Dr. Mary MacDonald

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Lily P. o. V.

James sprach jetzt immer häufiger davon, später Auror zu werden. Tatsächlich strengte er sich in der Schule viel mehr an, besonders in Verteidigung gegen die dunklen Künste investierte er eine Menge Zeit. Wenn ein Zauber nicht auf Anhieb klappte, probierte er es verbissen wieder und wieder, einfühlsame Gespräche wies er energisch zurück. Es schien, als hätten wir die Rollen getauscht: Er lernte wie verrückt für seine ZAG-Prüfungen, während ich dauernd Zeit mit ihm verbringen wollte. Verdammt, ich machte mir Sorgen um ihn! Er hatte sich verändert. Kein Wunder, seine Eltern waren gestorben! Ich wusste ja, dass er mich liebte, aber er zeigte es mir viel seltener als früher. Stattdessen schmiedete er Pläne, wie er Voldemort aufhalten könnte, machte sich Gedanken über die erforderten Noten und Fächer und hatte - natürlich - eine ganz neue Art des Hasses auf alle Slytherins entwickelt. Für ihn waren sie allesamt Todesser, jeder einzelne von ihnen. Und Voldemort und die Todesser waren Schuld an der Attacke und somit am Tod seiner Eltern. Da James verständlicherweise an irgendjemandem seine ganze Wut und die Trauer auslassen wollte, hatte er wohl beschlossen, jedem Slytherin das Leben zur Hölle zur machen. Das allererste Opfer auf seiner Liste: Severus. War ja klar. Nicht sehr hilfreich war das neue Gerücht, Sev und seine Kumpels wären nun endgültig echte Todesser geworden. Niemand hatte eine Ahnung, wer so kurz nach dem Anschlag auf das Ministerium so eine grausame und gemeine Lüge in die Welt setzte, aber ich glaubte von all dem kein Wort. Severus Snape war kein Todesser. Ganz sicher nicht! Seine Freunde vielleicht, die hatte ich noch nie leiden können und denen würde ich eine Verbindung zu Voldemort sogar zutrauen, aber nicht Sev. Die Lehrer waren dem Gerücht selbstverständlich skeptisch auf den Grund gegangen, hatten jedoch nichts Verdächtiges finden können. Einfach widerwärtig war es, dass es einigen Slytherins rein gar nichts ausmachte, als Todesser bezeichnet zu werden. Im Gegensatz: Leute wie Avery und Mulciber johlten jedes Mal laut, wenn ihnen das Gerücht zu Ohren kam und riefen ihre Reinblut-Parolen. Severus stand verlegen grinsend mit den Händen in der Tasche daneben und schwieg. Viele Muggelstämmige mussten blöde Sprüche auf dem Korridor und Anfeindungen im Unterricht ertragen, die über gewöhnlichen Neckereien und Streiche hinaus gingen. Ich reagierte größtenteils gelassen, wenn irgendwelche reinblütigen Schüler - die ausnahmslos in Slytherin waren - mir rassistische Sachen an den Kopf warfen, wie zum Beispiel "Aus dem Weg, scheiß Schlammblut!" oder "Nehm dich in Acht, der dunkle Lord duldet solchen Abschaum wie dich nicht!" Meistens winkte ich nur gelassen ab und antwortete etwas wie: "Süßer, das heißt aber 'nimm' und nicht 'nehm'. Wenn du schon wildfremde Leute beleidigen musst, dann doch bitte in der korrekten Imperativ-Form, ja? Danke sehr!" Besagte Slytherins liefen dann meist vor Ärger knallrot an, blieben aber still. James jedoch bekam stets einen Wutanfall. Gestern mussten Sirius und Remus ihn tatsächlich im Kerker zurück halten, nicht auf einen stämmigen Siebtklassler loszugehen, der mich auf niveauloseste Art beleidigt hatte. Und heute Morgen war James beinahe in Tränen ausgebrochen, da mehrere rassistische Parolen kamen, als wir beide händchenhaltend an einer Slytherin-Gruppe vorbei gingen.

