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Harry saß im Krankenflügel auf einem der Betten und wartete darauf, dass Madame Pomfrey endlich wiederkam. Hermine hatte ihn besorgt hierher gebracht, auch wenn Harry ihr tausendmal versichert hatte, dass ihm überhaupt nichts fehlte. Malfoy, dessen brillante Idee, das Halsband zu kürzen, ein wenig schiefgegangen war, hatte mit Neville bei den anderen Schülern bleiben müssen. Aber Harry war ihm nicht böse. Er wusste, dass er er nicht mit Absicht getan hatte und es hatte die Stimmung zwischen ihnen deutlich aufgelockert. Aber Harry war sich trotzdem sicher, dass Malfoy nicht ungestraft davon kommen würde, denn er hatte einen Mitschüler verletzt.
Seine Fingerkuppe war schon wieder am Finger - Madame Pomfrey hatte sie mit einem Zauberspruch ganz einfach wieder herangehext - und sie tat auch nur noch ein bisschen weh, aber Madame Pomfrey wollte unbedingt noch eine Salbe raufschmieren.
Als Harry endlich den Krankenflügel verlassen konnte, wollte er zurück zu Hagrids Hütte, um weiter beim Unterricht zuzuhören. Da fiel ihm der Brief ein, den er heute bekommen hatte. Wenn er jetzt schon einmal Zeit hatte, konnte er gleich zu Professor McGonagall gehen und ihr seine Bitte vortragen. Er wechselte die Richtung und lief, bis er den Wasserspeier sah. Er sah immer noch ein wenig demoliert aus. Harry fiel ein, dass er das Passwort nicht wusste, aber glücklicherweise wurde es nicht von ihm verlangt. Er wurde einfach so auf die Wendeltreppe gelassen. Vor der Tür des Büros betätigte er den Türklopfer. Die Tür schwang von selbst auf.
Professor McGonagall stand hinter dem großen Schreibtisch und sah äußerst hysterisch aus. Sie blickte empört einen weißblonden Schüler an, der auf dem Stuhl vor dem Tisch saß. Draco Malfoy.
»Und wenn sie nicht aufgepasst hätten-«, brach sie ihren Satz ab, als sie sah, dass Harry den Raum betrat. Malfoy drehte sich ebenfalls um und begutachtete Harry. Als er seinen Verband an der linken Hand sah, grinste er.
»Mr. Potter, wieso sind Sie hier? Und Mr. Malfoy, was gibt es jetzt für einen Grund, dass Sie so unverschämt grinsen? Glauben Sie mir, Sie haben keinen Grund, sich jetzt auch noch über Harry Potter lustigzumachen! Sie haben ihn schon mutwillig verstümmelt. Und ich bin mir sehr sicher, dass es nichts weiter als eine dreiste Lüge ist, wenn Sie behaupten, dass Sie Harry Potter nur ›aus Versehen eine Fingerkuppe abgetrennt‹ haben. Ich kenne die Differenzen zwischen Ihnen beiden und Mr. Malfoy, Sie können sich sicher sein, dass Sie nicht damit durchkommen, unschuldige Schüler zu-«
»Professor!«, unterbrach Harry sie - Draco grinste immer noch dämlich und Harry musste sich anstrengen, nicht auch zu lachen. »Malf- Draco hat es wirklich nicht mit Absicht gemacht! Sie können mir glauben, er wollte nur das Halsband unseres Diricawls kürzen. Hagrid hat nicht mitbekommen, was passiert war, deswegen denkt er wahrscheinlich, dass das ein kaltblütiger Mordanschlag war, weil M- Draco und ich nicht immer...ganz einer Meinung sind.« Professor McGonagall schien sogar noch überraschter als Malfoy, dass Harry ihn verteidigt hatte.
»Ich kann mir zwar nicht erklären«, sagte die Schulleiterin zögernd, »wieso Sie sich so engagiert für ihren Mitschüler einsetzen, Mr. Potter, aber wenn Sie der Meinung sind, dass Mr. Malfoy unschuldig ist...«
»Das bin ich!«, sagten Malfoy und Harry gleichzeitig. Beide mussten grinsen. Professor McGonagall sah sie prüfend an. Dann sagte sie:»Also schön. Dann können Sie gehen, Mr. Malfoy. Aber lassen Sie sich gesagt sein, dass Slytherin fünf Punkte abgezogen werden!« Malfoy zuckte grinsend mit den Schultern, stand auf und verließ das Büro. Harry schaute wieder zu McGonagall. Sie schaute ihn immer noch prüfend an.
