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Am nächsten Morgen empfand Draco eine unglaubliche Sehnsucht nach Harry.
Einerseits fühlte er sich schrecklich, weil die Sehnsucht ihn sich ganz leer fühlen ließ. Als würde etwas in ihm fehlen. Andererseits fühlte er sich einfach wunderbar, weil er wusste, dass er keine Sehnsucht nach Harry haben musste. Sobald er ihn nachher sehen würde, gäbe es keinen Grund mehr für irgendwelche negativen Gefühle.
Mit neuer Vorfreude machte er sich auf zum Frühstück.
Sobald er die Slytherinkerker verließ, schaute er sich pausenlos in den Gängen um, in der Hoffnung Harry irgendwo zu entdecken. Und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis er am Ende eines Flures Harry in Begleitung seiner besten Freunde sah. Er hatte Draco noch nicht gesehen, aber der Slytherin änderte sofort seine Richtung und steuerte auf seinen Freund zu. Er sah, wie Harry den Blick nach unten gerichtet hatte und lachte, während Granger irgendwas zu erzählen schien. Dracos Herz begann schneller zu schlagen und ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Wie kann er nur so gut aussehen?
Harry trug genau wie Draco seine gewöhnliche Schuluniform. Er sah auch sonst so aus wie immer - wunderschön. Die wirren, schwarzen Haare lagen wie üblich wild auf seinem Kopf. Draco liebte diese Haare.
In diesem Moment hob Harry den Kopf und blickte Draco direkt in die Augen. Sofort festigte sich das Lachen auf seinem Gesicht zu einem verliebten Lächeln und Draco schmolz dahin. Auch Weasley und Granger schienen ihn jetzt zu entdecken.
»Schau mal einer an, wen haben wir denn da?«, fragte Ron grinsend. »Und hört auf, euch so hirnlos anzulächeln, ihr benehmt euch ja wie Lavender Brown.«
»Du und Hermine, ihr habt euch am Anfang doch genauso benommen.«, meinte Harry ohne den Blick von Draco zu nehmen. Dieser schloss jetzt die letzten Schritte zu ihnen auf und drängelte sich zwischen Hermine und Harry, um dessen Hand zu nehmen.
»Ach Harry, ich bitte dich! Ihr seht euch noch den ganzen Tag lang.«, Ron grinste immer noch, versuchte aber genervt auszusehen.
»Sei leise, Wiesel.«, grinste Draco zurück. Es war schon seltsam, wie eine einzige Person - Harry Potter - eine jahrelange Feindschaft urplötzlich quasi ungeschehen machen konnte. Harry war derjenige, der Draco ab jetzt mit Ron und Hermine verband, und Harry zuliebe konnten sowohl Hermine und Ron als auch Draco die ehemalige Feindschaft vergessen. Aber vielleicht lag es nicht einmal nur an Harry. Vielleicht war der Hass, den Draco gegenüber allen empfunden, jetzt aber abgelegt hatte, der einzige Grund für ihre Distanz gewesen. Vielleicht waren ihre Persönlichkeiten nicht mal so verschieden. Wenn Draco Malfoy sich in Harry Potter verlieben konnte, dann konnte er auch mit einem Weasley befreundet sein.
»Und ihr tragt das jetzt einfach so an die Öffentlichkeit?«, fragte Hermine. »Das ist wirklich ziemlich mutig.«
»Die Leute sollen das lieber offen durch uns erfahren, als es irgendwann als Gerücht und Total-Sensation in der Hexenwoche zu sehen.«, antwortete Harry und klang wenig besorgt - was Draco noch mehr in ihrer Beziehung bestärkte.
»Außerdem: wozu ist Harry ein Gryffindor, wenn nicht, um etwas Mutiges zu tun?«, fragte Draco und nutzte den Kontext, um Harry endlich einen Kuss auf die Wange zu drücken. Der Kleinere nahm ihn mit einem liebevollen Blick zur Kenntnis.
