2 | Gezuckerte Schocks

157 31 153
                                    

»Wo ist das Problem?« Ich blicke zwischen Ein-Bein und Frosty hin und her. Was haben sie nur damit? Erst Riesen-Ohr, jetzt die beiden.

»Feiertage sind eigentlich etwas Besonderes ...«, beginnt Frosty.

»Ja, und wenn jeder Tag ein Feiertag ist oder wir ihn so nennen, wo ist dann das Besondere?«, setzt Ein-Bein Frostys Gedanken fort.

»In Ordnung. Das verstehe ich grundsätzlich.« Ist es möglich, dass ihnen dieses Detail bisher wirklich noch nicht aufgefallen ist? Ich atme tief durch. Nicht durchdrehen! Atmen. »Aber ... Also ... Hm. Wie fange ich an?!« Mist, wie soll ich bloß beginnen?

»Welcher Wochentag ist heute?«, fragt Riesen-Ohr unvermittelt aus dem Off. Dabei habe ich nicht mal damit gerechnet, dass er etwas von unserem Gespräch mitbekommt.

Verwirrt – zugleich dankbar – nicke ich ihm zu, wende mich dann jedoch wieder den beiden zu. Sie schauen an mir vorbei und betrachten Riesen-Ohr ebenfalls. In ihrem Blick sehe ich Verwunderung oder eher Verblüffung? Weil er sich eingeklinkt hat oder weil es bei ihnen Klick macht?

Wie in Zeitlupe drehen sie ihre Köpfe gemeinsam nach rechts, bis ihre Augen meine treffen. Sie scheinen nach einer Antwort zu suchen, doch ich bin nicht derjenige, der Lösungen vorgibt. Wenn, dann helfe ich dabei.

Es kehrt eine unangenehme Stille ein, in der selbst mir unwohl wird. Eine Hauruck-Aktion ist hier nicht angebracht. Mag ich aber eigentlich gerne ... Nee ... Also warte ich ab, bleibe stehen. Ob die beiden sich schon vorher – im Leben – gekannt haben oder sind sie sich erst hier begegnet? Abgesehen von der Gemeinsamkeit ihrer roten Haare wirken sie sehr vertraut.

»Mir wird es zu kalt, ich gehe wieder«, lässt Frosty uns wissen und steht schon auf. Auch Ein-Bein erhebt sich und folgt ihm nach draußen durch die grüne Tür, durch die sie erst hineingekommen sind.

Sie schauen nicht noch einmal her. Zurück bleibt lediglich ein eisiger Windhauch, der ein Kontrast zu den sonst immer gleichen vorherrschenden – schön warm, aber nicht zu warm – Temperaturen darstellt. Der Luftzug kringelt sich in meinem Nacken. Schauerlich.

Starr blicke ich nun auf den freigewordenen Tisch, ihrem angestammten Platz. An dem noch immer die nicht angerührten Cocktails der beiden stehen. Die Eiswürfel sind fast geschmolzen. Nur kleine Splitter dieser, welche oben auf dem Getränk schwimmen, zeugen noch von ihnen. Der Tisch und die Sitzbänke, die ebenso aus dem rot-braunen Mahagoniholz angefertigt sind wie die Theke, sehen unberührt aus – und verlassen.

Mit einem Ruck reiße ich mich von dem Anblick los und schaue erneut nach links zur Tür. Traurig stelle ich fest, dass sie bestimmt nicht wiederkommen, nicht heute. Vielleicht dafür morgen – mit weniger Sorgen ...

»Sie haben es verstanden«, teilt mir Riesen-Ohr mit.

»Das denke ich auch«, murmele ich eher vor mich hin. Ich hoffe nur, sie kommen wieder, damit ich weiß, dass es ihnen gut geht. Riesen-Ohrs Worte haben mir jedoch den nötigen Schubs gegeben, um mich in Bewegung setzen zu können.

Ich schaue mich um. Zwei weitere Alteingesessene sind in der Zwischenzeit eingetrudelt, deren Begrüßung ich nun erwidere. Azur und Marine. Ruhige Gesellschaft. Ich hebe die zwei verlassenen Getränke in die Luft, sodass sie diese sehen können. Sie geben mir zu verstehen, dass sie sie annehmen.

Auf dem Weg zu den beiden klopfe ich Riesen-Ohr anerkennend und dankbar auf die Schulter, was er mit einem milden Lächeln beantwortet. Dabei fällt mir ein weiteres Mal auf, wie er nicht nur Freude an Peggy Sue zu haben scheint, sondern auch als stiller Beobachter und Teilnehmer in der Bar. Ebenso erfreut es ihn offensichtlich, Links-Auge beim akribischen Abwägen der nächsten Lieder zu betrachten.

Ich setze meinen Weg fort zu den beiden, die gerade angekommen sind. »Hey, ihr beiden«, begrüße ich sie, als ich die zwei Getränke auf dem Tisch abstelle. »Und danke euch.« Dass die Unterhaltung derart kurz mit ihnen ausfällt, werden sie verstehen. Clausi sitzt nämlich noch immer am Tresen.

»Kein Problem, Wy. Mach dir keine Gedanken darum.«

Dankbar lächelnd gehe ich weiter. Vielleicht möchte Claus doch noch reden? Am Tresen zu sitzen, kann immer bedeuten, dass es Gesprächsbedarf gibt.

Ich umrunde die Längsseite des Tresens, bleibe dort kurz stehen und betrachte Claus. Er schaut so traurig, nein, vielmehr verzweifelt aus.

Langsamen Schrittes bewege ich mich auf ihn zu. Beziehungsweise gehe ich an dem Tresen lang und tue so, als ob ich nach etwas gucke, was ich nicht finden kann. Von ihm kommt nichts. Auch wenn ich gerade nicht viel zu tun habe, erledige ich die paar Dinge, die es gibt, um in Clausis Nähe zu bleiben. Es kommt noch immer nichts. Auch sein Drink ist noch nicht leer.

Ich beschließe, mir selbst einen Drink zu mixen. Mit dem Glas in der Hand lehne ich mich hinten am Schrank an. Alkohol?, erinnere ich mich amüsierend an die Frage eines Durchgangsgastes vor Kurzem. Hah. Nein, so ein Teufelszeug gibt es bei mir nicht. Auch so beduselt dieses Zeug ordentlich. Dann wurden die Augenbrauen in Szene gesetzt: Bei und an mir gibt es höchstens Zuckerschocks.

Und natürlich gesüßte Drinks, die mixe ich jedem mit links.

Ich schwenke ein wenig die Flüssigkeit im Glas hin und her und nehme dann einen kräftigen Schluck des guten Gemischs. Was ist heute nur für ein Tag?

»Peggy Sue ist los.« 

SonderbarOnde histórias criam vida. Descubra agora