8 | Düdelü

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Das hast du dir nur eingebildet! Jetzt komm mal wieder runter. Chill endlich! Da war rein gar nichts. Außer dein Hirngespinst!

Seit gefühlten Stunden laufe ich auf einer imaginären 3-Punkte-Linie hin und her. Von einer Ecke zur anderen. Dadurch umkreise – zur Hälfte, also eher halbumkreise – ich sowohl meine Couch als auch das darüber hängende Bild, mein imaginärer Korb.

Ich bleibe stehen und schaue es an. Ein Bild von einem Korb – und wenn es ein Spazierkorb wäre – wäre passend. Doch es ist nur ein ganz schnödes Landschaftsgemälde.

Die Frage, die mich beschäftigt, ist jedoch: Wer wirft den Ball und wird er versenkt? 

Und noch wichtiger, fällt mir gerade als nächstes ein: Was hätte das zu bedeuten?

Du bist doch echt nicht mehr ganz dicht, Wy.

Da ich gedanklich nicht weiterkomme, gebe ich mir einen Ruck und verlasse das Spielfeld. Mich dabei umsehend, nein, eher darauf lauernd, ob mir die eisblauen Augen begegnen ... 

Doch es passiert nichts. Du hast es dir ja auch einfach eingebildet. Möglich ... Es war ein anstrengender Tag. Vielleicht ... projiziere ich ihren Scheiß lediglich auf mich?, kommt mir der geniale Gedanke im Flur. Wie auch immer. Schluss jetzt. Nun aber wirklich!

Deswegen tue ich das einzig Vernünftige. Ab ins Schlafzimmer. Auf dem Weg dorthin lasse ich die Hüllen fallen, ein ums andere Kleidungsstück segelt zu Boden. Vor dem Bett bin ich nur noch im sogenannten Adamskostüm und lasse mich zugleich augenschließend in die weichen, mich auffangenden Laken fallen.

Gute Nacht Schwellenreich, Port der Ruhe, Grenze zwischen allem.

»Düdelü.« Wie nahezu jeden Morgen weckt mich dieser grausame Ton auf. Die Wirkung hat er definitiv nicht verfehlt. »Wir wünschen einen angenehmen Morgen im Schwellenreich, im Port der Ruhe, an der Grenze zwischen allem.«

Ist die Nacht echt schon vorbei? Ich fühle mich, als wäre ich gerade erst zwischen die Kissen gehüpft ...

»Düdelü«, erklingt es erneut – wie jeden Morgen. Doch heute früh ist meine Zündschnur sehr kurz. »Bitte begebt euch als erstes zu der Anzeigetafel und schaut, wo ihr euch auf eurem Weg befindet. Wir wünschen einen wundervollen Tag.«

Ja, ihr mich auch. Heute ganz besonders. Bevor ich noch schlechte Laune bekomme, die sowieso atypisch für mich wäre, zaubere ich mir ein Lächeln ins Gesicht. Sitzt perfekt – und lachen muss ich auch noch direkt bei dem bekloppten Gedanken.

Beim Aufstehen sammle ich Kleidungsstück Nummer eins auf und die anderen folgen auf dem Weg ins Badezimmer. Das haben wir hier im Schwellenreich zwar nicht mehr nötig, aber ich spritze mir dennoch super gerne Wasser ins Gesicht. Ich fühle mich dadurch erfrischt. Vielleicht ist es auch einfach eine Routine, die ich nicht ablegen will.

Eine Routine hier, eine dort – spült die Sorgen fort. Jippie. 

Der letzte Feinschliff. Jup. Einmal durchgestrubbelt und die Haare sitzen bombe. Man, bin ich froh, dass ich mit einer halbwegs zufriedenstellenden Länge hierher gekommen bin und nicht noch bis ans Ende von dem hier mit irgendwelchen langen Haaren herumkämpfen muss.