Einige Meter gingen sie schweigend nebeneinander her, Draco begann, mit seinem Daumen über Harrys Hand zu streichen.
Dann kamen sie in einen belebteren Gang und Draco spürte, wie Harry sich leicht verkrampfte.

Draco lehnte sich sofort zu Harry hin.
»Du musst sie einfach ignorieren. Es ist doch egal, wenn sie über dich reden. Über uns.« Wäre Harry nicht plötzlich total nervös gewesen, hätte er Draco geküsst, weil er so süß und fürsorglich war. Doch er war total nervös. Ohne es zu wollen, drückte er Dracos Hand fester. Der Blonde hörte nicht auf, beruhigend mit seinem Daumen über seinen Handrücken zu streicheln. Für Harry fühlte es sich an, als würden sich augenblicklich alle Augen auf ihn richten. Auf ihn und Draco und ihre Hände. Draco wirkte einigermaßen selbstbewusst und er sorgte dafür, dass Harry nicht komplett einfiel und Schritt halten konnte. Harry merkte unterbewusst, wie er anfing schneller zu atmen und seinen Blick starr auf den Boden gerichtet hatte.
Es dauerte nicht lange, bis einige Schüler anfingen, ihnen hinterher zu pfeifen oder zu rufen - ganz abgesehen von dem energischen Gemurmel und Getuschel, das ihnen folgte. Harry fokussierte sich immer mehr auf den Boden und seine Schulterblätter näherten sich einander immer weiter. Die Anspannung brachte ihn fast um. Wahrscheinlich hatte er seine Berühmtheit noch nie so sehr gehasst, wie er es jetzt tat. Wenn er nicht Harry Potter wäre, wäre diese ganze Sache mit Draco überhaupt nicht so aufsehenerregend. Aber das war sie und das war selbst für Harry zu viel, der aufdringliche Blicke wirklich gut kannte.
Doch dann begann Draco wieder ganz leise beruhigend auf ihn einzureden. Und es half. Zumindest ein wenig. Harry konnte ein bisschen versuchen, die anderen Schüler auszublenden.
»Harry«, hörte er Ron dann von seiner anderen Seite her murmeln. »Ich schätze, das mit dem Artikel in der Hexenwoche wird sich nicht vermeiden lassen. Den wird es trotzdem geben. Lass uns um zehn Silbersickel wetten, dass Rita Kimmkorn in spätestens zwei Tagen hier in Hogwarts auftaucht.«
»Das wird sie nicht.«, antwortete Harrys leise. »Professor McGonagall würde sie umbringen.«
»Dann wird sie sich irgendetwas aus den Fingern ziehen, ganz sicher. Ich sehe die Schlagzeile schon vor mir: ›Nach einem schockierenden Outing ist Harry Potter jetzt offiziell mit einem ehemaligen Todesser zusammen!‹« Harry spürte, wie sich Dracos Hand bei dem Wort Todesser ein bisschen verkrampfte.
»Sag mal Ron, wieso wirst du nicht Journalist? Du mit deinen ganzen Schlagzeilen.«, fragte Harry ruhig und hoffte, von dem Harry-Potter-Draco-Malfoy-Todesser-Sensationsthema wegzukommen.
»Ich möchte der Kimmkorn ja nicht ihren Job wegnehmen.«
Jetzt musste Harry doch leicht grinsend die Augen verdrehen.
Sie betraten die große Halle und Harry hatte das unangenehme Gefühl, dass plötzlich alles still wurde. Sofort sah er wieder auf den Boden, um keinen der schockierten Blicke erwidern zu müssen. Langsam spürte er, wie Draco seine Hand losließ und ihm einen Kuss auf die Haare drückte.
»Wir sehen uns nachher.«, murmelte er mit einem kleinen ermutigenden Lächeln auf dem Gesicht. Dann drehte er sich um und ging zum Slytherintisch. Viele Blicke folgten ihm und Harry war froh, Hermine und Ron auf dem Weg zu seinem hauseigenen Tisch an seiner Seite zu haben. Als er sich setzte, platzte die Stille und ein absoluter Stimmenhagel brach auf ihn ein.

