Verdammt nahe sogar

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Nachdenklich sitze ich im Schneidersitz auf dem breiten Bett und starre auf das Display meines Handys - meines immer noch brandneuen Handys, wohlgemerkt.

>>Wollen sie diese Nummer blockieren?<< fragt mich die Anzeige und ich seufze.

„Von wollen ist da keine Rede...", murmele ich vor mich hin und drücke auf „Ja".

Ich lasse das Smartphone neben mich fallen und schlinge die Arme um die Knie. So, erledigt. Der erste Schritt zur neuen Selbsterschaffung. Und jetzt... vergiss den Typen endlich!

Grummelnd greife ich nach meiner Mappe und beginne mir endlich, die Testfragen einzuprägen, was schon lange überfällig ist. Eigentlich hätte ich mit dieser Seite vor zwei Stunden durch sein sollen, aber... naja, es ist eben schwer, sich zu konzentrieren, wenn man ganz offensichtlich Liebeskummer hat.

Meine Güte, wie sich das anhört, furchtbar. Als wäre ich eine liebeskranke, vorpubertierende 13-Jährige!

Stöhnend lege ich die Bücher und Mappen wieder zur Seite und kippe nach hinten in die weichen Federkissen meines alten Bettes. Altes Bett, altes Zimmer, altes Leben... es war alles noch so wie vor einem Jahr, als ich hier gewohnt hatte. Dann war Aziz gekommen und die Entscheidung meiner Eltern, dass ich in Barcelona studieren sollte und meine Entscheidung, genau das keinesfalls zu tun und alles für meine erste große Liebe hinzuschmeißen, um dann im letzten Moment die Reißleine zu ziehen, um Vergebung zu betteln, einen Deal auszuhandeln und letztendlich doch nach Spanien zu ziehen, um mich unter der Beobachtung meines Bruders auf die Unitests vorzubereiten.

Und sich dann in den nächsten Vollidioten zu verknallen, den ich eigentlich hassen sollte und nun ohne weitere Worte seine Nummer zu sperren, den Kontakt abzubrechen, nur um meine Eltern zufrieden zu stimmen, die sowieso niemals soetwas wie zufrieden sein konnten.

Tolles Leben, Fatima! Ganz großartig!

Das hast du ja bis jetzt alles super auf die Reihe bekommen und dabei bist du erst 19 Jahre alt! Könnte neuer Rekord sein... Marokkanisches Mädchen braucht nur 19 Jahre und 240 Tage um ihr ganzes Leben durcheinander zu würfeln...

Ich rolle mich kurzerhand von meinem Bett und verlasse das stickige Zimmer. Ich brauche dringend einen freien Kopf.

Ich schleiche durch den Korridor und schnappe mir meine Sandalen. Während es in Barcelona schon fast Winter wird, ist man in Marrakech mit über 40° konfrontiert.

Gerade, als ich die Haustür öffnen will, höre ich eine Stimme hinter mir. „Wo willst du denn hin?"

Ich fahre zusammen und lege eine Hand auf meine Brust. „Gott, Mama! Du hast mir einen Mordsschrecken eingejagt...", keuche ich und drehe mich um. Im Korridor steht eine kleine Frau mit dickem, schwarzem Haar, das zu einem langen Zopf nach hinten geflochten ist. Ihre schwarz umrandeten Augen blinzeln mich fragend an.

„Und zu deiner Frage vorhin: Ich gehe raus, ich brauche eine Pause von ... allem.", erkläre ich kurz angebunden und drehe den Türknauf. Doch meine Mutter schüttelt den Kopf. „Du kannst jetzt nicht weg. Dein Bruder kommt doch in einer halben Stunde..." „Mama!", seufze ich und drücke die halb geöffnete Haustür wieder zu.

Es ist Samstag. Der Tag, an dem mein Bruder hier ankommen soll. Ich starre auf den Dielenboden im Flur und beiße die Zähne zusammen. Ich liebe Munir, aber gerade jetzt kann ich ihn nicht brauchen. Ihn und sein Gerede über Fußball und das Team. Ihn und seine halbherzigen Versuche, sich wieder mit mir zu versöhnen.

„Ich das so wichtig? Ich bin ja nicht lange weg, ich bin in einer Stunde wieder hier..." „Fatima, es ist wichtig. Ich will, dass wir als Familie den Tag verbringen. Außerdem hab ich extra gekocht.", stellt meine Mutter klar, fixiert mich noch einmal aus ihren grünen Augen, bevor sie sich umdreht und zurück in den Küche geht.

Don't Kill My Vibe // Neymar JRWhere stories live. Discover now