Lilien für Lily

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Lily P.o. V.

Auch wenn meine Freundinnen am Abend etwas sauer gewesen waren, dass ich auch noch den Rest des Tages mit James verbracht hatte, freuten sie sich bei meiner ausführlichen Erzählung wie kleine aufgeregte Kinder. "Wie romantisch!", schwärmte Marlene händeklatschend und Mary hüpfte kichernd auf und ab. Alice sah mich nachdenklich an und lächelte etwas reserviert. Am nächsten Morgen wurde ich jedoch aus meinem schönen Traum herausgerissen: Es war Montag. Und mir fehlte einfach jegliche Motivation. Ich wusste ja selber, dass wir dieses Jahr unsere ZAG-Prüfungen schreiben würden und dies ein verdammt schlechter Zeitpunkt für Faulheit war, aber ich hatte einfach keine Lust. Warum konnte ich nicht die ganze Zeit bei James sein? Ja, die Schule war mir sehr wichtig. Aber James war mir noch viel wichtiger! Es wäre ja auch ziemlich gruselig, wenn mir McGonagall oder Flitwick wichtiger wären als er . . . Ich schüttelte den Kopf angesichts meiner merkwürdigen Gedankengänge. Jedenfalls sahen die Lehrer das alles etwas anders und waren offenbar der Meinung, in einem Schülerleben gab es nichts was mehr von Bedeutung war als Schule, Lernen und Hausaufgaben. Sirius und James waren das letzte Mal im Verwandlungsunterricht fast vom Stuhl gefallen, als Professor McGonagall doch tatsächlich angefangen hatte, uns etwas von den UTZ-Prüfungen zu erzählen und uns darauf zumindest ansatzweise vorzubereiten. "Wollen sie mich verar-", hatte Sirius angefangen und sich zum Glück schnell wieder gefangen. "Ich meine, ist das ein Witz? Als ob ich mir jetzt Gedanken über meine UTZ-Prüfungen mache! Darf ich bitte erst mal meine ZAGs schaffen?" McGonnagalls Mund war zu einem schmalen Strich geworden, aus ihren Nasenlöchern hatte förmlich Raum gequalmt und ihr eisiger Blick war wie ein spitzer Speer gewesen. Aber um die Wahrheit zu sagen hatte ich Sirius im Stillen Recht gegeben. Warum mussten sie uns jetzt schon quälen? Der Gedanke an die ZAGs bereitete mir schon Bauchschmerzen! Es war der erste Tag der Woche und schon sehnte ich mich nach dem nächsten Freitag. Das Wochenende war gerade vorbei und ich brauchte schon wieder Entspannung! Ich fühlte mich schrecklich ausgelaugt und erschöpft und konnte mir gar nicht erklären weshalb. Leider wurde es diese Woche nichts mit dem Ausruhen: Mein Hausaufgabenplaner war komplett voll und James wollte auch noch Zeit mit mir verbringen. Klar, genau das wünschte ich mir auch! Aber noch viel lieber hätte ich mich unter der Bettdecke verkrochen, sieben Tage die Woche durchgeschlafen und mal wieder gelesen. Aber nein! Stattdessen pendelte ich zwischen James (den ich über alles liebte) und den Schulaufgaben (dazu muss ich wohl nichts sagen) hin- und her. Wieso sollte ich auch auf meine eigenen Bedürfnisse hören, wenn jeder besser wusste was ich tun sollte. Natürlich fand ich Bildung unglaublich wichtig und sie war unverzichtbar, eigentlich ging ich auch echt gern zur Schule . . . Aber manchmal glaube ich, dass es mir besser gehen würde wenn ich einfach mal einen Tag nicht hingehen würde. Wir Menschen setzen uns viel zu sehr unter Druck, weil die Ordnung und die Gesellschaft es von uns verlangten und taten Dinge, auf die wie genau genommen keinen Bock hatten. Wenn ich so darüber nachdachte wäre es für unsere psychische Gesundheit tausend Mal besser, wenn wir uns mal einen Tag freinehmen würden von dem alltäglichem Stress. Das Leben war kurz, viel zu kurz um sich zu Sachen drängen zu lassen, auf die man keine Lust hatte. Wie gesagt: Normalerweise mochte ich die Schule und war bereitwillig, fleißig zu lernen. Und mit James wollte auch so viel Zeit wie möglich verbringen. Das war toll, ohne Frage! Aber wisst ihr auch, wie anstrengend so ein fester Freund sein kann? Es mag blöd klingen, aber so eine Beziehung bringt sehr viele Verpflichtungen mit sich. Man kann es sich wie eine Art Vertrag vorstellen, weil der Partner sonst sauer wird wenn man nicht die gewünschte Zeit mit ihm verbringt. Die ersten zwei Stunden waren gerade vorbei und ich hatte jetzt eine Freistunde, die ich natürlich in der Bibliothek verbrachte. Wo auch sonst. Meiner zweiten Heimat. Super! Ich schaffte es, meinen Aufsatz für Zaubertränke zu beenden und sogar noch etwas Astronomie zu lernen, bis ich hektisch meine Sachen zusammen suchte und aufbrach. Den Rest an Lernstoff würde ich mir heute Abend für die Kontrolle morgen noch reinprügeln müssen. Bulimie-Lernen war doch etwas Tolles. Man bemerke bitte die Ironie und die Verbitterung. Danke sehr. Ich war jetzt mit James und den anderen verabredet, wir wollten die Mittagspause zusammen verbringen. Da Professor Flitwick sich - das ist gemein, aber: Merlin sei Dank! - einen Schnupfen geholt hatte und von den heftigen Niesern so sehr erschüttert wurde, dass er jedes mal mindestens drei Meter nach hinten geschleudert wurde, sollten wir auch noch spontan nach der Mittagessen Ausfall haben. Ich hätte die