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Draco rannte die Treppen hinauf aus den Kerkern hinaus. Er rief im Vorbeilaufen den Gemälden zu, ob sie Harry gesehen hätten, aber falls sie ihm antworteten, war er längst wieder weg. Er rempelte eine Erstklässlerin an. Er blieb nicht stehen und entschuldigte sich auch nicht. Er wusste nicht, was ihn zu dieser Eile trieb. War ihm Gilderoy so wichtig geworden? Es war, als hätte Draco ihn schon immer gekannt. Es fühlte sich nicht gut an, ihn zu verlieren. Draco wusste auch, dass das albern war, aber er rannte trotzdem weiter, wie sein Herz es ihm sagte.
Sobald er das Schloss verließ, fror er, was nicht nur daran lag, dass er sich so schnell durch die kalte Luft bewegte, sondern vor allem daran, dass er sich nicht die Zeit genommen hatte, sich einen Umhang oder eine Jacke über seinen dünnen, dunkelgrünen Pullover zu werfen. Aber er rannte weiter. Die Kälte brannte auf seiner Haut und seine Augen tränten von der eisigen Luft, die ihm ins Gesicht peitschte. Er sah nur noch verschwommen.
Wieder fragte er sich, wieso er das hier überhaupt tat. Es war nur ein Vogel. Nicht mehr und nicht weniger. Wieso hatte er sich so abhängig von dem kleinen Tier gemacht? Das ergab keinen Sinn, vor allem, weil er Draco Malfoy war. Er liebte nicht, er sorgte sich um nichts und niemanden als sich selbst. Aber das hatte sich mit dem Verlieben in Harry geändert.
Seine Seite schmerzte und ohne es zu merken, wurde er ein wenig langsamer. Doch trotzdem rannte er noch weiter und redete sich ein, Harry im Quidditchstadion aufzufinden.

