Don't Kill My Vibe // Neymar JR

Das Spiel

Das Stadion erhebt die Stimme, alles um mich herum wird so laut, dass es mir in den Ohren dröhnt, doch dann ist nur noch lautes Seufzen und Stöhnen von allen Umstehenden zu hören.

Der Ball ist knapp am Torpfosten vorbeigesegelt.

Bei dem lauten Krachen in den Lautsprechern presse ich mir vor Schreck beide Hände auf die Ohren und atme tief durch.

Dafür hätte ich einen Orden verdient...

Ich versuche mich seufzend auf das Spiel zu konzentrieren und richte meine Augen wieder auf meinen Bruder. Ich bin es Munir schuldig, hier zu sitzen. Viel zu wenig hat sein Leben mich bisher gekümmert, und das, obwohl er immer für mich dagewesen ist.

Dann würde ich wohl diese 90 Minuten hier im Stadion aushalten können.

Plötzlich beginnen zwei Mädchen direkt neben mir zu kreischen, als wären sie vom Teufel besessen und springen hoch. Sie tragen kurze Hot-Pants, die glatt als Bikinihosen durchgehen können und hautenge Shirts in den Farben des Clubs.

Noch während ich mit den Augen rolle fällt mir die Nummer 11 auf, welche hinten auf dem Rücken des einen Mädchens prangt. Ihre Haare verdecken den Schriftzug, doch ich erfasse die zwei Buchstaben sofort. J.R.

Als die Taubheit aus meinen Ohren weicht, höre ich sie seinen Namen kreischen und schließe genervt die Augen. Das darf doch nicht wahr sein! Sitze ich hier neben den zwei hirnlosesten Fangirls im Stadion?

"Neymar!", kreischt eine von ihnen laut, sodass es in meinen Ohren klingelt. Unten am Spielfeldrand gibt der Brasilianer einem der Kinder tatsächlich auch noch ein Autogramm (für was hält er sich, einen Filmstar?!), was die Fangirlies neben mir ausrasten lässt, da er dabei außergewöhnlich nah an die Tribünen kommt.

Ich sitze nur eine Reihe dahinter und senke sofort den Blick. Doch just in diesem Augenblick treffen mich für einen Bruchteil einer Sekunde grünbraune Augen und er schenkt mir ein freches Grinsen.

Ich liebe meinen Bruder, ich liebe meinen Bruder... sag es dir weiter ein, vielleicht hilft es... gegen die Kopfschmerzen.

Ich atme tief durch und konzentriere mich auf meine Atmung, um jetzt nicht auszurasten. Das Aggressionstraining hilft für gewöhnlich, meinen Herzschlag zu beruhigen. Doch diesmal nicht. Vielleicht hämmert mein Herz nicht vor Wut. Gott, diese Augen, verdammt...

"Neymar!", ertönt erneut das laute Schreien und reißt mich aus meiner Trance. Mein Blick saust herum zu den zwei Hirnlosen.

"Neymar sitzt auf der Bank, ihr Pimpen.", murmele ich leise, als plötzlich eine der Mädchen herumfährt und mir einen abfälligen Blick zuwirft. "Von wegen. Schau mal genauer hin, du Kuh.", faucht sie und meine Augen weiten sich, als ich ihn am Spielfeldrand direkt unter uns stehen sehe.

Das Schild zeigt eine grüne Nummer 11, und in rot daneben: 31

Ich fahre beinahe erschrocken hoch und blinzele, doch da erkenne ich bereits, dass wirklich mein Bruder in Richtung Ersatzbank läuft, Neymar abklatscht und das Feld verlässt.

"Nein...", stoße ich genervt aus und lasse mich zurück auf meinen Platz fallen. Wie sehr hab ich gehofft, er würde die gesamte Spielzeit auf der Bank sitzen? Wieso hat mich mein Glück schon wieder verlassen?

Weil das Schicksal grausam ist.

Nun beginnt meine Folter geradeerst. Denn jedes Mal, wenn Neymar auch nur in die Nähe des Balls kommt, glauben die beiden Pimpen neben mir, loskreischen zu müssen, als würde sie eine Zombiearmee verfolgen und herumzuspringen, als hätten sie zuviel Extasy geschluckt.

Als ich zum wiederholten Male zusammenfahre, nimmt das Gekreische beinahe überirdische Ausmaße an, als der Ball von Neymar aufs Tor zufliegt, doch zum Glück hält ihn der Torwart geradenoch. Ich hätte ihn dafür küssen können!

Knapp zehn Minuten nach Neymars Einwechslung kann ich sehen, dass wieder ein Spieler das Feld verlässt. Die Nummer 7 geht für die Nummer 29, welche ist - und das hebt meine Laune - Sandro Ramirez.

Ich zwinge mich dazu, dem Spiel zu folgen, doch meine Gedanken schweifen immer wieder ab. Zurück daran, als mich Neymar im Coaches Room fragte, ob ich ihn anfeuern würde, wenn er eingewechselt wird.

Never. ever.

In diesem Augenblick ertönt lautes Brüllen von überall her und als sich meine Augen zum Tor bewegen, zittert dort der Ball in den Maschen. Und es ist Sandro, den ich jubeln sehe. Der Jubelschrei bricht einfach aus mir heraus. Nicht wegen des Tores selbst, dass vermutlich den Sieg bedeutet, sondern weil es Sandro ist, der getroffen hat, und nicht etwa Neymar Jr.

Ha! Das würde ich ihm sowas von unter die Nase reiben!

Bis zum Ende schaffen sie es, keinen Gegentreffer mehr einzustecken und als der Schlusspfiff erklingt, steht es immer noch 1-0. Irgendwas sagt mir, dass es zu knapp für Barcalonas Verhältnisse ist, doch ein Sieg ist ein Sieg.

Durch das ewige Sitzen ist mein Hintern eingeschlafen und ich springe erfreut auf die Beine und kann raus aus dem Menschenhaufen, der sich gen Ausgang drängt.

~*~

"Gewonnen, Schnecke, was sagst du dazu?! Hast du mein Tor gesehen?"

Sandros Stimme trieft vor Freude und Aufregung und ich lache, während er mich in einer Umarmung herumwirbelt. Seine Haare sind noch nass von der Dusche und Tropfen glänzen auch auf seinem strahlenden Gesicht.

"Na klar! Bin ich stolz auf dich, Ramirez! Glückwunsch!", meine ich und schenke ihm ein ehrliches, kleines Lächeln. "Hey, wo ist denn mein Bruder?" "Keine Ahnung. Noch in der Kabine, schätze ich.", antwortet Sandro und schüttelt seine Haare.

"Oh... okay, dann warte ich... hier?" "Klar, außer du willst in die Kabine?", grinst Sandro. "Das wäre deine Chance, Schnecke.", fügt er zwinkernd hinzu und ich rolle mit den Augen. "Nein, danke fürs Angebot, aber ich verzichte." "Wie du meinst.", meint er und will sich bereits verziehen, als er sich im Gehen nochmal umdreht.

"Hey, kommst du heute Abend mit Feiern?"

Verwirrt sehe ich ihn an. "Feiern?" "Ja, den Sieg feiern. Das halbe Team wird dort sein. Frag einfach deinen Bruder! Und dass du ja nicht kneifst!" "Aber ich will nicht..."

Doch da ist Sandro schon auf und davon. Und wenn der Verteidiger von Villareal ihn heute nicht einholen konnte, dann kann ich das schon gar nicht.