Ich bleibe stehen. Was mache ich hier? Schluss jetzt! Deswegen habe ich sie doch mit hinausgeschickt.

Nach ein paar Atemzügen hole ich mir ein leeres Tablett und den Lappen und ... mache sauber. In der Hoffnung, dass es auch mir Klarheit verschafft oder zumindest ein bisschen das Chaos im Inneren ordnet.

Doch das tut es nur geringfügig. Beim Aufräumen entdecke ich die grüne Schürze, die ich ihr übergeben wollte, es aber doch nicht gemacht habe. Als ich sie nun aber wieder an ihren angestammten Platz hänge, frage ich mich, warum ich sie ihr nicht später gereicht habe. Ich wollte ihr und den Fragen entkommen, dann kam das mit dem Lied, aber dennoch gab es sicherlich einen Zeitpunkt, um es zu tun. Insbesondere, weil ich sie damit ärgern wollte. Hat mich noch etwas anderes zurückgehalten?

Ich streife über den robusten Stoff und lasse dann von da aus meine Hand zum Lichtschalter gleiten. Gute Nacht, Sonderbar.

Und kurz darauf liege ich eingehüllt in meinem Bett. Lass uns einfach den Tag beenden, dann fängt ganz schnell ein neuer an. Gute Nacht, Wy.

Und wieder passiert es. Lange vor dem Düdelü wache ich auf. Kein Wunder, so früh, wie du im Bett lagst. Du wirst noch zum richtigen Einsiedler.

Stimmt auch wieder. Auf das Erste bezogen. Aber – immer positiv betrachten – nun kann ich wieder vor der Arbeit zum Steg spazieren gehen. Und das auch noch ganz in Ruhe, wenn mich mein Gefühl zur Zeit nicht trügt.

Mit aller Ruhe der Zwischenwelt im Gepäck schlendere ich los. Vor mir kreuzen zwei Falter meinen Weg, die mich zum Stoppen bringen. Der eine gelb wie das Rapsfeld mit leichten violetten Sprinklern, der andere in einem kräftigen Orangeton mit hellblauen Augen auf den Flügeln. Miteinander harmonierend fliegen sie überquerend den Pfad vor mir entlang. Auch von dem blendenden Sonnenlicht lassen sie sich nicht beirren. Sie führen tänzelnd ihren Weg gemeinsam fort. Wahnsinn.

Nach dieser schönen Begegnung spaziere ich weiter bis zum Steg, setze mich heute aber nicht hin, sondern genieße die Aussicht; für einen Augenblick im Stehen.

Kaum bin ich zurück – hatte ich es richtig im Gefühl – ertönt: »Düdelü.« Doch ihr lieben Leute könnt mich heute nicht nerven. Oh nein. Dafür habe ich bereits einen zu fabelhaften Morgen hinter mir und immer noch Zeit, ehe ich anfange zu arbeiten.

Die restlichen Ansagen ignoriere ich gekonnt, schnappe mir stattdessen meinen Orangensaft, auf den ich seit der Falterbegegnung Lust bekommen habe und begebe mich ins Wohnzimmer.

Am Steg habe ich mir selbst eine Aufgabe gegeben. Vom Sofa aus starre ich die Kommode mit dieser einen Schublade an. Eins möchte ich noch herausfinden, bevor ich in die Bar hinübergehe. Liege ich mit meiner Vermutung richtig? Habe ich es dort verstaut?

In einem Zug leere ich das Glas, stelle es auf dem Untersetzer auf dem Tisch ab und klopfe mir daraufhin auf die Oberschenkel, um mich selbst zu ermutigen.

Jetzt oder nie – also zieh!

Beim Aufziehen des Schubfachs wird mir schummrig. Vor meinen Augen tanzen funkelnde Punkte, die meine Sicht verschleiern. Dieses Kribbeln setzt ein. An meinen Fingerkuppen. Sie fühlen sich an, als würden durch sie unendlich viele Stromstöße jagen. Meine Finger zittern derart doll, dass ich den Griff nicht länger halten kann.

Ain′t no sunshine when he's gone ... It′s not warm when he's away ...

Ich stütze mich blindlings daran ab, um halbwegs sicher auf dem Boden landen zu können. Wer oder was ist das?

Ain′t no sunshine when he's gone ... And this house just ain′t no home ... Ain't no sunshine when he′s gone ... 

SonderbarWhere stories live. Discover now