Jede Menge Einsichten

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Am nächsten Morgen wachte ich wieder als Erste auf.

Mein Abgang gestern Abend bereute ich mittlerweile sehr. Der Gedanke, meinen Freundinnen jetzt gegenüber treten zu müssen, bereitete mir großes Unbehagen. Ich schämte mich für mein unkontrolliertes Verhalten und irgendwie tat es mir Leid. Lieber schob ich es noch etwas auf.

Mit einem Hauch von schlechtem Gewissen stand ich leise auf, zog mich an und schlich mich aus unserem Schlafsaal. Ich biss mir auf die Lippe, als ich die Tür hinter mir schloss.

Verdammt, ich wusste ja selber, dass ich nicht ewig allen aus dem Weg gehen konnte. Erst Severus, dann Potter und jetzt auch noch meinen Freundinnen.

Kopfschüttelnd machte ich mich auf zur Bibliothek. Ich wollte vor dem Frühstück noch etwas lernen, das würde mich jetzt ablenken. Außerdem konnte ich mir sicher sein, dass Potter dort nicht war. Wenn ich an ihn dachte, wurde ich rot und schämte mich. Mit einem Mal wurde es mir schlagartig bewusst: Er hatte mich gerettet! Wieso war mir das gestern nicht gleich aufgefallen?

Wahrscheinlich hatten der Schock und die Neuigkeit über ihre nächtlichen Aktivitäten dafür gesorgt, dass ich diese unangenehme Tatsache vorerst vergessen hatte, doch zu meinem Leid war die Gewissheit jetzt wieder da. Hell und unübersehbar schimmerte sie in meinem Geiste über mir, wie ein Warnschild. Ich konnte es nicht leugnen: Er hatte mein Leben gerettet.

Wow.

Das musste ich erst Mal verdauen. Wer weiß, in was für Tiere sich Black, Pettigrew und Remus verwandeln konnten . . . Ohne James wäre ich jetzt vermutlich tot, oder zumindest schwer verletzt. Und ich hatte mich wie ein bockiges Kind verhalten . . .

Bei Merlins Bart, das wurde ja immer schlimmer. Ich konnte verstehen, warum er gestern so sauer gewesen war. Peinlich berührt ließ ich mich an der Steinwand im leeren Korridor hinuntergleiten.

Ich hatte in den letzten Tagen so viel falsch gemacht, war Leuten aus dem Weg gegangen, hatte mich kindisch benommen und unvorsichtig gehandelt. Ich spürte, dass es jetzt an der Zeit war, endlich das Richtige zutun.

Ob ich wollte oder nicht, ich musste mich wohl bei Potter bedanken. Oder mich wenigstens entschuldigen und versprechen, ihr Geheimnis niemandem zu erzählen. Ich kaute jetzt wie verrückt aufmeiner Unterlippe herum.

An Lernen war jetzt natürlich nicht mehr zudenken, also ging ich unverzüglich in die Große Halle. Vielleicht war es mir möglich, James noch vor dem Frühstück zu sprechen, ohne dass es die anderen mitbekommen würden.

Ausnahmsweise hatte ich mal Glück: James saß fast als Einziger am Gryffindortisch und stocherte lustlos in seinem Müsli herum. Von Sirius, Remus und Peter keine Spur, außer uns waren nur eine Handvoll Schüler in der Halle beim Frühstück, die meisten schliefen noch.

Nervös richtete ich meine Haare und nestelte an meinem Umhang herum. Oh Merlin, wieso wollte ich denn jetzt gut aussehen? James sah jedenfalls ziemlich müde aus, aber dennoch unwiderstehlich . . . Warte, das hatte ich gerade nicht wirklich gedacht? Das wurde immer blöder . . . Am besten brachte ich schnell dieses verfluchte Gespräch hinter mich, dann könnte ich ihn wieder wie gewohnt hassen und unausstehlich finden.

Ich atmete ein letztes Mal tief durch, dann trat ich an den Tisch heran.

Er schien mich nicht zu bemerken, erst als ich so ruhig wie möglich „James?" fragte, blickte er hoch. Einen Moment glaubte ich, etwas von dem normalen Funkeln in seinen haselnussbraunen Augen zu entdecken, aber vermutlich war das nur Wunschdenken.

„Evans." Er klang abweisend. Irgendwie erleichterte mir seine kühle Art, weiter zu reden. „Kann ich dich bitte kurz sprechen?", fragte ich.

CollideWhere stories live. Discover now