20 | Hürdige Versprechen

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Einen Deal mit mir. Der erhört wurde oder besser gesagt: Mein Versprechen mir gegenüber wurde gewährt. Offensichtlich.

Mit den Fingern auf der Tischplatte vor mir trommelnd, hebe ich meinen Blick, um mich Clausis Lage zu vergewissern. Doch er beachtet mich gar nicht weiter oder lässt mir meinen Raum. Ich weiß es nicht. Vielleicht liegt es daran, dass wir uns am Tisch und nicht am Tresen befinden. Who knows?

Rübergehen zu den unendlich freien toten Toten kam für mich nicht infrage. Meine eine Hand zieht auf dem Tisch eine gerade Linie, der meine Augen folgen. Es klingt selbst in meinen Ohren oder Gedanken bescheuert, dass ich – ausgerechnet ich, der Helfer genau dafür – die größte Panik davor schiebe und sich daher vor allem, was das angeht, drückt.

Doch damals – ob es nun vor ein paar Tagen oder Jahren war – hätte ich keinen Schritt in diese Richtung unternommen und jetzt? Nein. Warum? Mir geht es hier gut. Können doch alle bezeugen. Und Panik ... Ach Vollfett-Quark. Wir müssen ja auch nicht gleich übertreiben ... Eher ist es ein Versprechen wegen Hürden. Ganz einfach. Klingt auch besser. Und genau so ist es.

Musst du nur oft genug denken, dann wird sich der Stress schon senken.

»Meine Frau ...«, flüstert Clausi und zieht mich dadurch aus meinen eigenen Gedanken heraus.

Ich schaue auf und ihn an. Ein Spruch à la Wir befinden uns aber nicht am Tresen wäre jetzt so was von unangebracht, weswegen ich es selbstverständlich unterlasse und warte. Als würde er die Flüssigkeit seines Cocktails hypnotisieren wollen, starrt er tief hinein in sein Glas.

»Sie und ich hatten das Glück, uns schon früh kennengelernt zu haben. So sehe ich das. Ich durfte so viele Jahre – wunderschöne Jahre – mit ihr verbringen. Doch es schmerzt mich, von ihr getrennt zu sein«, erzählt er seinem Getränk und natürlich mir. Ich bewundere, wie frei er auf einmal reden kann und bin mächtig stolz auf ihn.

»Mit ihr nicht gemeinsam auch diesen Weg gehen zu können ... Jeden Schritt und jede Hürde des Lebens nehmen wir gemeinsam, das haben wir uns versprochen. Doch das ist vorbei. Wenn dies nicht mehr das Leben ist, warum fühlt es sich dann so lebendig an ...? Voller Qual. Dass sie dort im Leben zurückgeblieben ist und ich nicht weiß, ob sie wieder fröhlich sein kann, macht mich verrückt. Denn nichts anderes wünsche ich mir für sie. Nichts anderes hat sie verdient. Ich wünschte, dass ihr das sagen könnte ... Doch diese Hürde ...«

Seine aufrichtigen Worte machen mich ... sprachlos. Er hat es geschafft. Mich sprachlos, das hat er schon ein paarmal erreicht. Ich meine, es auszusprechen, was ihn bewegt. Ich lege meine Hand auf seine, die noch immer am Glas heftet. Er und seine Frau müssen sich sehr innig geliebt haben – und sicherlich noch immer. Daraufhin hebt er seinen Kopf und schaut mich aus traurigen Augen an.

»Nicht nur Qual«, meint er.

»Hm?«

»Es ist nicht nur voller Qual. Hier erlebe ich noch viel mehr. Freude, Hoffnung, Angst, Zuversicht, auch vieles Schönes. Doch es quält mich sehr.«

»Das kann ich verstehen. Sehr gut sogar«, entgegne ich. »Ich danke dir für dein Vertrauen.«

Eine friedliche Stille kehrt zwischen uns ein, in der wir unseren Gedanken nachhängen und ich über sein Gesagtes nachdenke.

»Das klingt nach einer wundervollen Ehe, Claus«, beginne ich erneut das Gespräch. »Was glaubst du – weiß deine Frau, was du dir für sie wünschst?«

Ein nachdenklicher Ausdruck überzieht sein Gesicht. Doch es braucht nicht lange, bis es von einem milden Lächeln auf seinen Lippen abgelöst wird.

»Danke Wy.« Er drückt meine Hand ganz leicht, die noch immer auf seiner liegt. »Danke.«

Meine Aufgabe hier am Tisch ist getan und mein Drink übrigens leer. Ein letzter Blick zu Clausi bestätigt mir, dass es in Ordnung ist, wenn ich nun aufstehe. Er lächelt mir aufmunternd zu.

Daher begebe ich mich Richtung Bar zu Myst. Aber wenn ich ehrlich zu mir selbst sein will, dann nicht nur, um mir einen neuen Cocktail zu mixen, sondern auch, um nachzuschauen, ob noch alles heile ist.

Ich umrunde das eine Ende der Theke, fahre dabei mit meiner Hand über das geschmeidige Holz und halte an der Ecke, die mich hinter die Bar führt, inne. Myst scheint bereits die Übersicht erlangt sowie eine Routine für sich gefunden zu haben.

Es ist wie für sie gemacht. In mir kriecht ein seltsames Gefühl hoch, begleitet von einer kleinen Erinnerung meiner ersten Zeit, als ich hier ankam und die Bar übernommen habe. Eine Packung aus Freude und Schmerz überkommt mich. Sowie Angst?

Doch mit einem Gedanken kann ich mich selbst belustigen. Sie möchte andere oder zusätzliche Kleidung? Kann sie haben – die grüne Schürze, die farblich so gar nicht zu ihrem Gelb des Kleides und Blau ihrer Augen passt. Ich lache in mich hinein.

Ich nehme die Schürze ab und lege sie über meinen Unterarm. Dann gehe ich locker auf sie zu.

»Devil's Blue Eyes«, bestelle ich bei ihr.

»Ja?«, gehorcht sie – zumindest tut sie so.

»Sehr witzig.« Was ich durchaus ernst meine.

»Danke«, erwidert sie mit einem breiten Grinsen. »Ich dachte mir, dass es dir gefällt.«

Ein Glucksen kann ich nicht unterdrücken, dabei stelle ich ihr mein Glas hin, denn sie muss ganz sicher kein neues für mich benutzen. Das ergibt nur mehr Abwasch. Andererseits macht sie das ja ... Ich will gerade das Glas wieder wegziehen, da glotzt sie auf meine Hand. Erwischt!

»Äh Wy, wo ist denn dein Armband?«, fragt sie verwundert.

Ich folge ihrem Fingerzeig. Ins Sichtfeld kommt erst die Schürze, dann die freie Hautfläche. Da ballert mir die Erkenntnis mächtig eine rein. 

SonderbarWhere stories live. Discover now