2

19.8K 966 89
                                    

Hermine rüttelte Harry sanft an der Schulter, bis er die Augen öffnete.
»Wir sind da.«, sagte sie leise und richtete sich wieder auf. Harry richtete verschlafen seine Brille und strich sich die Haare aus der Stirn. Es schmerzte Hermine, Harry so fertig zu sehen. Sie wusste natürlich, dass die Verschlafenheit auch etwas ausmachte, aber die Trübe in seinen sonst leuchtend grünen Augen war ihr schon in den letzten Monaten aufgefallen.
Sie hielt Harry eine Hand hin und half ihm auf die Füße. Er strich seinen Umhang glatt und folgte Hermine dann aus ihrem Abteil. Ron und Ginny hatten das Abteil schon vorher verlassen müssen.
Als Hermine zusammen mit ihrem besten Freund aus dem Zug in den Nieselregen hinausstieg, schaute sie sich nach Ron um. Sie konnte seinen roten Haarschopf jedoch nirgendwo entdecken. Sie bemerkte nach einigen Schritten, dass Harry offensichtlich Schwierigkeiten hatte, mit ihr Schritt zu halten. Er sah verschlafen, verwirrt und überfordert aus. Wieder streckte Hermine ihren Arm nach ihm aus und Harry hakte sich bei ihr ein.
»Harry, du musst dich unbedingt ausruhen!«, sagte Hermine besorgt, während sie schon auf eine der von Thestralen gezogenen Kutschen zusteuerte.
Harry nickte. »Ich weiß.«
Hermine wusste, dass er in letzter Zeit schlecht schlief. Er hatte die Zeit nach dem Krieg entweder im Ministerium oder im Haus der Weasleys verbracht, ebenso wie Hermine.
Sie kamen bei einer Kutsche an. Hermine fand es äußerst angsteinflößend, den Thestral sehen zu können. Das Tier war zwar bei genauerem Hinsehen erstaunlich majestätisch und schön, aber die Tatsache, dass sie ihn sehen konnte...
In der Kutsche saßen schon zwei Personen. Es waren Draco Malfoy und Pansy Parkinson. Hermine packte Harry am Arm und sagte leise:»Komm, wir nehmen die nächste Kutsche.«
Sie wollte Harry aus der Kutsche ziehen, aber der legte eine Hand auf die ihre an seinem Arm.
»Schon okay«, sagte er beschwichtigend und anscheinend zu erschöpft, um sich jetzt über Malfoy aufzuregen. Sie setzten sich schweigend gegenüber der beiden Slytherins. Nicht mal Malfoy schien auf Streit aus. Er wippte gedankenversunken mit dem linken Bein und musterte sie nur für einen Augenblick. Pansy hingegen rümpfte angewidert die Nase. Sie warf Hermine nur einen giftigen Blick zu, Harry starrte sie die ganze Fahrt mit zusammengekniffenen Augen an. Der schien all das gar nicht zu bemerken.