Gerade stand ich vor dem Wahrsagen-Klassenzimmer und wartete auf die anderen. Wir hatten kein Alte Runen gehabt, da unser Professor mal wieder krankgeschrieben war. Leicht gelangweilt und nervös zugleich sah ich mich um, als auf einmal die Tür aufgestoßen wurde und eine Schar plappernder Schüler herauskam. James ging am Ende der Schlange, die sich alle auf einmal durch die schmale Tür zur Treppe quetschen wolte, und schien ganz in Gedanken versunken. Ich wartete, bis er den untersten Treppenabsatz erreicht hatte und ging lächelnd auf ihn zu. Stürmisch wollte ich ihn umarmen, doch er war gar nicht bei der Sache. Meine leidenschaftlichen Küsse blieben unerwidert und da war einfach nichts. Kein Funkeln, kein Kribbeln. "James? Alles in Ordnung?", hakte ich verunsichert nach und wischte mir über den Mund. "Ja", entgegenete er schroff. "Wieso? Warum fragst du immer, ob alles gut bei mir ist? Natürlich geht es mir gut, es geht mir blendend! Ja, meine Eltern sind tot, verdammte Scheiße, aber das ist fast einen Monat her! Wenn ich glücklich bin, fragst du mich nach meinem Befinden. Wenn ich traurig bin fragst du mich. Du fragst mich immer! Mir gehts gut! Verstanden? Fuck!" Er raufte sich verzweifelt das Haar. Offenbar hatte er gar nicht bemerkt, wie laut er geworden war. "Sorry", fügte er murmelnd hinzu und verschwand mit schnellen Schritten. Betroffen und mit großen Augen starrte ich ihm nach. Alle hatten unseren Streut mit angehört und fingen jetzt leise an zu tuscheln. Ganz alleine stand ich mit hängenden Schultern vor dem Klassenraum. Die fragenden und neugierigen Blicke durchbohrten mich und ich hatte nicht mal die Kraft, die gaffenden Leute an zu schnauzen. Ich sagte nichts und schluckte bloß schwer. Mary fasste sich ein Herz und trat aus der Masse auf mich zu. Energisch fasste sie mich am Arm. "Was gibt's denn da zu glotzen?", fuhr sie die anderen Schüler an, die daraufhin zügig den Blick abwanden. "Alles gut?", wollte sie sanft von mir wissen. Ratlos zuckte ich mit den Schultern und traute mich nicht, auch nur eine Silbe zu sagen, aus Angst, meine Stimme könnte versagen. Nicht weinen, Lily, du fängst jetzt nicht vor allen an zu heulen! "Komm mal her", meinte Mary voller Anteilnahme und schloss mich in die Arme. James war so unberechenbar im Moment, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. Seine Reizbarkeit machte es mir unnöglich, ein vernünftiges Gespräch mit ihm anzufangen. Ich verstand ihn einfach nicht mehr! Mary führte mich in eine kleine Nische am Fenster. Schweigend nahmen wir auf dem Fensterbrett Platz und sahen mit dem Rücken zu Wand nach draußen. Von hier oben konnte man bis nach Hogsmeade sehen, aber ich schloss die Augen, um die neuen Tränen wegzublinzeln. Nach einer Weile ergriff Mary das Wort: "Er meint es nicht so, das weißt du, oder? Er macht im Moment viel durch, sein ganzes Leben wurde komplett auf den Kopf gestellt!" Der intensive Blick ihrer hellbraunen Augen ruhte weiter auf mir. "Meins auch", ich probierte, den Kloß in meinem Hals wegzuschlucken. Es funktionierte nicht. "Ich habe Dorea und Charlus auch geliebt, und James liebe ich sowieso! Es tut so weh, ihn so zu sehen, mitansehen zu müssen, wie er-", ich unterbrach mich selbst und machte eine hilflose Handbewegung. "Der Schmerz ist unerträglich. Sie sind tot, er leidet und redet nicht mal vernünftig mit mir!", sagte ich schließlich mit klarer Stimme. Mary schlang ihre Arme um ihre Knie und hörte mir weiter mit wachem Blick aufmerksam zu. "Ich verstehe ihn nicht. Seine plötzlichen Gefühlsausbrüche sind so unerwartet, mal weint er, mal schreit er", klagte ich weiter. "Wahrscheinlich macht er sich auch Sorgen um dich, wegen all den Anfeindungen", schlug Mary nachdenklich vor. "Er übertreibt!", erwiderte ich laut. "Wirklich? Bist du sicher?", fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen und in einer Stimme, die stark an Alices philosophischen Denken-wir-mal-genau-nach-Ton erinnerte. Stöhnend raufte ich mir das Haar und ließ meinen Kopf auf meinen Knien liegen. Mary war zwar nicht muggelstämmig wie ich, setzte sich jedoch im Rahmen ihres Muggelkunde-Unterrichts öffentlich für