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Draco sah Harry gerade aus der Eingangshalle in Richtung einer Treppe verschwinden. Mit leisen, schnellen Schritten hastete er ihm hinterher. Um es so aussehen zu lassen, als wäre er zufällig auch gerade hier, tat Draco so, als wäre er überrascht Harry zu sehen.
Draco zog geräuschvoll die Luft ein und schloss dann zu ihm auf. Ohne es zu auffällig wirken zu lassen, verlangsamte er sein Tempo.
»Was?«, fragte Harry ihn und Draco atmete erleichtert aus. Er war froh, dass er das Gespräch nicht hatte anfangen müssen. Das wäre dann wohl doch etwas zu offensiv gewesen.
»Was soll denn sein?«, fragte Draco unschuldig und legte auch ein ganz wenig Arroganz in seine Stimme, um ihn nicht zu misstrauisch zu machen. Schließlich hatte Harry keine Ahnung davon, dass Draco ihn nicht mehr hasste - ganz im Gegenteil.
»Bist du gekommen, um mich auszulachen?«, fragte Harry geschlagen.
»Ich bin nicht gekommen.«, umging Draco die Frage. Es fiel ihm schwer, Harry nicht anzusehen. Aber würde er sein Gesicht einmal sehen, würde er nicht mehr wegschauen können. In diese Situation wollte er nicht unbedingt kommen.
»Wieso bist du dann hier, Malfoy?« Draco fühlt sich angegriffen dadurch, dass Harry ihn immer noch beim Nachnamen nannte, obwohl er wusste, dass er nichts anderes zu erwarten hatte. Draco hatte sich zwar in Harry verliebt, aber das beruhte ja ganz offensichtlich nicht auf Gegenseitigkeit, was Draco nur zu gut verstehen konnte. Er würde sich auch hassen.
»Darf man sich jetzt nicht mal mehr in Hogwarts bewegen?«, fragte Draco als Gegenfrage.
»Komm schon, du bist doch nicht zufällig hier. Ich habe dir schon heute morgen gesagt, dass du ein schlechter Lügner bist, aber du willst ja nicht hören.«
»Natürlich bin ich zufällig hier«, log Draco. »Was denkst du denn sonst? Dass ich hergekommen bin, weil ich dich vermisst habe und gerne wiedersehen wollte?! Mach dich nicht lächerlich« Es stach ihn, dass es die Wahrheit war. Harry blieb stehen und wartete, bis Draco auf derselben Stufe stand wie er.
»Vielleicht hast du mich ja wirklich vermisst. Spätestens jetzt würde dir ja nichts mehr im Weg stehen. Ich bin schwul.«, sagte Harry sarkastisch. Wenn es doch so einfach wäre, dachte Draco. Er konnte es nicht mehr unterdrücken und schaute in die grünen Augen, die ein wenig müde den Blick erwiderten.
»Du hast die Augen deiner Mutter, Harry.«, sagte Draco und fragte sich sofort, wieso er das getan hatte. Schließlich hatte er weder Lily Potter gekannt noch irgendeinen anderen Grund, Harry auf seine Augen anzusprechen, wie es sonst immer alle taten. Aber es war ihm einfach in den Kopf gekommen und dann hatte er es gesagt.
»Sag mal, was hast du heute eigentlich genommen, Malfoy? Leg dich lieber hin und schlaf, bis du es überstanden hast. Ich habe jedenfalls Besseres zu tun, als mich mit dir zu unterhalten. Ich habe meine eigenen Probleme, glaub mir. Grüß Gilderoy von mir.« Dann ging Harry weiter und ließ Draco einfach stehen. Er schaute ihm sehnsüchtig nach. Während Harry die Stufen hochstieg, beobachtete Draco das gleichmäßige Wippen seiner Hüfte dabei. Er seufzte, als Harry aus seinem Blickfeld verschwand.

Harry stand in der Mitte des vollkommen leeren Quidditchstadions. Er wartete, auch wenn er wusste, dass es noch ewig dauern würde, bis jemand kam. Die Auswahl für das Gryffindor Qudditchteam würde erst in etwa einer halben Stunde beginnen. Aber Harry genoss es, in der feuchten Herbstluft zu stehen und keine Leute um sich zu haben, die ihn anstarrten und ihn fragten, ob es nun wirklich wahr sei, dass er schwul ist und wie es sich anfühlt. Er brauchte eine Pause von allem.