Zeit gut zum Lernen nutzen können, aber erstens hastte ich darauf nun wirklich keine Lust und zweitens stand irgendwo das unausgesprochene Gesetz, dass ich Zeit mit meinen Freunden verbringen musste. Ich lief mit schnellen Schritten die Korridore entlang, als ich kurz vor der Eingangangshalle mit jemandem zusammenstieß und meine ganzen Bücher und Hefter zu Boden fielen. Mit zusammengebossenen Zähnen unterdrückte ich ein genervtes Stöhnen und murmelte eine halbherzige Entschuldigung, während ich mich hinkniete. Erst da bemerkte ich, in wen ich da eigentlich hinein gerannt war: Vor mir stand Severus Snape und druckste verlegen herum. Dann verstummte er und hockte sich neben mich. Zusammen hoben wir all mein Zeug auf, dabei berührten sich unsere Hände mehrmals unabsichtlich. Nein, es fühlte sich nicht jedes Mal an, als würde ich von Stromschlägen durchzuckt werden, so wie es vermutlich mit James gewesen wäre. Es strömten jedoch dauernd Kindheitserinnerungen von Sev und mir auf mich herein und gegen meinen Willen lächelte ich wehmütig. Schließlich richtete ich mich schwungvoll auf: "Danke", sagte ich steif und lachte verklemmt. Severus erwiderte es und stotterte leicht peinlich berührt: "Gut, dass ich dich treffe, Lily. Ich wollte dir noch nachträglich zum Geburtstag gratulieren." Überrascht sah ich ihn an. "Vielen Dank", antwortete ich schließlich verzagt. "Das ist wirklich . . . nett von dir." Wir schauten einander verlegen an. Dann ergriff Severus meine Hand und drückte mir eine Blume zwischen die Finger. Es war eine rote Lilie. Ich war so erstaunt, dass ich gar nichts sagen konnte und atemlos schwieg. "Du, ich, also, weißt du, wir beide, dass . . .", stammelte er und wurde rot. Ich konnte nicht anders als ihn fragend und mit hochgezogenen Augenbrauen anzustarren. Es war ja echt lieb, dass er mir trotz allem zum Geburtstag gratuliert hatte und ich schätzte das sehr, aber was er jetzt wollte, das wusste ich nicht so richtig. Ehrlich gesagt hätte ich erwartet, dass Sev beschämt flüchten würde, aber plötzlich strafften sich seine hängenden Schultern und er guckte mir fest in die Augen: "Es tut mir Leid, Lily. Wirklich. Ich will nicht, dass das so mit uns endet und ich möchte mich mit dir vertragen. Bitte. Gib mir noch eine Chance." Mit geöffnetem Mund suchte ich nach den passenden Worten und setzte dann zögernd zu einem Satz an: "Ich weiß nicht so recht, Sev." Das Funkeln in seinen dunkelbraunen, fast schwarzen Augen erlosch und er spannte frustriert die Kiefermuskeln an. "Es ist wegen ihm, oder? Wegen Potter", Severus sprach James' Namen voller Verachtung aus. "Er will nicht, dass wir befreundet sind. Hat er etwa Angst, dich an mich zu verlieren? So ist es doch, hab' ich nicht Recht?", er spuckte wütend auf den Boden und sah sofort wieder so grimmig und schlecht gelaunt aus wie sonst. Ich für meinen Teil hatte keine Ahnung wovon er da faselte. Mich an ihn verlieren? Hä? Was war ich denn? Ein Gegenstand, den man von einem zum anderen weiter reichen konnte? Doch ich wollte ihn nicht verletzen. "Sev", sagte ich deshalb sanft, "Du, das ist nicht wegen James. Glaub mir, mit ihm hat das nichts zu tun." Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, weil James die Verbindung zwischen uns sicher nicht gut geheißen hätte. "Du und ich, wir haben uns beide verändert. Das wissen wir doch schon länger", meinte ich, klopfte ihm auf die Schulter und wollte schon gehen, aber er hielt mich zurück. "Na und?", erwiderte er in einem feurigem Ton, der für ihn mehr als untypisch war. "Warum sollten wir nicht trotzdem befreundet sein können? Du und James, ihr seid auch total unterschiedlich!", aus seiner Stimme klang Trotz und Verzweiflung heraus. "Ich und James, das ist etwas völlig anderes", sagte ich vorsichtig und neigte den Kopf leicht. "Bitte, Lily", flehte er. "Denk darüber nach. Ich vermisse dich. Vermisst du mich denn gar nicht? Sehnst du dich nicht manchmal nach den alten Zeiten, in denen wir noch befreundet waren?" Ehrlich gesagt ging es mir ohne Sev besser, das musste ich mir eingestehen. Er und meine Freunde, das war immer wieder aufeinander geprallt, das hatte erinfach nicht gepasst! Er hatte mir stets gesagt, was er an ihnen nicht gut fand und sie hatten mir immer damit in den Ohren gelegen, wie schlimm Sev war und dass er mir nicht gut tat. Und mit seinen Freunden kam ich auch nicht klar. Andererseits vermisste ich Severus manchmal wirklich. Damals war er aber noch nicht so düster gewesen, hatte andere Ansichten gehabt und war einfach freundlicher gewesen. Nicht so wie jetzt. Einige Späße, die er und seine Freunde machten, waren alles andere als lustig und von einem ganz anderem Schlag als die kindischen Streiche der Rumtreiber. Allerdings hatte man ihnen noch nie etwas nachweisen können. "Bitte. Überleg' es dir", wiederholte Severus und ließ mich allein zurück. Verwirrt drehte ich die rote Lilie in meinen zitternden Fingern hin und her.

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