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Der Freitagvormittag verging für Draco wie im Flug. Er freute sich so sehr auf den späten Nachmittag, an dem Harry und er zu Andromeda aufbrechen würden. Sogar der Zaubertrankunterricht in den letzten beiden Stunden zog sich nicht hin.
Als er dann Hand in Hand mit Harry die Kerker verließ - Blaise lachte ihn aus, weil er Händchen halten kitschig fand -, konnte er das vorfreudige Lächeln gar nicht mehr aus seinem Gesicht verbannen. Er merkte auch Harry an, dass er sich freute, aber er war nicht so aufgeregt wie Draco. Natürlich wusste Draco, dass das daran lag, dass Harry einfach keine Aufregung nötig hatte. Er würde sein Patenkind und dessen Großmutter treffen. Draco würde seinen Neffen und seine Tante treffen. Nur war es für Draco eine einmalige Chance. Zum ersten Mal in seinem Leben konnte Draco eine Familienbeziehung knüpfen, nur durch seine eigenen Taten und Worte. Zum ersten Mal hatte er keinen Druck von außen.
»Draco, ich glaube, du brauchst ein wenig frische Luft. Sonst hyperventilierst du noch.« Harry zog ihn an der Hand aus dem Schülerstrom in Richtung der großen Tür.
Obwohl es draußen sehr kühl war, war es angenehm. Die Kälte war beinahe erfrischend für Draco.
Schweigend schlenderten sie ein wenig über das feuchte Gras - es hatte am Morgen geregnet - und ein warmes Gefühl wurde von Harrys Hand aus in Draco ausgelöst.
Nach einer Weile blieb Harry stehen und ließ Dracos Hand los.
»Draco, ich habe etwas für dich. Ich wollte es dir schon länger geben, aber...ich war mir nicht sicher, ob du dich wirklich darüber freuen würdest. Aber für die UTZ's wird es bestimmt ziemlich gut sein.«
Draco hob fragend eine Augenbraue.
Harry steckte eine Hand in die Tasche seines Umhangs und zog dann einen Zauberstab hervor.
Es war Dracos Zauberstab.
Das Lächeln auf Dracos Gesicht wurde noch breiter. Er nahm Harry ohne zu zögern den Zauberstab ab und wiegte ihm probeweise in der Hand. Es war ein gutes Gefühl, ein sehr gutes. Wie, als wäre ein alter Freund heimgekehrt.
Glücklich murmelte er:»Weißdorn. Einhornhaar. Ziemlich-«
»Federnd.«, unterbrach Harry ihn. »Ziemlich federnd. 10 Zoll.«
»Das stimmt.«, sagte Draco überrascht.
»Ollivander wird es ja auch wissen.«, grinste Harry. »Freust du dich?« Draco nickte und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Er freute sich wirklich. Es war allein ein besseres Gefühl, seinen eigenen Zauberstab in der Hand zu halten, als mit dem seiner Mutter zu zaubern. Natürlich hatte sie inzwischen einen neuen Stab, aber vielleicht würde sie sich darüber freuen, wenn Draco ihr ihren ehemaligen Zauberstab schickte. Denn Draco brauchte ihn nicht mehr. Er hatte seinen eigenen wieder.
Immer noch beinahe verliebt sah er den Stab in seiner Hand an. Er fühlte sich gut darin an, als hätte er sich über all die Jahre an Dracos Hand angepasst.
»Ich glaube, du bekommst Post.«, sagte Harry plötzlich und Draco schaute verwirrt hoch und sah, was auch Harry entdeckt hatte. Zwei Eulen kamen geradewegs auf ihn zugesteuert. Eine war vielleicht hundert Meter hinter der anderen. Als die eine schon im Gras gelandet war, erkannte Draco, dass die hintere Eule seine eigene war. Draco kniete sich hin und nahm den Eulen die Briefe ab. Er strich beiden kurz übers Gefieder und entließ sie dann mit einer ausholenden Geste. Sein Uhu flog in Richtung Eulerei, die Schleiereule - er war sich sicher, dass es die seiner Mutter war - machte sich wieder auf in die Richtung, aus der sie gekommen war.
Draco richtete sich wieder auf und besah sich die Briefe. Beide waren an ihn adressiert, der eine mit der feinen Handschrift seiner Mutter, der andere mit der harten Schrift seines Vaters.
»Ich schätze, sie haben meinen Brief bekommen.«, stellte Draco nüchtern fest. Er wusste nicht, was er davon halten sollte, dass sie ihm jeder einen Brief geschickt hatten.
»Was hast du ihnen genau geschrieben, Draco?«, fragte Harry etwas verwundert. Anscheinend kamen auch ihm die zwei Briefe seltsam vor.
Draco zuckte mit den Schultern. »Naja, ich habe ihnen gesagt, dass ich mit dir zusammen bin. Und dass ich hoffe, dass sie sich für mich freuen können und mich nicht hassen.«
»Warst du eher freundlich oder...?«
»Nein. Freundlich wäre wahrscheinlich das falsche Wort. Ich war ehrlich.«
»Autsch«, sagte Harry knapp. Wahrscheinlich konnte er sich vorstellen, was Draco ungefähr geschrieben hatte, wenn er ehrlich gewesen war.
Zögernd sah er auf die beiden Briefe in seinen Händen.
»Welchen soll ich zuerst lesen?«, fragte Draco. Diesmal zuckte Harry mit den Schultern.
»Ich schätze, von Lucius solltest du nicht zu viel erwarten. Ich glaube, ich weiß, wie sein Urteil ausgefallen ist. Aber was Narzissa schreibt, weiß ich nicht. Also ist die Frage, ob du erst den Brief lesen willst, der wahrscheinlich nicht so Gutes verheißt, oder den, von dem du nicht weißt, was darin steht.« Toll. Das machte die Entscheidung auch nicht leichter. Nach kurzem Überlegen schob er die Umschläge hintereinander und brach das Siegel des oberen - dem seines Vaters - auf und zog den Brief hinaus und faltete ihn auf. Die Schrift seines Vaters war zwar hart wie gewohnt, aber sah doch etwas fahrlässiger aus, als hätte er sich beeilt oder wäre sehr wütend gewesen. Oder beides.