Nachdenklich strich er über seinen neuen Nimbus 2000. Er hatte ihn sich im Juni gekauft. Nachdem er seinen Feuerblitz vor einem Jahr auf dem Weg vom Ligusterweg zum Haus der Tonks' verloren hatte, hatte er auf der Suche nach den Horkruxen keine Zeit gehabt, um das verlorene Geschenk von Sirius zu trauern. Nach der Schlacht allerdings hatte er schnell gemerkt, dass Fliegen ihm half, die schlimmen Erinnerungen und die Trauer um die Gefallenen zu verarbeiten. Beim Fliegen fühlte er sich frei, so war es immer gewesen. Allerdings hatte er seinen Feuerblitz verloren und hatte keinen eigenen Besen, den er immer bei sich haben konnte. Deswegen hatte er gewusst, dass er wieder einen Besen brauchte. Die Möglichkeit, sich wieder einen Feuerblitz zu kaufen, hatte er aus verschiedenen Gründen schnell abgetan. Er hatte sich schnell für den Nimbus 2000 entschieden. Allein als Tribut an seinen ehemaligen Nimbus, der in seinem dritten Jahr zerschmettert worden war. Oder besser gesagt zerpeitscht. Harry wusste noch genau, wie traurig er damals gewesen war und jetzt hatte er ihn zurück. Es war zwar nicht der selbe Besen, aber die selbe Verbindung zu ihm. Optisch war er natürlich nicht von seinem alten zu unterscheiden.
Harry stieg auf den Besen und stieß sich leicht mit den Füßen vom Boden ab. Sanft schwebte der Besen höher und es zauberte Harry ein Lächeln ins Gesicht. Es war windstill und Harry
wollte diese natürliche Ruhe nicht zerstören und bewegte sich deshalb kaum in der Luft.
Bald schwebte er hoch über dem Stadion und überblickte die Ländereien von Hogwarts. Er schaute hoch in den Himmel. Der Himmel war klar und die Luft kalt.
»Du merkst es wohl nie!«, schrie plötzlich eine Stimme zu ihm hoch. Harry zuckte zusammen. Er warf den Blick auf den Rasen des Stadions unter ihm. Dort war niemand. Er suchte die Ränge mit den Augen ab, sah aber nichts.
»Blind wie ein Maulwurf - trotz der Brille!« Diesmal hörte Harry, dass die Stimme von einem der Slytherin-Zuschauerränge kam. Er flog näher heran und dann entdeckte er ihn.
»Verfolgst du mich eigentlich?«, fragte Harry, als er Malfoy erkannte. Dieser grinste nur.
»Du scheinst blind zu sein, Harry. Ich bin schon seit bestimmt zehn Minuten hier. Und du rallst es einfach nicht!«, antwortete er, ohne Harrys Frage zu beachten.
»Wieso bist du hier?«, fragte Harry.
»Déjà-vu«, grinste Malfoy.
»Was?«
»›Wieso bist du hier?‹ Das hast du heute schon mal zu mir gesagt.«
»Vielleicht, weil du mich heute auch schon mal verfolgt hast!«
»Ich verfolge dich nicht!«
»Ach nein? Wieso bist du dann hier?«
»Weißt du, Harry, ich habe mir gedacht, ich kann beim Quidditch-Gryffindorauswahltraining mitmachen und vielleicht Sucher im Gryffindorteam werden. Oder vierter Jäger. Ich glaube, meine Chancen stehen nicht schlecht.«
»Sehr witzig.«, sagte Harry trocken.
»›Witzig‹ ist mein zweiter Vorname!«
»Das freut mich für dich. Würdest mir denn bitte verraten, warum du wirklich hier bist oder muss ich dir die Frage noch zehnmal stellen, bis du sie mir beantwortest?«
»Die Wahrheit? Ich wollte fliegen.«
»Unter ›auf den Zuschauerrängen sitzen und Harry Potter beobachten‹ verstehe ich kein fliegen, Malfoy.«
»Du glaubst mir eh nicht, Harry, dann lass mich jetzt wenigstens fliegen.« Malfoy nahm den Besen, der neben ihm lag und stieg auf in die Luft. Harry war keineswegs entgangen, dass Malfoy ihn die ganze Zeit mit Vornamen angesprochen hatte. Vielleicht war es Zeit, die Feindschaft hinter sich zu lassen, denn es schien so, als hätte Malfoy das getan. Wenn es so war, sollte Harry sich auf jeden Fall darauf einlassen, denn alles war besser, als die Vergangenheit zwischen Draco Malfoy und Harry Potter. Vielleicht war der erste Schritt der Name. Und Draco - Harry ermahnte sich zum Vornamen - war diesen Schritt schon gegangen. Jetzt war Harry dran, es ihm nachzutun.
Er zog seinen Besen leicht in die Höhe und schoss auf Dracos Höhe. Jetzt war es vorbei mit der Ruhe. Harry nahm keine Rücksicht mehr auf die stille Natur.
»Du bist noch genauso unbeholfen und ganz und gar nicht elegant auf dem Besen wie vor sechs Jahren, Draco.« Bei dem Klang seines Vornamens lächelte Draco und das freute Harry. Er sah, dass es ein echtes Lächeln war. Und es war kein gehässiges Malfoy-Lächeln. Es war ein glückliches Draco-Lächeln und es erwärmte Harrys Herz. Kurz verlor er sich in den grauen Augen des Slytherins. Harry sah zum ersten Mal etwas in Draco, das er noch nie gesehen hatte. Er sah gut aus. Die weißblonden Haare im Kontrast zu seinen dunklen Augenbrauen, die grauen Augen, die mit seinem Lächeln mitlächelten und die blasse Haut, die Wangen waren von der kalten Luft leicht gerötet. Und Harry sah, dass Draco glücklich war. Vielleicht nur für diesen einzigen Moment, aber er war es und das ließ auch Harry lächeln. Wenn er Draco ansah, fühlte er in sich die Bestätigung seiner Sexualität.