Als Harry sich zwischen Ginny und Ron an den Tisch der Gryffindors in der großen Halle setzte, war das Einzige, was er noch hören wollte, die Worte, die Professor McGonagall - aktuelle Schulleiterin von Hogwarts - an alle Schüler richten würde. Er war gespannt, was seine Hausleiterin sagen würde, es gab schließlich genug Redestoff für das gesamte, restliche Schuljahr.
Die Einteilung der neuen Erstklässler beobachtete Harry zwar aufmerksam, merkte später aber, dass er sich an nicht mehr viel davon erinnern konnte. Als dann das Essen auf den Tellern erschien, war erstmal die Müdigkeit vergessen. Das Essen war wie immer gut und sie alle unterhielten sich und lachten. Selbst Harry konnte sich auflockern und sich einfach freuen, seine Freunde um sich zu haben, ohne einen gestressten Tag im Ministerium mit nervigen, immer gleichen Fragen und viel zu vielen Menschen um sich herum hinter sich zu haben.
Dann, als sie alle satt waren, stand Professor McGonagall vom Lehrertisch auf und wartete einen kurzen Moment, bis alle leise waren. Sie lächelte einmal matt in die Runde und begann dann zu reden.
»Liebe Schüler, willkommen zurück in Hogwarts! Wie die meisten von euch wahrscheinich schon wissen« - Harry musste darüber lächeln, dass sie die Schüler duzte, was sonst nicht so ihre Art war - »ist bereits das letzte Schuljahr anders verlaufen, als geplant. Das Schuljahr musste aufgrund der Schlacht im Mai dieses Jahres vorzeitig abgebrochen werden und das hat die gesamte Planung von uns Lehrkräften durcheinandergebracht hat. Eine Menge Unterrichtsstoff wurde ausgelassen. Ganz abgesehen davon, dass das letzte Jahr sowieso nicht ganz den Werten unserer Schule entsprach.« Harry musste daran denken, wie Hogwarts unter der Leitung von Severus Snape im letzten Jahr ganz gegensätzlich zu den anderen Jahren geführt wurde. Die Schüler wurden mit Angst diszipliniert. Er wollte nicht einmal an die Carrows denken.
»Und deswegen hat die Schulleitung von Hogwarts, wie ihr sicher auch wisst, entschieden, dass alle Schüler das letzte Schuljahr wiederholen. Es gibt deswegen eine entscheidende Änderung, die einigen Schnelldenkern schon aufgefallen sein sollte. Da sich alle Schüler in der gleichen Klassenstufe befinden, in der sie auch letztes Jahr Hogwarts besucht haben, aber wir trotzdem neue Erstklässler aufgenommen haben, gibt es dieses Jahr doppelt so viele Erstklässler wie üblich. Das lässt sich aber regeln. Es wird demzufolge für die erste Jahrgangsstufe dieses Jahr - und auch die sechs folgenden Jahre - vermutlich nie häusergemischten Unterricht geben. Aber genug davon.
Die Erstklässler seien belehrt, dass der Wald nicht zu betreten ist.
Zur Quidditchauswahl - ja, das Quidditchfeld ist wieder aufgebaut worden« Sie warf Harry einen zwinkernden Blick zu »wird euch Madame Hooch zu gegebener Zeit Bescheid sagen.
Die Vertrauensschüler bleiben in ihrem Amt. Sollten sich einige nicht dazu im Stande fühlen, geht bitte zu euren Hauslehrern und wir werden Verständnis zeigen und nach einem Ersatz suchen.
Gut, das soll es fürs Erste gewesen sein. Bei Fragen, sucht Lehrer auf. Nun wünsche ich euch eine gute Nacht! Die zuständigen Vertrauensschüler werden euch zu euren Häusern bringen.«
Kurzer Beifall erklang, der schnell im allgemeinen Lärm der aufstehenden Schüler verklang.
Harry wollte sich an Ron und Hermine halten, bis ihm einfiel, dass die beiden ja Vertrauensschüler waren. Also musste er - was er im Moment nicht unbedingt wollte - mit Ginny zum Gemeinschaftsraum gehen. Sie hielt seine Hand, aber Harry schenkte ihr sonst keine Beachtung.
Als sie dann endlich zu viert auf einigen Sesseln alleine im Gemeinschaftsraum saßen, war Harry fast nicht mehr im Stande zu denken. Seine Augen fielen ihm fast zu, auch wenn er gerade erst im Zug geschlafen hatte.
»Tut mir leid, ich gehe schlafen.«, sagte er müde und stand aus seinem Sessel auf. Ron hob die Hand und lächelte als Gute-Nacht-Gruß, Hermine stand liebevoll lächelnd auf und ließ sich von Harry umarmen und Ginny gab er einen halbherzigen Kuss auf die Haare. Dann stieg er die Treppe hinauf zu den Betten.
Seamus Finnigan und Neville Longbottom lagen schon in ihren Himmelbetten und schliefen. Dean Thomas saß noch aufrecht in seinem Bett und las. Er nickte Harry kurz zu und richtete seinen Blick dann wieder in sein Buch. Harry zog sich um und legte sich dann hin. Er schlief fast sofort ein.