Draco setzte sich wie immer in den letzten Tagen neben Blaise. Pansy, die gegenüber von ihm mit weit aufgerissenem Mund saß, ignorierte er einfach. Blaise sah einfach auf seinen Teller.
»Harry Potter also?«, fragte er ruhig. Dann bildete sich langsam ein Lächeln auf seinem Gesicht und er blickte auf. »Draco, mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher, ob du nicht doch einen Dachschaden hast.« Draco grinste erleichtert. Blaise konnte wirklich ein guter Freund sein - solange man ihn nicht unterdrückte und ihn zu seiner ›Leibgarde‹ machte.
»Wer von euch beiden hat sich diesen epischen Auftritt ausgedacht?«, fragte Blaise grinsend weiter. »Ich meine, hier Händchen haltend reinzukommen, dann noch einen Kuss auf die Haare und ein wortloser, liebevoll gequälter Abschied... Und dann haben alle so perfekt gleichzeitig aufgehört zu reden und haben sich zu euch umgedreht, als ihr reingekommen seid. Wie als wäre es perfekt geplant. Sehr stilvoll.«
»Harry Potter kann eben nicht einfach unbemerkt mit einem Jungen zusammenkommen.«
»Wohlgemerkt nicht mit irgendeinem Jungen. Mit dir, seinem größten Erzfeind!«
»Ich weiß, irgendwie die Ironie des Lebens...«
»Aber du lädst mich doch zu eurer Hochzeit ein, oder? Ich würde den Trauzeugen machen, auch wenn Potter mich wohl hasst. Aber wenigstens Ringträger könnte ich sein. Obwohl, bestimmt will niemand einen schwarzen Ringträger haben.« Er strich sich über seine dunkle Hand. »Aber weißt du Draco, ich könnte dich auch zum Altar führen. Eigentlich sollten das ja deine Eltern machen, aber ich wette, dein Vater enterbt dich jetzt. Und deine Mutter wird auch nicht gerade stolz auf dich sein. Also kann ich das ja machen.«
»Ich wusste gar nicht, dass du so viel reden kannst.« Draco schüttelte grinsend den Kopf legte sich etwas Essen auf den Teller.
Er unterhielt sich noch weiter mit Blaise und mit jedem Wort sah er aus dem Augenwinkel, wie Blaise' Miene gelassener und Pansys düsterer wurde.
Als er dann sah, wie Harry irgendwann aufstand - sofort lagen wieder alle Blicke auf ihm -, erhob auch er sich. Er lief hinter Harry aus der Großen Halle, der jetzt schon deutlich weniger unsicher wirkte. Dann blieb Harry nach einer Weile stehen und drehte sich zu Draco um.
»Ich sollte mir überlegen, in Zukunft immer Vielsafttrank zu trinken. Ich hasse es, Harry Potter zu sein.«
»Aber ich liebe, dass du Harry Potter bist.«, lächelte Draco und schlang seine Arme um Harry. Dann legte er seine Lippen auf Harrys. Es war genauso wunderbar wie gestern. Draco spürte sofort, wie die letzte Anspannung von Harry abfiel. Dann lösten sie sich wieder voneinander.
»Und ich liebe, dass du du bist.«, hauchte Harry.
»Du hast deine Schultasche noch nicht hier.«, stellte Harry nach einem Moment fest. Draco seufzte leise.
»Dann holen wir sie.« Er nahm die Hand seines Freundes und sie schlugen den Weg zu den Kerkern ein.
»Wo wollt ihr denn hin?«, fragte plötzlich Hermine, die mit Ron in der Tür der Großen Halle stand.
»Wir holen meine Schultasche.«, sagte Draco ohne sich umzudrehen.
Er hörte Ron hinter sich lachen. »Na dann mal viel Spaß beim Schultasche holen

Why? || DrarryWhere stories live. Discover now