»Ich fliege wie, als wäre ich auf einem Besen geboren. Du bist nur neidisch, Harry!«
»Neidisch? Draco, du fliegst so gut wie ein Toastbrot.«
»Soll das eine Beleidigung sein, Mister Harry-Potter-Alleskönner?«
»Es ist nichts als die Wahrheit.«
»Dann ein Wettfliegen!«, grinste Draco herausfordernd.
»Wenn du so aufs Verlieren bestehst... Wo soll's denn hin gehen, das Wettfliegen?«
»Einmal um den Nordturm herum und wieder hier zurück zum Stadion.« Er deutete auf den Nordturm.
»So weit? Also gut. Mach dich bereit, zu verlieren.«
»Das Toastbrot ist bereit.« Beide brachten ihre Besen in eine vorteilhafte Position und Harry erklärte sich dazu bereit, mit ein paar grünen Funken mit seinem Zauberstab den Start zu verkünden - auch wenn er dadurch am Anfang ein wenig langsamer sein würde. Er war sich nicht so sicher, dass er gewinnen würde, wie er versuchte, es Draco zu zeigen. Harry wusste, das Draco fliegen konnte - und das nicht schlecht. Vielleicht mochte er nicht so gut wie Harry sein, aber der Vorsprung, den er am Start erhalten würde, konnte eine Menge ausmachen.
»Bereit?«, fragte Harry herausfordernd und zog seinen Zauberstab. Draco nickte.
Die Funken flogen aus Harrys Zauberstab und Draco schoss nach vorne. Harry versuchte so schnell wie möglich seinen Zauberstab wieder wegzustecken und gleichzeitig zu starten. Er lag etwa zwei Meter hinter Draco, der seine Geschwindigkeit konstant halten konnte.
Langsam, während sie immer dichter an den Nordturm kamen, holte Harry auf. Dracos Besen - der Nimbus 2001, den er im zweiten Jahr bekommen hatte - war Harrys Besen überlegen, aber dafür war Harry der bessere Flieger. Und er wusste, dass enge Kurven, wie die Kurve um den Nordturm, nicht Dracos Stärke waren. Harrys schon. Wenn er Draco noch vor dem Turm überholen konnte, würde er ihn nach der Wendung komplett abhängen, das wusste er.
Harry sah an Dracos angespannter Körperhaltung, dass er wusste, dass Harry ihn überholen konnte. Harry versuchte, noch weniger Windwiderstand auszumachen. Der Nordturm war schon sehr nah. Er musste Draco überholen. Harry hielt den Atem an und zog den Kopf noch weiter nach unten. Er schoss an Draco vorbei war nun fast einen Meter vor ihm. Er spürte Dracos verblüfften Blick im Rücken. Harry bereitete sich auf die Wendung um den Nordturm vor.
Er schnitt die Kurve gefährlich scharf, wodurch er wahnsinnig viel Schwung erhielt. Er sah, dass Draco für die Kurve minimal abbremste.
Als Draco den Nordturm hinter sich ließ, war Harry beinahe zwanzig Meter vor ihm. Harry wusste, dass er gewonnen hatte. Er grinste und schoss weiter auf das Quidditchstadion zu.

Draco wusste, dass er verlieren würde. Er wusste, dass das daran lag, dass Harry einfach besser fliegen konnte. Er wusste auch, dass Harry den Sieg verdient hatte, aber er gönnte es ihm trotzdem nicht. Ihm fiel etwas ein.
Draco bremste seinen Flug komplett ab und zog seinen Zauberstab hervor. Er richtete ihn auf Harry und seinen Nimbus und rief:»Incarcerus!«
Sofort schossen Seile aus Dracos Zauberstab und fesselten Harry an seinen Besen. Sofort fiel er mit atemberaubender Geschwindigkeit auf den Boden zu. Draco grinste. Er sah den Schreck in Harrys Augen. Kurz wartete er noch, bis Harry kurz vor dem Aufprall war, richtete er seinen Zauberstab erneut auf Harry.
»Ascendio« Harry schoss - mitsamt Besen, an den er gefesselt war - wieder in die Höhe. Als er so hoch wie Draco war, hielt dieser ihn mit ›Wingardium Leviosa‹ entgültig ruhig in der Luft schweben.
Er dirigierte Harry mit seinem Zauberstab hinter sich in der Luft und flog langsam weiter, so dass Harry wie von selbst hinter ihm her flog. Harry fluchte und zappelte unbeholfen hinter ihm während Draco einfach grinsend weiterflog.
Als Draco beim Quidditchstadion angekommen war, rief er triumphierend:»Und das Toastbrot hat GEWONNEN!« Er ließ Harry zu sich schweben und grinste ihn frech an.

Why? || DrarryWhere stories live. Discover now