4 | Was darf es sein?

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Mal wieder eine Frau ... Wenn ich nicht gerade dazu verdammt wäre, leise zu sein, würde ich ganz bewusst und ziemlich gewollt laut aufstöhnen und dabei so richtig wehleidig sein. 

Nicht, dass ich was gegen Frauen habe, so an sich. Nein. Und ich meine auch nicht, dass alle Frauen ständig am Jammern sind. Quatsch mit Sauce Hollandaise. Hm, da hätte ich mal wieder Appetit drauf. Und ich befürchte auch keine Entstehung einer Frauenpower. Nein, so ein Humbug, das ist es auch nicht.

Aber könnte nicht mal ein schnuckeliger Typ reinschneien? Einen, den ich den Tag über anschmachten könnte?

Immerhin – das muss ich ihr zu Gute halten – ist sie nicht schimmernd. Ganz klar ein Neuankömmling in unserer schönen Welt. Ich recke mich und mache mich bereit. Clausi zeige ich den Daumen hoch, woraufhin wir uns bedächtig mit vorgetäuschten Utensilien erheben, er mit zwei Flaschen Wasser und ich habe eine Packung Ketchup in der Hand – wieso lag die denn da? Die lasse ich gleich wieder fallen. Brauche ich nicht.

Viele Schritte hat sie noch nicht hineingewagt, vielleicht zwei oder drei. Obgleich die Bar nicht sonderlich groß ist, kann ich mir noch kein genaues Bild von ihr machen. Aber die gerunzelte Stirn fällt mir auf. Sie hat wohl etwas anderes erwartet. Kommt sie aus einer hippen Stadt, in der es solch urige Bars nicht mehr gibt? Es hat aber auch etwas Faszinierendes. Die dabei zuckende Nase und die leicht hüpfenden, dünnen, sehr hellen Haare an der Stirn.

Krause-Stirn – vorerst mein Entwurfsspitzname für sie – blickt verwirrt um sich und nun auch uns an.

Ich wende meinen Blick von ihr zu Claus. »Danke für deine Hilfe, Clausi.« Mit einem übertriebenen Zwinkern lasse ich ihn an mir vorbeigehen. Und dann – weil ich es einfach witzig finde – mache ich eine Blowjob-Geste.

Clausi schlendert mit hochrotem Kopf auf die andere Seite des Tresens. Liebend gerne – darauf wette ich – würde er mir eine knallen. In der richtigen Situation und vielleicht auch Position hätte ich nicht mal was dagegen.

Jetzt ist aber erst einmal Showtime angesagt!

»Was darf es für dich sein? Kein Bier, Schnaps oder Wein. Alkohol ist hier definitiv tabu, alles andere zaubere ich dir im Nu«, widme ich mich Krause-Stirn und starte meinen Auftritt.

»Eine Bloody Mary? Oder doch lieber einen Death On The Beach?«, frage ich drauf los, wobei meine Arme über die Theke schweifen lasse. »Warte, warte. Sag es nicht. Ich bin ein schlauer Wicht.«

Ich lege meinen Daumen unter das Kinn und meinen Zeigefinger auf die obere Lippe und tippe darauf herum. Meine typische Denkerpose. Meine Augen lasse ich dabei umherflirren. Doch es täuscht, ich sehe sie dabei nach wie vor. Glasklar – wie ihre intensiven blauen Augen. Und was für Augen. Heftig.

Eine Erwiderung lässt auf sich warten. Leicht angespannt fixiert sie mich. Wie kann sie nicht darauf anspringen; es nicht gut finden? Pah. Weiter geht es.

»Vielleicht eher einen Tequila Sunset oder einen Dark Sling? Hm, nein. Das scheint es auch nicht zu sein«, gebe ich von mir, sie nun nicht mehr taxierend. Dafür spüre ich nun umso deutlicher, dass ihr stechender Blick mich durchbohrt.