Draco Malfoy,
Es ist erstaunlich, wie sehr du die Fähigkeit deiner Mutter geerbt hast, vorauszusehen, was andere Menschen denken. Entgegen deiner lächerlichen und erbärmlichen Hoffnung freue ich mich nicht für dich. Wie naiv von dir, das zu hoffen. Und ich sehe gerade erneut, dass Blut nicht immer Verwandtschaft ausmacht. Denn mein Sohn ist ganz bestimmt der letzte, der sich mit dem Feind in der Weise verbindet, in der du es tust! Mein Sohn wäre nicht mit Harry Potter zusammen. Mein Sohn würde nicht sein Blut verraten. Es ist unglaublich, was du dir anmaßt! Und du irrst dich gewaltig, wenn du denkst, dass das keine Konsequenzen haben wird. Der Brief an McGonagall ist übrigens schon raus. Deine kleine, erbärmliche Reise wird für dich nicht stattfinden. Obwohl es natürlich gut gepasst hätte. Drei Blutverräter auf einmal: Die Hexe, die einen dreckigen Muggel heiratet, deren Enkel, der wohl zur Hälfte Monster ist und dann du. Was für ein schönes Trio.
Was übrigens alle Dimensionen sprengt, ist, dass anscheinend auch deine Mutter jetzt den Verstand verloren hat.
Draco Malfoy, halte dich verdammt nochmal von Harry Potter fern, ansonsten sehe ich mich dazu gezwungen, dafür zu sorgen, dass du das tust. Du weißt, dass ich deine UTZ's nicht für so wichtig halte, wie deine Mutter es tut. Hogwarts wird ohne dich auskommen und Potter erst recht.
Ich habe dir nicht dein Leben aufgebaut, damit du es in deiner offensichtlichen, unendlichen Dummheit wieder zerstörst. In welcher Welt leben wir denn, dass mein Sohn schwul ist? Garantiert nicht in dieser, denn wenn du nicht schnell zur Besinnung kommst, dann werde ich vielleicht Dinge tun müssen, die ich später bereuen könnte. Ich rate dir, schnell zu dieser Besinnung zu kommen, denn auch Potters Leben ist nur ein einfaches Leben. Und du weißt genau, dass ich noch immer alle nötigen Mittel und den entsprechenden Willen habe, diese Sache zwischen euch schneller zu beenden, als du es für möglich halten würdest. Und häng mir nicht an, ich würde dich erpressen. Erziehungsmethoden sind immer unterschiedlich und mir liegt eben sehr viel daran, dass aus meinem Sohn etwas wird. Und ich werde dafür sorgen, dass das eintreten wird.
Und solltest du trotzdem noch so ausgesprochen dämlich sein, dich mir widersetzen zu wollen, dann ist die Wahl, vor die du uns stellen wolltest die deine. Du hast die Wahl zwischen deiner Familie - glorreiche Generationen an mächtigen Zauberern - oder Potter. Und auch, wenn du behauptet hast, dass diese Wahl für dich getroffen wäre, bevor ich dich vor sie gestellt hätte, bin ich überzeugt davon, dass du deutlich zu schwach bist, um dich von deinem Blut abzusagen, wenn diese Wahl wirklich eintritt. Und das weißt du so gut wie ich. Und ich würde viel darum geben, wenn du deinem feinen Harry Potter das sagst. Denn trotz deines dreisten Blutverrats und der unglaublichen Dummheit, die du bewiesen hast - und für die ich mich unsagbar schäme - glaube ich, dass du noch nicht deinen kompletten gesunden Menschenverstand verloren hast. Denn irgendetwas musst du von mir geerbt oder gelernt haben. Und ich bitte dich darum, ein schlechtes Gewissen zu haben, weil du nicht nur Blut und Familiennamen verraten und geschändet hast, sondern mich auch zum Gespött der Zaubererwelt gemacht hast. Ich warte nur darauf, dass die Zeitungen darüber berichten. Über die widerliche Beziehung Draco Malfoys mit Harry Potter.
Du hast gerade zum erneuten Mal bewiesen, wie unfähig du nicht nur als Zauberer, Todesser und Malfoy bist, sondern auch als einfacher Mensch mit gesundem Verstand. Ich hatte gehofft, du würdest irgendwann erwachsen werden, aber anscheinend ist das bei dir nicht nur eine Phase, sondern deine einfältige, debile Persönlichkeit. Es ist nicht nur beschämend und lächerlich. Es ist traurig, was aus einem Menschen werden kann.
Glaub nicht, dass es eine gute Entscheidung gewesen ist, mich zu erzürnen.

Draco zwang sich, durchzuatmen. Nicht mal eine Abschiedsformel.
Um nicht über das Gelesene nachdenken zu müssen, brach er auch das Siegel des zweiten Briefs. Er war erstaunt, als er sah, wie kurz er war.

Draco,
Hör nicht auf deinen Vater. Grüß Harry von mir.
Ich liebe dich. Mum.

Die Schrift war an einigen Stellen ein wenig verschmiert. Draco wusste, dass sie geweint hatte und obwohl er es nicht wollte, stiegen auch ihm die Tränen in die Augen.

Why? || DrarryWhere stories live. Discover now