Harry war relativ zufrieden mit dem neuen Gryffindor-Quidditchteam. Er schätzte ihre Chancen nicht schlecht ein.
Er flog hoch über dem Stadion und sauste um die Ringe ohne ein bestimmtes Ziel. Bis er seinen Namen hörte. Ruckartig bremste er seinen Flug ab und wandte seinen Blick nach unten.
Harry erkannte selbst von hier oben, dass Draco schwer atmete und trotzdem noch seinen Namen japste. Schnell flog er zu ihm hinunter.
»Du verfolgst mich also doch!«, rief er lachend nach halber Strecke. Dann schwand das Lachen aus seinem Gesicht, als er Draco genauer erblickte. Harry raste dem Boden entgegen und sprang von seinem Besen.
Draco hatte die Arme auf die Knie gestützt und keuchte leicht. Er zitterte und hatte leicht bläuliche Lippen.
»Was ist los?«, fragte Harry und war ein wenig überfordert.
»Gilderoy«, brachte Draco außer Atem hervor.
»Gilderoy was?«
»Er ist weg.« Harry runzelte die Stirn. Gilderoy war eigentlich noch viel zu jung und zu schwach, um zu apparieren.
»Ruf ihn!«, sagte Draco dringlich.
»Ihn rufen? Gilderoy! Was soll das denn jetzt bringen?«
»Mit deinem Zauberstab, du Idiot!«, Draco schien aller Nerven beraubt.
»Ach so. Sag das doch gleich.« Harry zog seinen Zauberstab hervor und sagte:»Accio Halsband!«
Nichts passierte. Harry zog angespannt die Luft ein.
»Wieso funktioniert das nicht?«, fragte er ein wenig wütend.
Draco schüttelte kraftlos den Kopf. »Ich weiß es nicht. Bei mir funktioniert es auch nicht. Ich weiß nicht, was los ist. Er kann doch noch gar nicht apparieren und selbst wenn, egal wo er ist, wir müssten ihn mit Accio holen können. Aber das klappt nicht.«
»Wie konnte er verschwinden?«, fragte Harry langsam und spürte eine wachsende Wut in sich. Wenn Gilderoy wirklich verschwunden war, dann war Draco schuld.
»Ich hatte den Käfig offen gelassen. Aber ich habe ja kein Fenster oder so. Ich weiß nicht, wie er das Zimmer verlassen konnte ohne zu apparieren.«
»Du hast also die Käfigtür aufgelassen?«, fragte Harry leise und bedrohlich. Draco nickte.
»Er sollte ein wenig Auslauf haben.«
»Ein wenig Auslauf? Ein wenig Auslauf? Ist ganz Hogwarts genug Auslauf? Das hoffe ich für dich! Denn wahrscheinlich spaziert er jetzt irgendwo unschuldig im Verbotenen Wald herum und wird gerade gefressen. Oder zertrampelt. Starke Leistung, Malfoy. Eine simple Aufgabe. Eine Aufgabe! War das so schwierig?« Er wollte nicht mal wütend auf Draco sein, war es aber trotzdem.
Dieser senkte schuldbewusst den Kopf. »Ich weiß. Es tut mir leid.« Harry schüttelte den Kopf und lief an ihm vorbei.
»Was ist? Wo gehst du hin?«, rief Draco ihm nach und schloss eilig zu ihm auf.
»Ich gehe zu Neville.«, sagte Harry trocken. »Und du gehst zu Hagrid. Du darfst der sein, der ihm sagt, dass Gilderoy verschwunden ist! Gilderoy war das verstoßene, schwache Küken. Er hat es mir anvertraut, weil ihm wichtig war, dass es dem Kleinen gut gehen wird. Und was passiert? Draco Malfoy hält es für klug, ihm ein wenig Auslauf zu bieten!«
»Ich soll es Hagrid sagen?«, fragte Draco ihn und war sichtlich überrascht.
»Ja, oder ist das zu viel Bürde für dich?«
»Nein.«, war die klare Antwort und Draco änderte sofort seine Richtung. Er trennte sich von Harry und steuerte auf Hagrids Hütte zu.
Harry ging alleine weiter und stand schnell in der Eingangshalle. Nur hatte er keinen blassen Schimmer, wo Neville war. Er beschloss, zuerst im Gryffindorturm nachzusehen.
Schnell lief er die Treppen hoch und drängelte sich durch die Schüler.
Als er durch das Porträt der fetten Dame in den Gemeinschaftsraum gelangte, sank er kurz in sich zusammen. Neville war nicht hier. Er lief hoch in den Jungenschlafsaal. Auch dort war er nicht. Er kehrte wieder in den Gemeinschaftsraum zurück und wollte ihn schon wieder verlassen, als er gerufen wurde. Er drehte sich um und stand Hermine gegenüber. Ihre braunen Augen sahen ihn verwirrt und ein wenig besorgt an.
»Harry? Was ist los?« Er schüttelte seinen Kopf zum Zeichen, dass er ihr das jetzt nicht erklären konnte.
»Weißt du, wo Neville ist?«, fragte er stattdessen.
»Nein, aber-« Und schon hatte Harry sich wieder umgedreht und war durch das Porträt nach draußen geschlüpft. Er lief wahllos Treppen rauf und runter - ohne Erfolg. Irgendwann lief er Luna über den Weg und hielt sie am Arm fest.
»Harry«, begrüßte sie ihn. »Neville ist in der Bibliothek.« Harry starrte sie überrascht an.
»Woher weißt du-«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht.«, sagte sie mit ihrer hellen Stimme und er sah ihr an, dass sie nicht log.
»Danke Luna!«, sagte er, nachdem er die Verwunderung abgelegt hatte und lief nun zur Bibliothek.
Es dauerte nicht lange, bis er Neville zwischen den hohen Regalen entdeckte. Er saß alleine an einem kleinen Holztisch und schrieb.
»Neville« Harry setzte sich zu ihm und Neville schaute fragend auf.
»Harry?«
»Gilderoy ist verschwunden.« Ein kurzer Schock zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Er schlug sein Buch zu.
»Was ist passiert?«
»Draco hatte heute morgen die Käfigtür offengelassen« - Harry versuchte, nicht allzu vorwurfsvoll gegenüber Draco zu klingen, auch wenn er ihm immer noch die Schuld zuschrieb - »Heute Nachmittag war er weg. Und er lässt sich nicht mehr mit Accio herzaubern. Du kannst es ja nochmal probieren, Neville, aber ich glaube nicht, dass das klappen wird. Auch wenn ich es sehr hoffe. Ich weiß nicht, was passiert sein könnte. Gilderoy ist noch viel zu klein zum Apparieren und selbst wenn er appariert wäre, erklärt das nicht, wieso wir ihn nicht herholen können.« Neville hob ohne zu zögern seinen Zauberstab vom Tisch und sagte:»Accio Halsband! Accio Gilderoy! Accio!« Doch wie erwartet passierte nichts. Kurz schwiegen beide mit gesenkten Köpfen.
»Wo ist Malfoy jetzt?«
»Ich habe ihn zu Hagrid geschickt.«
»Sollen wir auch zu Hagrid gehen?«
»Das ist vielleicht gar keine so schlechte Idee. Ich kann ihn hoffentlich ein bisschen besänftigen.« Harry und Neville erhoben sich und verließen die Bibliothek.

