Nette Karre

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Ich durchschreite den langen Korridor, der bis zum Ausgang des Camp Nous führte. Die Wände sind blau und karmin, zeigen eine Reihe von Spielern und den langgezogenen Schriftzug més que un club.

Mehr als ein Verein...

Für viele ist er das wohl. Manchmal hab ich sowieso das Gefühl, ganz Barcelona wäre verrückt nach diesem Verein. Alle meine Freunde aus der Uni kennen die Spieler in- und auswendig und verfolgen die Spiele, mit wenigen Ausnahmen wie zum Beispiel mir. Und wenn Real gegen Barcelona spielt, dann gibt's sowieso kein Halten mehr. Die ganze Stadt ist wie ausgestorben, nur in den Sportkneipen ist volles Haus. Bei einem Sieg ist tagelanges Feiern angesagt, bei einer Niederlage herrscht Weltuntergangsstimmung.

Ich schüttele den Kopf, als ich die Tür aufstoße und hinaus ins gleisende Sonnenlicht trete, dass mich blendet. Ich kneife die Augen zusammen und blinzele durch meine dichten Wimpern.

"Ich hab mich gefragt..."

"Ah!" Ich fahre vor Schreck zusammen und wirbele herum, woraufhin mir meine Tasche von der Schulter rutscht und auf den Bordstein fällt.

"... wie lange ich hier wohl noch auf dich warten kann."

"Merda...", murmele ich grummelnd und bücke mich, um meine Tasche wieder aufzuheben. Mein Blick richtet sich jedoch auf ein Paar Sneaker und dunkle Jeans vor einem weißen Wagen, der direkt vor dem Eingang parkt.

"Oh Himmel, nein...", stöhne ich auf und sehe hoch, wobei mich jedoch die hellen Sonnenstrahlen hindern.

"Oh Himmel, doch...", lacht die bekannte, arrogante Stimme und ich bemerke erneut den fremden, portugiesischen Akzent darin und die verwaschene Artikulation. Es klingt irgendwie immer halb genuschelt.

"Bist du eigentlich immer so schreckhaft?", fragt der Brasilianer grinsend und richtet seine schwarze Cap mit den Buchstaben NJR.

Ich schnaube sauer. "Wegen dir hatte ich fast einen Herzinfarkt, du Flasche! Was machst du überhaupt hier?" "Wie du vielleicht sehen kannst, wenn du ganz genau hinsiehst... steht hier mein Auto.", feixt er und deutet in einer ausladenden Geste auf den weißen Sportwagen.

Ich überdrehe die Augen. Wollte er damit etwa bei mir angeben? Das würde nicht ziehen, hoffentlich schnallt er das bald.

"Hast du keinen Spirt mehr, oder was ist sonst der Grund dafür, dass du hier noch stehst?" Ich grinse bösartig. Er zuckt mit den Schultern und stößt sich von der Motorhaube ab, um darum herum zur Fahrerseite zu schlendern, die Hände lässig in die Taschen seiner tief-sitzenden Jeans vergraben.

"Vielleicht wollte ich dir einfach einen Schrecken einjagen, wenn du rauskommst." "Ahja..." Der Brasilianer grinst erneut, wobei seine Augen blitzen und öffnet die Tür. "Vielleicht hab ich ja aber einfach nur auf dich gewartet." "Wieso das?", frage ich misstrauisch.

Er schüttelt den Kopf. "Steig einfach ein." "Ich soll bitte was?" "Einsteigen. Vielleicht, wenn es geht, in den nächsten Minuten, außer, du hast Lust nach Hause zu laufen?"

Hab ich mich gerade eben verhört?

"Nein danke. Ich habs nicht nötig mich von brasilianischen Möchtegern-Kickerstars in ihrem schicken Auto durch die Gegend fahren zu lassen. Ich ruf mir ein Taxi.", gifte ich und stolziere mit hoch erhobenem Kopf am weißen Wagen vorbei.

"Mit welchem Handy? Deines geht wohl schlecht, wo es ja hinüber ist.", ruft er mir amüsiert hinterher und ich bleibe stocksteif stehen, bevor ich mich umdrehe, das kaputte Handy aus meiner Tasche fische und es ihm entgegenstrecke. "Da hast du verdammt Recht! Da, siehst du den fetten Kratzer? Das war nämlich deine Schuld, falls es dir entgangen sein sollte. Und ein 'Sorry' hab ich zu alledem auch noch nicht von dir gehört!", fauche ich und meine dunklen Haare fliegen herum.

Der Brasilianer grinst breit. "Bist du eigentlich immer so ... äh, wie sagt man? Temperamentvoll?" Ich kneife die Augen zusammen. Da hat er mich aber noch nicht richtig wütend erlebt. "Und bist du eigentlich immer so ein ignorantes Großmaul?", gebe ich giftig grinsend zurück und strecke die Hand aus.

"Gib mir wenigstens dein Handy, damit ich den Taxiservice erreiche.", fordere ich und zucke ungeduldig mit den Fingern, doch der Fußballer vor mir rührt keinen Finger, steht noch immer hinter der geöffneten Tür des Wagens und mustert mich lächelnd.

"Ich hab eine bessere Idee." "Das bezweifle ich. Was für eine?" "Das wirst du wohl nie erfahren, wenn du nicht einsteigst.", grinst er. "Gib mir jetzt sofort dein Handy, Neymar!"

Wow, mir ist sein Name plötzlich wieder eingefallen.

"Nein. Erst, wenn du eingestiegen bist.", antwortet er stur und deutet auf die Beifahrerseite des Audis. Ich trete näher an den Wagen heran und deute mit den Zeigefingern beider Hände in einem Kreis auf die Motorhaube. "Nur um das klarzustellen... ich werde nicht in dieses Auto steigen."

"Willst du noch eine schriftliche Einladung? Wovor hast du Angst? Dass ich zu schnell fahre?" "So wie du aussiehst... Ja.", murmele ich und zögere, als meine Hand bereits auf halbem Weg zum Türgriff ist. Ist das wirklich eine so gute Idee?

Denk nach, Fatima. Gratis Heimfahrt oder eineinhalb Stunden zu Fuß? Sei kein Dummkopf, Mädchen, steig einfach ein, lass es über dich ergehen und ignoriere ihn.

Seufzend reiße ich die Tür auf und lasse mich in den Schalensitz gleiten. Mit hochgezogenen Augenbrauen mustere ich die Armaturen und die edle Ausstattung. Okay, ich muss zugeben, der Wagen war Extraklasse, aber das bedeutet gar nichts.

So viel, wie diese Fußballer für die paar Balltricks, die sie aufführen, verdienen, kann man sich locker solche Karren leisten. Das ist absolut nichts Besonderes.

Und so muss ich wohl die halbe Stunde Fahrt neben diesem Spinner ertragen, bevor ich mich zuhause endlich  wieder entspannen kann. Wie hätte ich ahnen können, dass dieser Tag noch lange nicht vorbei sein würde... noch lange nicht...

Don't Kill My Vibe // Neymar JRWhere stories live. Discover now