Wieder überlege ich ... Das ist es! Nach kurzem Überlegen fällt mir der perfekte Cocktail für sie ein. Wenn es nicht der ist, weiß ich auch nicht. So passend. Mysteriös, rätselhaft – wie sie eben. »Ich denke, ich habe es. Wie wäre es mit einem Hidden Fall

Die anderen sind in der Zwischenzeit klangheimlich an ihre Plätze zurückgekehrt, von denen aus sie uns beobachten. In der Luft spüre ich die beklemmende Atmosphäre. Und sie sagt noch immer nichts. Bisher kam meine Begrüßung immer gut an, es wurde angestoßen, der Teil mit der Zwischenwelt konnte schnell abgehakt werden ... Und die Person ankommen. Aber sie ist mir ein Rätsel.

Sie ist nicht schimmernd. Also auch keine Vorübergehende. Sie gehört hierher, aber irgendetwas stimmt hier nicht.

»Soll ich–« Ach du Schreck! Da will ich gerade fragen, ob ich noch einmal von vorne beginnen soll, und sie wagt sich todesmutig weiter vor. Nicht das ist das Schlimme, sondern was zum Vorschein kommt. Nein, ich meine vielmehr, was eben nicht zum Vorschein kommt.

»Wo ist dein Armband?« Wenn sie das nicht hat, war sie auch nicht bei den Oberen ... Das heißt, sie dürfte noch gar nicht hier in der Bar sein. Was ist da falsch gelaufen?

Kann dieser Tag denn noch katastrophaler werden?

Und kann sie bitte endlich mal reagieren? Please, bitte, s'il te plaît ... Wobei Sprachen sind ja hier völlig egal. Das funktioniert einfach. Wie? Keine Ahnung, interessiert mich nicht. Das wissen sicherlich die Oberen mit ihren Systemen.

»Krause-Stirn, magst du mir in irgendeiner Weise eine Reaktion geben?«, spreche ich sie erneut an.

Sie macht eine halbe Drehung – ohne sich einen Millimeter zu bewegen – und guckt mich direkt an. Wohlgemerkt mit gekrauster Stirn. »Myst!«

»Wie bitte?« Auch wenn ich sie darum gebeten habe, bin ich völlig überrumpelt, ihre Stimme zu hören.

»Myst«, wiederholt sie mit Nachdruck. »Nicht Krause-Stirn.«

»Ui, das passt ja sogar wie die Faust aufs Auge.«

Ihr Blick daraufhin könnte alles bedeuten, aber am wahrscheinlichsten soll er wohl aussagen, dass sie mir eine verpassen wollen würde. Ich denke, wir werden noch warm miteinander.

»Und?«, hake ich nach.

»Was und?«

»Das Armband?«, erinnere ich sie.

»Hat mir keiner etwas von gesagt.«

»Wie bist du hierher gekommen?«

»Durch die Tür.«

Von schüchtern bis abwehrend – ihre Stimmlage verändert sich drastisch. Will sie mich wahnsinnig machen? Hält sie mich für bescheuert? »Und davor, wo warst du davor?«, versuche ich so ruhig wie möglich nachzufragen.

»Bei den Oberen.«

Sie war bei ihnen, hat aber kein Armband?! Das verstehe ich nicht. Ein Blick zu den anderen genügt mir, um zu wissen, dass sie es genauso wenig kapieren. »Du hast kein Armband, warst aber bei den Oberen? Aber du weißt über alles Wichtige Bescheid?«

»Das sind komplexe Fragen«, weicht sie aus.

Jetzt passiert es doch. Ich seufze laut aus. Sie nervt mich. Sie ist anstrengend. Ich habe keine Lust mehr. Nicht mehr heute. Ich streiche mir durch das Gesicht.

»Was meinst du mit wichtig?«, fragt sie nach.

»Kennst du die Anzeigetafel?«

Sie dreht sich um. Ich folge ihrem Blick, der den Bildschirm für den Countdown als Ziel hat, sie zeigt dorthin.

»Nein, die meine ich nicht. Ich meine die, auf die du jeden Tag schauen sollst. Ich meine die, die dir deinen Bereich, deinen Weg und alles andere für dich anzeigt.«

Sie schüttelt mit dem Kopf.

»Dir wurde also mit das Wichtigste nicht gezeigt? Hm. Aber bei den Oberen warst du?«, versichere ich mich abermals.

Krause-Stirn alias Myst nickt. Das ist merkwürdig. Und ich verstehe es nicht. Und vor allem Letzteres mag ich gar nicht. 

SonderbarWhere stories live. Discover now