Draco Malfoy saß im Gemeinschaftsraum der Slytherins und dachte nach. Das hatte er jetzt getan, seit er Potter in dem Zugabteil gesehen hatte. Am Anfang hatte er noch versucht, das Thema aus seinen Gedanken zu verbannen, hatte aber schell eingesehen, dass es keinen Sinn hatte. Er konnte sich nicht ablenken. Er hatte gesehen, dass Potter verdammt erschöpft gewesen war. Dann, in der großen Halle, hatte Draco ihn lange genug beobachten können, dass er wusste, dass er sich seiner Pflichten bewusst war, dass er seine Freunde nicht belasten wollte, aber vor allem wusste er, dass er müde gewesen war. Draco stellte sich nun schon die ganze Zeit die Frage, ob es vielleicht doch nicht so einfach war, ein Held zu sein. Er selbst - als genauer Gegensatz zu Potter - hatte ja keine Ahnung davon, wie es war, einer zu sein. Potter war als Kind zweier beliebter, talentierter Zauberer auch als Baby schon ein bekannter Zauberer, aber nicht bekannter, als Draco es heute war. Dann, als er ein wenig älter als ein Jahr alt war, wurde er zu einer Legende. Einer lebenden Legende. Er war berühmt, ohne, dass er es wusste. Innerhalb einer Nacht so berühmt wie Voldemort selbst. Sein Ruf war ihm immer vorausgeeilt. Und dann war Potter nach Hogwarts gekommen und hatte sich jedes Jahr mehr Hochachtung dazuverdient.
Und was bin ich dagegen? Nichts. Noch vor einem Jahr hätte Draco das Wissen gereicht, ein Reinblüter zu sein. Er war zwar immer eifersüchtig auf seinen Erzfeind gewesen, hatte das aber immer mit einer Maske aus Hass und dem Bewusstsein, als Reinblüter mehr wert zu sein als Potter, überspielen können. Seit Draco sich vorgenommen hatte, die Welt - selbst Potter - in einem neutraleren Licht zu sehen, hatte er erkannt, dass Potter kein Angeber war, sondern ein wirklicher Held. Draco hätte ihm all die Jahre Respekt zollen, und nicht immer nur Hass entgegen bringen sollen. Hätte er bei seiner ersten Begegnung mit ihm in Madame Malkins nicht so hochnäsig gewirkt, hätte Potter seine Hand vielleicht nicht abgeschlagen, als er sie ihm an ihrem ersten Tag in Hogwarts angeboten hatte.
Das hätte Alles geändert, dachte Draco. Vielleicht, oder sogar wahrscheinlich, wäre dann Draco an Potters Seite berühmt geworden und nicht dieser unfähige Ron Weasley. Mal ganz ehrlich, was hatte der in all der Zeit zu Potters Taten beigetragen? Im ersten Jahr hatte er ein Schachspiel gewonnen. Oh wow. Draco verdrehte instinktiv die Augen. Im zweiten Jahr hatte er Potter durch ein bisschen Steine schleppen aus der Kammer des Schreckens geholfen, was Potter auch alleine mit einem Zauberspruch geschafft hätte. Im dritten Jahr hatte er bewusstlos im Krankenflügel gelegen, während Potter und Granger durch die Zeit gereist sind (diese Geschichte hatte Draco erst vor Kurzem erfahren). Das war wohl auch keine große Leistung. Im vierten Jahr hatte er... ja, was hatte er da getan? Nichts? Richtig. Im Jahr darauf hatte er immerhin in "Dumbledores Armee" mitgemacht, aber mal ehrlich, das hatte sogar Neville Longbottom getan, also konnte es ja keine so große Tat sein. Im sechsten Schuljahr war Weasley Hüter und Vertrauensschüler geworden - so ungefähr das Einzige, was Potter nie gewesen war. Aber das nur, weil er wichtigere Dinge zu tun gehabt hatte, als kleine Kinder vom Mittagstisch ins Bett zu bringen. Und dann im letzten Jahr... ja gut, Weasley hatte ein paar Todesser getötet, aber das hatten viele Leute getan. Also zusammengefasst: Draco wäre, hätte er Potters Gunst gewonnen, ein deutlich besserer Begleiter gewesen.
Draco bemerkte erst jetzt, dass die negative Energie ihn wieder in Anspruch genommen hatte. Er schüttelte einmal den Kopf, um die Gedanken loszuwerden, stand dann auf und ging in sein Zimmer.

Why? || DrarryWhere stories live. Discover now