14 | Buchstaben-Sturm

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So ganz bin ich noch – oder dadurch – nicht aus dem Spiel. Mist Myst.

»Aber–«, fängt sie wieder an.

»Myst!« Ich hebe die Hand. Um sie aufzuhalten und gleichzeitig mich selbst wieder zur Ruhe zu bringen. Ich kann es echt nicht leiden, dass sie mich aus der Fassung bringt. »Für heute habe ich wirklich genug.«

Habe ich das echt gesagt? Wollte ich mich nicht beruhigen? War das zu fies? Mist. Erst nachdenken, dann reden.

Ihr kämpferisches Funkeln ist erloschen, stattdessen sehe ich eine Art von Glanz. Enttäuschung? Das Feuer scheint von jetzt auf gleich erstickt worden zu sein, weswegen ich mit mir ringe. Es fühlt sich nicht mal nach einem Punkt für mich an.

»Es steht dir natürlich frei, als Gast zu bleiben. Die Bar ist für jeden da«, stelle ich natürlich klar. Sie nimmt ihre Arme herunter und streift sich das Kleid glatt – was unnötig ist, da es keine Falten aufweist. Unschlüssig bleibt sie stehen, doch ihre Anspannung scheint sich zu legen. »Aber keine Fragen mehr«, füge ich noch hinzu.

Kaum merklich zucken ihre Mundwinkel, als würde sie ein Lächeln unterdrücken. »Heute«, beginnt sie und kommt einen Schritt näher. »Heute keine Fragen mehr.« Dann grinst sie mich schelmisch an.

Ja, ja ... Das habe ich sowieso schon befürchtet, dass sie mich morgen wieder quält.

Ich werde gerettet! Die Sonne geht in Form der aufschwingenden Tür für mich auf. Azur und Marine schlendern herein, hinter ihnen folgen Links-Auge und Riesen-Ohr. Von Clausi aber ist leider nichts zu sehen.

»Zu schade, dass wir unterbrochen werden«, was ich zu einhundert Prozent nicht ernst meine, »aber ich habe nun zu tun.« 

Mit einem Lächeln wende ich mich ab. Ich bereite alles für die verschiedenen Cocktails vor, werfe die ersten Zutaten in den Shaker und Mixer. Derweil beobachte ich, wohin sich Krause-Stirn begibt, um zu erfahren, ob ich für sie auch einen Drink zubereiten werde müssen. Zudem warte ich mit dem Mixen ab, bis mein absolutes Nicht-Lieblingslied beginnt, um davon so wenig wie nötig mitbekommen zu müssen. Krause-Stirn nimmt an einen freien Tisch Platz, abseits der anderen. Wenn man es mal genau nimmt, ist es der Tisch, an dem Clausi sonst sitzt. Vielleicht wartet sie auf ihn.

Peggy Sue wird geliebt und ich schalte den Mixer ein.

Brumm. Brumm. Brumm. Während ich mich auf den metallisch schönen Klang des Mixers oder auch zwischendurch auf das rhythmische Klong des Shakers – je nach Cocktail benutze ich das eine oder andere und eigentlich wäre es völlig egal – fokussiere, schaffe ich es in eine Art Meditation zu gelangen.

Ja, ich liebe meinen Job. Vielleicht auch nur noch heute, ab morgen wird sich bestimmt einiges ändern, aber grundsätzlich tue ich das.

Ich komme mit lauter Menschen in Kontakt, unterstütze sie auf all ihren Pfaden, wenn sie nicht gerade Krause-Stirn heißen ... Obwohl, ich weiß ja nicht, was ihre Aufgabe ist. Nur kann ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen, dass es das ist. Vielleicht sollte ich ab morgen den Spieß umdrehen, auch wenn es so gar nicht meinem Typ entspricht? Ihr alle erdenklich möglichen Fragen stellen und sie damit auf Trab halten. Könnte es sein, dass sie das damit bezweckt? Ich weiß nicht ... Aber wieder weg von Krause-Stirn, dem Mysterium.

Der Flair in dieser Bar, meine – anderen – Gäste, hier möchte ich einfach bleiben. Sie akzeptieren mich. Mit meinem Blödsinn, wofür ich auch Peggy Sue in Kauf nehme, denn sonst hätte ich Riesen-Ohr ja nicht als Gast. Das gibt mir so viel. Auf jeden Fall stehe ich den Tag über gerne hier, um mit ihnen meine Zeit zu verbringen.

Mit einem Lächeln bringe ich ihnen allen ihre Lieblingscocktails an den Tisch, begrüße sie ausgiebig und habe das Gefühl, wieder ganz ich zu sein. Auch mit Krause-Stirn habe ich ganz normale Wörter ausgetauscht: Hey; Lass es dir schmecken; Danke; Bis dann.

Während ich hinter der Bar für Ordnung sorge, mache ich mir Gedanken um Frosty und Ein-Bein. Doch neben der Sorge habe ich auch Hoffnung, dass sie heute oder die Tage den Weg wieder hierher finden. Genauso wundere ich mich, dass Claus noch immer nicht da ist. Das ist wirklich sonderbar.

Sonderbar. Warum eigentlich Sonderbar?, fällt mir Mysts Frage ein.

Ihre Wörter – auch all ihre anderen Fragen – prasseln auf mich nieder wie bei einem unablässigen Regenschauer. Einen, den ich seit – verdammt, woher soll ich das denn jetzt wissen? – irgendwann halt nicht mehr erlebt habe. Zusammen ergeben diese für sich einzelnen winzigen Buchstaben ein ohrenbetäubendes Donnergrollen. Tollende Böen, die mich in die Knie zwingen wollen. Buchstäblich.

Warum eigentlich Sonderbar? Warum ist es nicht sonnenklar?!

Vielleicht wegen der Sonderangebote?! So ein Schwachsinn, doch es war ein Versuch, in meinen gewohnten Manieren dagegen anzukämpfen. Es gibt kein Geld, nichts, was bezahlt werden muss. Meine Beine schlottern. Warum bist du der Barkeeper? Ich bin nicht nur der Barkeeper, auch der Besitzer oder so ähnlich. Und ich weiß, dass ich hinreißend bin und dazu ansehnlich aussehe, aber ist das der Grund? 

Seit wann bist du hier? Warum hast du mehrere Kleidungsstücke? Wann hast du begriffen, dass du tot bist?

Die Wucht der Worte überkommt mich. Der Buchstaben-Sturm hat mich erfasst. 

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