Lasset den nächsten Tag beginnen. Auf in die Spiele!

Ein tiefer Atemzug und schwups ist der erste – oder weitere – Schritt für heute auch schon getan. Hinter mir verschließe ich direkt die Tür zu meinem privaten Bereich und ziehe den Vorhang noch zusätzlich davor. Muss ja nicht gleich zu sehen sein.

Prüfend gleitet mein Blick durch die Bar. Ich bin zufrieden mit dem, was ich sehe. Nämlich niemanden. Hah – kleiner Spaß. Alles ordentlich und sauber. Dann schlendere ich durch zum grünen Eingang, um diesen zu öffnen.

Gerade so kann ich mich in Deckung vor der aufschwingenden Tür bringen, denn es platzen bereits Riesen-Ohr, Links-Auge und Clausi herein.

»Immer langsam«, herrsche ich sie an.

»Was ist denn mit dir los? Schlecht geschlafen?«, begrüßt mich Links-Auge auf wundervolle Art und Weise.

»Sehr charmant von dir.«

»Geht doch«, Links-Auge lächelt, »so gefällst du mir schon besser.«

»Ha ha. Ich lache mich tot.« Witzig oder nicht witzig?! Kommt drauf an. »Wie geht es euch denn heute früh?«, möchte ich wissen, wobei ich feststelle, dass einer der drei nicht mehr bei uns steht. Riesen-Ohr hat sich auf direktem Wege zur Jukebox vorbeigemogelt.

»Du bist spät dran«, bemängelt Claus.

»Ihr seid ja heute alle herzallerliebst«, erwidere ich.

Die Begrüßung ist wohl vollzogen, alle haben Platz genommen und warten nun auf ihre Getränke. Zu der Melodie von Peggy Sue trete ich also den Gang zu meinem Arbeitsplatz hinter der Theke an. Links-Auge bekommt einen Wer-Zomb, Riesen-Ohr seine Bloody Virgin und Clausi den Death Valley Ice Tea.

Hinter der Theke spüre ich Clausis Blick auf mir. Er sitzt wieder am Tresen. Zuerst möchte ich jedoch die Cocktails mixen, bevor es ans Eingemachte geht. Egal ob es um ihn oder Myst geht, ich möchte meine volle Konzentration für ihn haben.

Mit jeder Sekunde steigt auch die Nervosität bei mir und inständig hoffe ich, dass er mir Infos zu Myst gibt. Zugleich bekomme ich deswegen ein schlechtes Gewissen, weil ich ihm einen Fortschritt sehnlichst wünsche.

Alle drei Cocktails stelle ich auf ein Tablett und durchquere damit die Bar. Nach und nach überreiche ich sie ihnen und flüstere Links-Auge gleich wieder zu, dass sie bitte die Jukebox mit im Auge behalten soll.

»So«, meine ich zu Claus, als ich bei ihm ankomme. »Hier schon mal dein Death Valley Ice Tea.« Dann umrunde ich den Tresen und stelle mich ihm gegenüber hin. »Schieß los.«

Er beugt sich vor, wodurch der Barhocker ins Wanken gerät. Kurz habe ich Sorge, dass er umkippen wird. Doch es passiert zum Glück nichts weiter. »Keine Sorge, mein Bauch federt gut ab«, sagt er gelassen und zieht dabei seine eine Augenbraue hoch. »Aber echt mal, Wy«, flüstert er, was mich dazu veranlasst, mich ebenfalls zu ihm herunterzubeugen.

»Was ist denn los?«, hake ich nach.

»Die Kleine ... Mit der stimmt irgendetwas nicht.«

»Ward ihr bei der Anzeigetafel gestern?«

»Ja, natürlich. Aber–«

»Hat es nicht geklappt?«, frage ich dazwischen.

»Doch. Aber–«

»Was aber?«

»Verdammt Wy. Das will ich dir doch sagen.« 

SonderbarWhere stories live. Discover now