11 | Ich freue mich ... nicht

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So lässt es sich leben. Das Gedudel der Jukebox blende ich mehr oder weniger aus. Meine Gedanken haben dafür freie Bahn. 

In Fokus rückt Riesen-Ohr. Riesen-Ohr und seine Traurigkeit, die er meint mit Peggy Sue zu kompensieren. Mhm. Doch irgendwie, so absurd ich sie auch gleichzeitig finde, ist diese abstruse Leidenschaft und Hingabe für Peggy Sue auch faszinierend. Ob er dieses Lied jemandem im Leben vorgesungen hat oder es mit jemanden Bedeutsamen verbindet?

Loslassen ist eine der schwierigsten Phasen beim Trauern sowie Sterben – und auch hier im Schwellenreich. Nicht alle, aber einige ›müssen‹ den Pfad der Phasen hier begehen. Andere haben ihn schon hinter sich.

Mich hält nichts mehr außer ich mich selbst.

Woher allerdings gestern diese Eingebung mit dem Basketball kam? Keine Ahnung. Diesen Sport habe ich nie ausgeübt. Komisch. Jeder kennt wohl die 3-Punkte-Linie – wenigstens die meisten –, aber gleich daran zu denken, nur weil ich einen Halbkreis laufe? Merkwürdig.

Da verbinde ich doch um einiges mehr mit dem Steg. Die Füße in ein Naturgewässer zu halten ... Den Frühling zu genießen ... Das ist schon viel mehr meins. Wanderungen in der Natur, am liebsten eine Rast an einem Fluss, einem Bach oder wenn möglich auch einem Wasserfall zu machen – das war das Größte für mich. Daher: Warum sollte ich von hier weg, wo ich doch meine kleine Oase auch hier gefunden habe?

Zudem habe ich meine Aufgabe zu erfüllen. Ich bin der Zuhörer, Spaßmacher, Unterstützer – der unübertreffliche Barkeeper. Der, dem gerade ein unwiderstehliches Lächeln auf den Lippen liegt.

Eine Hand auf meiner rechten Schulter lässt mich aufschrecken. »Was habe ich verpasst?«, entfleucht direkt meinem Mund und ich springe aufgescheucht hoch.

»Nichts, Wy.« Azurs rundliches Gesicht blickt mir entgegen. Mit ihren grünen Augen, die mich an prachtvolle und gesättigte Wälder erinnern. »Wir sind nur gerade rein gekommen.«

»Gerade eben?«, frage ich dümmlich nach. »Hey Marine«, begrüße ich auch sie.

»Ja, beruhig dich. Wir wollen ja nicht, dass du noch einen Herzkasper bekommst«, witzelt sie und zwinkert mir zu.

Ich tippe mir auf die Nase und zeige dann auf sie. »Touché.«

Mich selbst motivierend, in dem ich mir auf die Oberschenkel klopfe, stehe ich auf und begebe mich zur Theke.

Trotz der blauen Kleidung – was sie wohl gerade getrieben hatten? – strahlen sie voller Wärme füreinander. Die beiden sind nach wie vor eine Einheit. Ein wenig sehnsuchtsvoll – vielleicht mit einem Hauch Neid – beobachte ich sie vom Tresen aus, während ich ihre Cocktails mixe. Über den Tod hinaus sind sie beisammen ... Auch das gleichmäßige Häckselbrummen des Mixers, den ich nun wieder verwende, kann mich nicht vom Schmachten abhalten.

Etwas anderes schiebt sich in das Bild. Wohl eher jemand. Sie. Krause-Stirn. Sie schafft es im Gegensatz zum Mixer dazu schon, mich von den beiden Turteltauben abzulenken.

Es ist deine Aufgabe. Es ist deine Pflicht. Bleib ganz ruhig. Vielleicht ...

Nein, im Gegensatz zu meinen hoffnungsvollen Gedanken setzt sie sich an den Tresen. Verflucht. Ich blicke herab. Zuerst werde ich Azur und Marine ihre Bloody Kisses servieren. Dafür rücke ich zwei Gläser zurecht und gieße die Cocktails ein. Fest entschlossen an Krause-Stirn vorbeizugehen, nehme ich das befüllte Tablett in die Hand.

»Wie verläuft denn bei dir jeder Tag?«, spricht sie mich beim Vorbeigehen an. Ich versuche es zu ignorieren, es mir nicht anmerken zu lassen, dass sie mich stört, und gehe weiter.

Azur und Marine haben mitbekommen, dass ich jemanden am Tresen sitzen habe und verwickeln mich daher – leider – gar nicht erst in ein Gespräch.

Zurück hinter dem Tresen redet sie weiter. »Wy, ich bin keine Vorübergehende.«

Verwirrt schaue ich sie an.

»Du ignorierst mich.«

»Ich hatte gerade noch meine Gäste zu bedienen. Tut mir leid, dass du kurz warten musstest.« Warum bringt sie so eine Unruhe hier rein?

»Verstehe.«

Ist das so?, hätte ich beinahe laut gefragt, ich kann mich gerade noch beherrschen. Sie ist neu, gerade erst angekommen und hatte einen schlechten – einen skurrilen – Start. Warum bist du so hart zu ihr? 

»Und?«, hakt sie nach.

Als Reaktion ziehe ich meine eine Augenbraue hoch.

»Dein Tagesablauf.«

»Ist meiner und läuft.«

»Echt jetzt?«

»Ja, echt jetzt«, erwidere ich leicht genervt. »So wie bei jedem anderen auch. Abhängig von der Sonne, dem Düdelü und irgendwie signalisiert unser Körper unseren Rhythmus.«

»Wy, komm schon.«

»Unsere Frage-Antwort-Runde hatten wir schon. Morgen dann wieder und ich freue mich schon seeeehr.« Hoffentlich hat sie den ironischen Ton heraushören können.

»Ich freue mich auch auf morgen. Ich bin deine neue Aushilfe!«, jubelt sie.

Vor Schreck lasse ich das leere Tablett fallen, was ich noch immer in der Hand halte ... gehalten habe. Was?! Nein! Auf keinen Fall.

Durchatmen. Noch mal. Und noch einmal. Besser noch mal wiederholen. 

»Ich kann mich nicht daran erinnern, dich angestellt zu haben«, sage ich bestimmt und freundlich, denke ich.

»Das hast du ja auch nicht.«

Perplex starre ich sie an. Wie ... Warum ... Was ... Äh ... Muss ich das alles verstehen?

»Also morgen beginne ich!«

Noooooo, gibt mir mein Hirn als Antwort, was immer dumpfer wird. Als würde dieses Wort irgendwo hinunter fallen. Nimm mich mit!, bitte ich dieses Noooooo.

»Bis morgen, Wy.«

Sie winkt mir lächelnd zu. O Teufel, bist das du?! 

SonderbarWhere stories live. Discover now