21 | Schimmernde Grenzen

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Ich bin ein Vollidiot.

Ihre Reaktion kann ich allerdings verstehen, nach dem ich so einen riesiggroßen Zirkus bei ihrer Ankunft gemacht habe. Der dennoch nicht unberechtigt war, merke ich mir selbst gedanklich mit erhobenem Zeigefinger an.

»Es behindert mich bei der Arbeit«, antworte ich ausweichend, halbherzig und vollkommen unehrlich. Ich wende mich ein klein wenig ab.

Damit es nicht ganz so dramatisch rüberkommt, lege ich dabei die Schürze auf den nächsten Schrank. Irgendwie hat sie das nicht verdient, aber keine Antwort wäre ja noch bescheidener. Ach Mist! Warum habe ich mich denn heute früh nicht auch umgezogen; mir nicht das Langarmshirt wie sonst übergezogen?

Krause-Stirn mit ihrem Klopfen! Na, dann ist sie ja irgendwie auch selbst schuld. Jaaa-haaa, natüüürlich, schwirrt mir lang gedehnt durch den Schädel, als hätte da irgendetwas einen Sprung bekommen. Wieso nicht, wieso immer ich? Das ist nicht wirklich erbaulich.

»Und wo hast du es dann die ganze Zeit?«, hakt sie nach. So ganz glaubt sie mir wohl noch nicht.

»Ich«, fange ich an, doch muss gleich stoppen. Ich glaube, das kann ich nun wirklich nicht bringen. »Ich habe«, formuliere ich im Geiste schnell um, »es in eine Schublade gelegt«, und hoffe gleichzeitig, mich richtig zu erinnern.

»Wollen wir uns morgen früh an der Tafel treffen und dann zusammen hierhergehen?«

»Nein, danke«, antworte ich prompt.

»Gehst du überhaupt je raus aus der Bar?« Darauf antworte ich nicht. »Du gehst nicht zur Tafel, richtig? Warum?«, bohrt sie weiter nach.

»Weil ich kein Essen brauche.« Okay, der war mehr als schlecht. So richtig grottig ... Aber sie lässt es einfach nicht, provoziert mich dermaßen. Eine kleine Vorwarnung, ab wann die Fragerunde beginnt ... Zu viel verlangt? Ein wahrgewordener Traum wäre das. Dazu wirklich eccellente e fantastico.

Entgegen meiner Befürchtung lässt sie es auf sich beruhen und widmet sich tatsächlich meinem Drink. Das passt so gar nicht zu ihr. Obwohl. Sie ist Myst. Vielleicht ist es ihr Ziel. Na toll. Als sie mir meinen Devil's Blue Eyes in die Hand reicht, schmunzelt sie und ich weiß sofort, dass dieses Spiel noch nicht vorbei ist. Bei welchem Punktestand stehen wir gerade?

»Warum stellst du mir eigentlich so viele Fragen, Myst?«

»Es ist wichtig für mich«, antwortet sie.

»Also dient es deinem Weg?«, interessiert es mich ehrlich, denn dann kann ich mich damit besser anfreunden. Nein, das stimmt nicht, aber eher aushalten vielleicht.

»Ja.«

Ich hebe mein Glas an, was sie dazu veranlasst, ihres in die Hand zu nehmen, damit wir anstoßen können. Und gerade als wir auf unser Wohl trinken wollen, schrillt es los. Dö-dö-dö-dö. Der Alarm. Super Timing.

»Verstecken!«, rufe ich automatisch aus und bemerke erst dann, dass wir ja nur zu dritt sind. Gibt es Stau an der Anzeigetafel oder warum sind Links-Auge und Riesen-Ohr noch nicht da?

»Clausi, entweder du gehst unter den Ecktisch da oder du kommst mit hinter die Bar«, befehle ich. »Myst, du kannst ins Wandversteck oder auch hierbleiben.«

Nachdem sie sich geeinigt haben – ich dachte schon, wir müssen das mittels Schere, Stein, Papier ausknobeln – und wir uns nun alle hinter der Theke befinden, warten wir die letzten zweiundzwanzig Sekunden ab.

»Pst«, macht Myst, woraufhin ich den Zeigefinger als Zeichen zum Stillsein vor meine Lippen halte. Das hatte ich ja wohl klar und deutlich erklärt.

SonderbarWhere stories live. Discover now