die Rechte von Muggeln ein, was ihr viel Kritik einbrachte. Genau genommen musste sie fast mehr Anfeindungen als ich erdulden, und obwohl die zarte Mary nah am Wasser gebaut war und sich alles immer sehr zu Herzen nahm, kämpfte sie verbissen weiter und ließ sich nicht einschüchtern. All die negativen Reaktionen auf ihr Engagement bestärkten sie nur noch mehr in ihrer festen und unerschütterlichen Überzeugung, dass Muggel und Muggelabstämmige genauso viel wert sind wie Zauberer und Hexen. Sie verteilte noch häufiger Flugblätter für ihre im Unterricht entstandene Kampagne, organisierte Kuchenbasare und spendete das Geld, nach dem Anschlag hatte sie eine wunderschöne, bewegende Rede bei der Gedenkversammlung in der Großen Halle gehalten. Ich bewunderte sie zutiefst für ihre Unerschrockenheit und ihren Mut, um die Wahrheit zu sagen hätte ich es ihr nicht zugetraut. Voller Stolz wandte ich mich schließlich ihr zu: "Ich weiß es nicht, Mary. Glaubst du echt, dass Voldemort so stark werden könnte? Ist es nicht nur eine Phase? Ich kann mir kaum vorstellen, dass genug Leute da mit machen würden. Aber jetzt lass uns bitte das Thema wechseln, ja?", schlug ich schnell vor, als sie erneut ansetzte. Nach einem kurzen Zögern nickte sie. "Meinetwegen . . ." Wir erhoben uns und schulterten unsere Taschen. "Danke", sagte ich lächelnd. "Für's reden. Du weißt schon." Lachend gab ich ihr einen freundschaftlichen Stoß und sie kicherte: "Immer wieder gerne. Auf mich kannst du zählen, Lily. Ich werde immer für dich da sein. Immer! Auf Dr. Mary MacDonald ist Verlass, bei mir sind ihre Probleme gut aufgehoben!" Sie imitierte eine appellierende Stimme aus der Muggelwerbung. Ich stieg darauf ein und ergänzte gekünstelt: "Bei Dr. Mary Macdonald erhalten sie passende Ratschläge für jede Situation, sei es Liebeskummer, Zickenkrieg oder Familiendrama! Vertrauensvolle Beratung zu einem guten Preis, gleich hier erhältlich - Au, pass doch auf!" Ich war so versunken gewesen, dass ich glatt mit jemandem zusammen gestoßen war. Mit gequältem Gesichtsausdruck rieb ich mir meine Brust, bis ich sah, gegen wen ich da gerannt war: Avery und Mulciber standen bedrohlich vor Mary und mir und zuckten mit ihren Muskeln. Wie knuffig. Unbeeindruckt trat Mary einen Schritt vor und wir wollten an den Slytherins vorbei gehen, doch Avery packte mit festem Griff meine Hand. "Wen haben wir denn da?", höhnte er spöttisch. "Den muggelabstämmigen Rotfuchs und die kleine Blutsverräterin, die immer so süß quiekend ihre Plakate verteilt!" Ich riss mich finster guckend los: "Lass stecken, du Hohlkopf. Wenn ich Lust auf dumme Beleidigungen habe, werde ich mich bei dir melden. Momentan ist mir aber nicht nach eurer rassistischen Reinblut-Kacke zumute. Auf Wiedersehen!" Wir setzten uns in Bewegung, doch der Slytherin hielt uns erneut zurück. "Was?", fuhr Mary ihn funkelnd an. "Passt besser auf euch auf", riet er mir langsam und so leise, dass es niemand außer uns vieren hören konnte. "Der dunkle Lord duldet Gesindel wie euch nämlich nicht!" Mulciber lachte dreckig und Avery ließ von mir ab. "Was soll das heißen?", hakte ich mit scharfem Unterton nach. Voldemort war nicht an der Macht, er hatte nichts zu sagen. Die beiden warfen uns einen letzten angewiderten Blick zu, dann verschwanden sie ohne mir zu antworten. Beunruhigt setzten Mary und ich unseren Weg fort, wir verloren kein Wort über das eben Geschehene. Wahrscheinlich grübelten wir jeder für sich über die Aussage von Mulciber und Avery, die mich ehrlich gesagt sehr aufregte und dezent in Angst versetzte. Erst als wir vor dem Gemeinschaftsraum standen, meinte Mary vage lächelnd: "Weißt du, Lily, ich denke ernsthaft darüber nach, meinen Berufswunsch noch einmal zu überdenken. Statt Heilerin im St. Mungo würde ich mich viel lieber für Muggelrechte einsetzen. Ich glaube, ich werde mich mal belesen, was für Arbeitsmöglichkeiten es da gibt . . ." Grinsend nannte ich das Passwort und hielt ich meiner besten Freundin das Porträtloch auf. "Ich bin mir absolut sicher, dass du das ganz wunderbar machen würdest!", entgegnete ich und meinte es auch so.

CollideWhere stories live. Discover now