Draco klopfte ein wenig zaghaft an die Tür von Hagrids Hütte. Er überlegte, was das kleinere Übel war; Hagrid zu sagen, dass Gilderoy verschwunden war oder weiter hier draußen stehen zu bleiben und womöglich noch zu erfrieren. Wahrscheinlich Ersteres. Also klopfte er nochmal, diesmal energischer, auch wenn seine rotgefrorenen Finger bei der Bewegung schmerzten.
Die Tür öffnete sich und ein riesiger Hagrid stand im Rahmen. Zum ersten Mal wirkte er einschüchternd auf Draco. Sein Blick wurde ungläubig, als er sah, wer sein Gast war.
»Malfoy?« Hagrid gab sich offensichtlich keine Mühe, seine Verwunderung zu verstecken. Draco senkte den Blick und fragte:»Dürfte ich vielleicht hereinkommen?«
Hagrid zögerte, aber es schien ihm kein plausibler Grund einzufallen, Draco nicht hereinzulassen, also trat er aus der Tür. Draco betrat die Hütte und eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken, als die Wärme sich um ihn legte.
»Du solltest nicht so draußen herumlaufen. Es ist kalt.«, brummte Hagrid, während er einen Teekessel übers Feuer hängte. »Möchtest du 'nen Tee?«
»Nein danke« Draco hätte liebend gern einen Tee gehabt. Allein die Vorstellung von der süßen Wärme, die sich durch seinen Körper ausbreitete, ließ ihn sehnsüchtig erschaudern. Aber er wollte die Gastfreundschaft Hagrids' nicht ausreizen. Schließlich war er nicht einfach hier, um ein wenig mit Hagrid zu plaudern.
»Was verschlägt dich hierher?«, fragte Hagrid, als hätte er seine Gedanken gelesen. Draco zögerte. Aber er kam ja eh nicht darum herum.
»Gilderoy - er...er ist weg.«, sagte Draco geradeheraus. Und dann passierte etwas, womit Draco nicht gerechnet hatte. Hagrid lachte. Sein dunkles, kehliges Lachen erfüllte die Hütte und Draco wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte.
»Malfoy«, lachte Hagrid, »Du bist auch in der Zeit hängen geblieben, oder? ›Gilderoy ist weg!‹ Du bist ja auch ein Spaßvogel! In elf Jahren sagst du dann ›Voldemort ist tot!‹ Malfoy, Gilderoy Lockhart ist schon seit deinem dritten Jahr hier weg.« Draco seufzte. Deswegen also hatte Hagrid gelacht. Er dachte, Draco wäre so dumm, nach sechs Jahren zu bemerken, dass sein Lehrer verschwunden war.
»Nicht Lockhart. Gilderoy. Unser Diricawl« Sofort verschwand das Lächeln aus Hagrids Gesicht.
»Wenn das 'n Scherz is', Malfoy, dann ist das nich' witzig!«
»Ist es nicht. Er ist weg.«
Jetzt brach Hagrid vollkommen aus. »Wer? Malfoy, sag mir einfach nur wer! Wer war gerade für ihn zuständig. Ganz sicher nicht Harry. Harry doch nicht! War es dein Fehler? Sag was, Malfoy!«
»Ich fürchte, dass es mein Fehler war.«, gestand Draco kleinlaut.
»Dann nimm jetzt deinen verdammten Zauberstab heraus und hol Gilderoy wieder her!«
»Das klappt nicht. Harry hat es auch versucht.«
»Wenn dem Kleinen irgendetwas passiert ist, wirst du dafür volle Verantwortung übernehmen, Malfoy!«, donnerte Hagrid. Kurz schwiegen beide. Dann hielt Draco es nicht länger aus, wütend angestarrt zu werden.
»Was könnte alles passiert sein?«, fragte Draco ehrlich besorgt.
»Was einem kleinen, schwachen, verstoßenen, flugunfähigen, verschollenen Küken alles passiert sein könnte?! Sag du es mir!« Das Schlimmste war, dass Draco seine Wut auf ihn verstehen konnte. Dass Hagrid Recht hatte.
»Hätte ich doch diese verfluchten Gruppen nicht ausgelost! Dann wär der schwächste Diricawl von allen nie in deine Hände gelangt. Dann wäre er noch da! Du bringst nur Unglück mit dir, Malfoy! Scheußlich und eingebildet - genau wie dein Vat-«
»Hagrid!« Harry stand in der Tür der Hütte und sah Hagrid strafend an. Neben ihm stand Longbottom. Draco hatte sie nicht hereinkommen gehört, was wohl daran lag, dass Hagrid gerade einen Wutausbruch gegenüber ihm gehabt hatte.
»Aber er« - Hagrid deutete zornig auf Draco - »ist dafür verantwortlich, dass eines meiner Diricawl-Küken verschwunden ist!«

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Hey. Wie vielleicht dem ein oder aufgefallen ist, hat dieses Kapitel keinen Titel wie die anderen, sondern heißt einfach nur ›13‹ (logischerweise, weil es das 13. Kapitel ist...). Jedenfalls habe ich beschlossen, jetzt allen Kapitel keinen wörtlichen Titel mehr zu geben, sondern einfach nur die Nummerierung. Ich halte das für besser, weil beispielsweise Titel wie ›Verschwundener Diricawl‹ schon das gesamte Kapitel spoilern, was nicht meine Absicht ist. Im Gegenteil. Deswegen habe ich mich für die Zahlen entschieden und werde jetzt auch alle bisher mit Titel erschienenen Kapitel nummerieren, weil die Geschichte einheitlich sein soll. Ich hoffe, das stört niemanden.

(Ich weiß, ich kann mich nicht kurzfassen. Wahrscheinlich hat das eh keiner bis hierhin gelesen...)

Why? || DrarryWhere stories live. Discover now