»Und Sie sind sicher, dass Sie nicht unter dem Imperius-Fluch von Draco Malfoy stehen?«, fragte sie Harry. Er lachte.
»Nein, Professor, keine Angst, das tue ich nicht. Es war wirklich keine Absicht.«
»Nun gut, dann sagen Sie mir bitte, warum Sie hier sind.«
»Kennen Sie Andromeda Tonks?«, fragte Harry seine Hauslehrerin.
»Ja, die Mutter von Nymphadora«
»Genau, und Sie haben sicher auch von Tonks' und Lupins Sohn Ted gehört?!«
»Ja, richtig, Edward Remus, heißt der Kleine, nicht wahr? Wenn ich mich nicht irre, sind Sie der Pate.«
»Sie irren sich nicht, Professor. Ich bin der Pate von Teddy. Andromeda hat mir einen Brief geschickt. Eine Einladung. Sie würde sich freuen, wenn ich sie und mein Patenkind am übernächsten Wochenende besuchen käme, aber das ginge nur mit Ihrer Erlaubnis, Professor.« Sie schien kurz zu überlegen.
»Ich habe nun wirklich nichts dagegen, das können Sie mir glauben, Potter, aber ich überlege noch, wie wir Sie dort hinkommen. Natürlich könnten Sie fliegen, aber das wäre zu zeitaufwändig. Apparieren würde ich an Ihrer Stelle auch nicht empfehlen, weil Sie nie dort waren. Sie wissen nicht genau, wo das Haus von Andromeda ist, schließlich ist sie umgezogen. Ich werde darüber nachdenken, aber keine Angst, Sie dürfen gehen, Potter. Ich werde Ihnen rechtzeitig Bescheid geben, wie dies geschehen wird.« Harry nickte und war sehr froh, dass Professor McGonagall ihn gehen ließ. Sie schien noch kurz nachzudenken.
»Gut, wie gesagt, ich werde Sie benachrichtigen. Aber jetzt sollten Sie zurück zum Unterricht. Gute Besserung Ihrer Hand.«
»Danke Professor!«, sagte Harry und verließ das Büro.

Während Longbottom eine nahrhafte Milch anrührte, beobachtete Draco gerade den kleinen - wieder schlafenden - Diricawl, der jetzt glücklicherweise sein Halsband trug, als Potter angelaufen kam.
»Bin wieder da, Hagrid!«, rief er und kam dann zu Draco und Longbottom.
»Was machst du da, Neville?«, fragte er.
»Hagrid hat gesagt, dass ich eine Milch für den Kleinen machen soll. Er hat uns vorhin gezeigt wie das geht, als ihr beide weg ward. Geht es deiner Hand gut, Harry?«
»Jap, alles super! Oh, er trägt ja das Halsband! Wer hat ihm das umgemacht?«
»Ich«, sagte Draco.
»Name«, sagte Longbottom jetzt.
»Was?«, fragte Draco.
»Wir brauchen einen Namen für ihn, sagt Hagrid, damit man ihn besser erziehen kann.«, erklärte Neville. Draco runzelte die Stirn. Ein Name.
»Ich bin für Tom.«, sagte Neville.
»›Tom‹ wie ›Tom Riddle‹?«, fragte Potter, »Nein danke!« Longbottom schaute beschämt zu Boden. Er hatte bestimmt nicht die Absicht gehabt, ihr kleines Adoptiv-Küken nach dem schrecklichsten schwarzen Zauberer zu benennen, den es je gegeben hatte.
»Ich habe eine Idee«, sagte Draco, »Ich würde ihn nach irgendwem benennen. Weil es aber schwer wird, jemanden zu finden, den wir alle drei gut finden, um den Diricawl dann nach ihm zu benennen, nehmen wir einfach jemanden, den wir alle drei nicht leiden können. Wie wäre es mit Gilderoy?«
»Gilderoy? Wie Gilderoy Lockhart? Gilderoy ist der bescheuertste Name, den es gibt!«, sagte Potter.
»Gerade deswegen ja! Wir nennen unseren Diricawl nicht Tim, Tom, Neville, Harry oder Draco. Wir sind kreativ!«
»Dann hasse ich Kreativität.«, sagte Neville.
