25 | Weinrote Trauerfliegen

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Ein weiterer Taktik-Move, mit dem sie mich verunsichern, reinlegen, hinhalten oder sonst wie was will?

Zur nervigsten Musik aller Zeiten – dank Riesen-Ohr – dackel ich hinter den Tresen, um ihm und auch den beiden bald Hereinkommenden die Drinks zu mixen. Die Schürze knalle ich in die nächste Ecke.

WTF – Die weinroten Trauerfliegen werden mich niemals kriegen, dachte ich.

Auf dem Weg nach vorne, um Riesen-Ohr seinen Cocktail zu bringen, läuft gerade das nächste Lied an. Ain′t no sunshine when she's gone. It′s not warm when she's away. Ain't no sunshine when she′s gone. And she′s always gone too long. Anytime she's goes away.

Will er mich auch verkackeiern? Als ich ihm sein Glas hinstelle – extra eine Spur zu doll –, warte ich ab, ob er einen Joke loswerden mag oder so. Aber nichts.

»Mal ein bisschen Abwechslung. Ist auch ein guter Song.« Das ist alles, was er sagt, während ich bereits wieder abdampfe.

Ain't No Sunshine für den Arsch.

Hinter mir kommen Clausi und Links-Auge gerade durch die Tür reingeflattert. Da haben die beiden aber tatsächlich erheblich länger gebraucht. Von Myst ist immer noch nichts zu sehen.

I know, I know, I know, I know, I know ... kommt gerade in Dauerschleife ... Was ich eigentlich mag, jedoch ist es so eindringlich, dass ich es nicht ausblenden kann. Genauso die Frage, warum es mich auf einmal beschäftigt, dass es mich beschäftigt, warum Krause-Stirn noch nicht hier ist.

»Hey, ihr beiden. Riesen-Ohr hat mir schon mitgeteilt, dass ihr gleich kommt, deswegen sind eure Drinks bereits fertig«, begrüße ich die beiden so fröhlich, wie es mir möglich ist.

»Du kannst gleich den nächsten Cocktail zubereiten, denn ...« Durch die aufgehende Tür wird Clausi unterbrochen. Sie schneit herein. »Ja, sie wollte ich gerade ankündigen«, ergänzt er.

»Danke trotzdem.« Ich lächle ihm – gefühlt gequält – zu.

Ich wirbel herum, um vor ihr hinter der Theke zu sein. Frau mit einem Ausdruck like Eisschicht im Gesicht läuft nämlich ziemlich hektisch durch die Bar. Erstens will ich nicht, dass sie in mich hineinläuft, zweitens möchte ich meine Zubehöre in Sicherheit wissen und drittens ist sie mir ja eine Begründung schuldig. Irgendwie.

Zwar wollte ich sie nicht als Angestellte, aber durch ihre Aufdringlichkeit habe ich sie ja bekommen. Da kann sie doch nicht einfach kommen und gehen, wie es ihr passt – oder doch? Es gibt wohl Redebedarf.

Bei Myst ist das nichts Neues, es ist wohl übles Treues.

Es – sie – bringt mich in die Verlockung, das Geschirrtuch von meiner Schulter runterzunehmen und wie ein Torero in die Luft zu halten, weil sie derart angedüst kommt.

Noch immer ist mir schleierhaft – neben allem anderen –, warum sie erst jetzt kommt und was mit ihr los ist. Ich kann der Versuchung widerstehen, das Geschirrtuch bleibt an seinem Platz und eine Sekunde später steht sie vor mir.

»Bin da. Beginnen wir«, murmelt sie und dreht sich bereits zum Tresen, um mein Zeug aufzuräumen.

»Krause–, ich meine natürlich Myst?!«

»Ja?« Nun klingt sie wieder so, als wäre alles in bester Ordnung. »Was gibt es?«

»Das wollte ich dich fragen.«

»Ach, ich stand draußen auf dem Pfad und habe nachgedacht.«

Perplex betrachte ich sie. »Echt?«, frage ich nun interessiert nach, denn das könnte bedeuten, dass sie auf ihrem Weg weiterkommt. Was ich wundervoll finde und nicht nur, weil ich sie dann loswerde.

»Mhm«, macht sie als bestätigenden Laut. »Da kam mir eine Frage auf«, lässt sie mich wissen.

Ich hätte es ahnen müssen. Aber es geht ja schließlich um sie, also los. Tue es. Gib dir einen Ruck und frag nach.

»Und was?«

»Sehen wir da draußen das Gleiche?«

»Was?« Was ist das denn für eine Frage – eigentlich eine gute, aber hä? Damit habe ich nun so gar nicht gerechnet.

»Auf dem Weg, da habe ich mich gefragt, ob wir das Gleiche sehen«, wiederholt sie.

»Keine Ahnung. Woher sollen wir das wissen?«, antworte ich, wobei ich innerlich seufze. Der Vibe, der von ihr ausgeht, vermittelt mir nicht unbedingt, dass es nur um sie geht. »Es ist und war doch schon immer das Gleiche mit solchen Fragen. Bei Regen haben viele immer nur den Regen gesehen und dass es trist und grau ist. Andere wiederum sehen die Pfützen und wie viel Spaß sie damit haben können. Wieder andere warten eventuell den Regen ab; darauf, dass die Sonne wieder scheint, um wieder hinausgehen zu können und verschanzen sich so lange. Einige andere warten womöglich auch, aber nicht, weil sie sich so lange nicht hinauswagen, sondern weil beim richtigen Zusammenspiel ein Regenbogen zum Vorschein kommt und sie wissen, dass es diesen ohne Regen nicht geben kann«, gebe ich philosophisch zum Besten, derweil ich auf die grüne Eingangstür starre.

Das war wohl nicht das, was sie meint. Denn als ich sie erneut anschaue, entdecke ich keine Reaktion. Oder ihre Eisschicht-Oberfläche lässt sich inzwischen noch schlechter deuten. Zumindest für mich.

»Aber wenn du eher das meinst, was ich glaube«, füge ich daher an und beginne damit neu. »Ja, ich glaube, wir sehen das Gleiche, können es aber unterschiedlich wahrnehmen.«

Sie läuft am Tresen ein paar Schritte weg und wieder zurück. Augenscheinlich nimmt sie sich etwas Zeit.

»Du akzeptierst also, dass wir hier sind«, interpretiert sie mein Gesagtes offensichtlich. Und ich verstehe endlich, worum es geht.

»Dass wir tot sind.«

»Und, was wäre, wenn du nicht tot wärst?«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Einfach nur theoretisch.«

Damit scheint für sie das Gespräch beendet und ihre Frage geklärt. Sie dreht sich um und in diesem Moment erscheint die grüne Schürze in ihr Blickfeld. Dreisterweise nimmt sie sich die einfach und bindet sich die um. Darin tänzelnd begibt sie sich an die Arbeit. An meine Arbeit.

Mich lässt sie stehen. Links liegen. Mit einem eigenartigen Gefühl verziehe ich mich von der Theke in den vorderen Bereich und setze mich an einen der leeren Tische. An einen, der von keinen anderen Stammgästen besetzt wird.

Bekümmert und alleine. Während sie fröhlich in meiner Bar herumscharwenzelt. 

SonderbarWhere stories live. Discover now