»Ich find's lustig.«, sagte Potter, »Gilderoy ist gut. Passt überhaupt nicht zu dem kleinen, süßen Vogel. Ist das okay für dich Neville?«
»Meinetwegen«, antwortete er.
»Gut«, sagte Potter. »Ich war ja eben eine Weile nicht da. Erklärt ihr mir, wie das mit dem Halsband funktioniert?«
»Ja«, begann Longbottom. »Wenn wir den Dirica- wenn wir Gilderoy aus dem Käfig nehmen, kann er sich sofort irgendwo innerhalb des Schutzzaubers von Hogwarts hinapparieren. Wenn wir wollen, dass er zurück zu uns kommt, müssen wir einfach Accio benutzen. Das Halsband von Gilderoy ist magisch mit unseren drei Zauberstäben verbunden. Das Halsband verändert die Wirkung von Accio ein wenig. Wenn wir dann ›Accio Gilderoy‹ sagen, nimmt das Halsband die Fähigkeiten von einem Diricawl an und lässt sich - mitsamt Gilderoy - disapparieren hin zu dem Zauberer, der das Accio ausgesprochen hat.«
»Das hört sich doch gut an.«, nickte Potter.
»So, jetzt ist gleich Pause.«, unterbrach Hagrid alle Gespräche, »Ich habe euch alles erklärt, was ihr wissen müsst. Einigt euch, in welchen eurer Schlafsäle ihr euren Diricawl stellt. In der Nacht muss er im Käfig sein! Denkt daran, dass sie noch kleine Küken sind und wahrscheinlich noch nicht alle Fähigkeiten eines ausgewachsenen Diricawls besitzen. Seid geduldig. Und quält sie nicht! Vergesst nicht, dass ihr einen Aufsatz über das Aufziehen eines Diricawls schreiben müsst. Wir sehen uns nächste Woche. Viel Glück mit euren Kleinen!«
Nachdem sich die Drei geeinigt hatten, den Vogel erstmal bei Draco zu lassen, machten sie sich auf den Weg zu den Kerkern.
Draco schlief nicht in einem Schlafsaal mit Theodore Nott - dem einzigen Jungen aus Slytherin, der auch zur Vollendung des siebten Schuljahres zurückgekehrt war. Im Haus der Slytherins herrschte seit dem Krieg deutliche Unterbevölkerung. Draco und Theodore hatten beide kleine, eigene Räume mit Bett, Kommode und Tischchen bekommen. Draco fand das wunderbar.
»Du hast einen eigenen Raum?«, fragte Potter, als Draco die Tür hinter sich schloss.
»Ja, in Slytherin ist halt nicht jeder Zweite - so wie in Gryffindor. Hier ist jeder Schüler etwas Besonderes.«
»Schon verstanden, Mr. Draco-Hochnäsig-Slytherin-Malfoy.«, Potter rollte genervt mit den Augen. Longbottom stand verunsichert in einer Ecke und hielt den Käfig.
»Ich spreche nur die Wahrheit, Mr. Harry-Auserwählter-Muttersöhnchen-Eingebildet-Pseudoheld-Potter.«
»Ähhh, ich will euch ja echt nicht unterbrechen«, sagte Neville, »aber was ist mit Gilderoy?«
»Stell ihn dort auf den Schreibtisch. Ihr könnt jetzt gehen. Keine Angst, ich werde ihn schon nicht aufessen.«
Longbottom ließ sich nicht zweimal dazu auffordern, Draco zu verlassen. Aber Potter warf Draco noch einen zweifelnden Blick zu. Dann ging er auch.
Draco atmete erleichtert durch. Endlich alleine. Zwar nur, bis die nächste Stunde begann, aber das reichte ihm schon aus. Er ging zu dem Vogelkäfig und öffnete leise die Tür. Vorsichtig nahm er das kleine Küken aus dem Inneren und legte es auf seiner Handfläche ab. Das schlafende Vögelchen war so winzig. Hätte Draco seine Hand geschlossen, hätte er es zerquetscht. Er streichelte vorsichtig mit seinem Daumen über den weichen Flaum. Wie, als hätte Draco ihn mit einer Nadel gestochen, hob es den Kopf und starrte Draco unschuldig mit winzigen, schwarzen Knopfaugen an.

Why? || DrarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt