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Harry schwebte in der Luft, direkt vor Draco, der lässig auf seinem Nimbus 2001 saß. Harrys Handgelenke schmerzten, weil sie fest an den Schaft seines Besens gefesselt waren. Außerdem war er sich bewusst, dass Draco gerade die absolute Kontrolle über ihn hatte. Würde er das ›Wingardium Leviosa‹ aufheben, war's das mit Fliegen.
Er schaute Draco trotzig an und zog eine Augenbraue hoch.
»Musste das sein?«
Draco grinste einfach weiter.
»Du bist nur neidisch, weil ich jetzt gewonnen habe!«, sagte er vorwurfsvoll.
»Du hast gewonnen, weil du geschummelt hast! Den Gegner zu fesseln und nach sich ins Ziel zu tragen, entspricht nicht den Regeln.«
»Wir haben keine Regeln aufgestellt.«
»Wenn ich an meinen Zauberstab rankäme, würde ich dir einen Engorgio auf den Hals hetzen. Dann wärst du kein Toastbrot mehr, sondern ein Wasserball.«
»Sollte das eine Drohung sein, Harry?« Draco kniff prüfend die Augen zusammen.
»Keineswegs. Würdest du mir jetzt vielleicht die Fesseln abnehmen?«
»Bitte.«
»Was?«
»Sag bitte!«
»Du stellst jetzt auch noch Forderungen? Du bist der, der mich kaltblütig gekidnappt hat!«
»Sag bitte!«, Draco ging nicht auf Harrys Bemerkung ein.
»Bitte«, sagte Harry zerknirscht.
»›Bitte‹ was?«
»Bitte befreie mich von meinen Fesseln.«
»Ich hätte das gerne noch ein wenig freundlicher.«
»Wenn wir schon dabei sind, vielleicht auch noch ein wenig unterwürfiger?«, fragte Harry sarkastisch.
»Das ist eine wunderbare Idee, Harry. Dann lass mal hören!«
»Oh lieber Draco, würdest du mich in deiner unendlichen Gnade bitte von meinen Fesseln befreien?«, fragte Harry überspitzt und unterdrückte den Schmerz seiner gefesselten Körperteile.
»Wenn du mich so nett fragst; natürlich. Aber verzeih mir, wenn ich dich erst auf den Boden zurückbringe. Wenn ich dir jetzt deine Fesseln entferne, würdest du fallen. Nicht, dass es mich stören würde...«
»Gut, dann lass mich bitte runter.« Draco nickte, auch wenn Harry seinem frechen Lächeln noch nicht über den Weg traute. Langsam flog Draco zum Boden des Stadions und dirigierte Harry mit dem Zauberstab hinter sich her, bis auch er auf dem Boden landete. Eigentlich landete Harry nicht, er fiel einfach als unförmiges Bündel aus Mensch und Besen zu Boden.
Draco stieg von seinem Besen und beäugte Harry, als müsste er überlegen, wie er Harry befreien konnte. Harry sah ihn bittend an.
»Ich würde die Seile ja mit Diffindo zerschneiden, aber...«, begann Draco.
»Aber als du das letzte Mal Diffindo benutzt hast, hast du mir meine Fingerkuppe abgeschnitten.«, beendete Harry. »Sei einfach vorsichtig, Draco. Denn wenn du jetzt verfehlst, schneidest du gleich meine gesamte Hand ab. Oder den Fuß. Oder meinen Kopf. Na toll.«
»Ich habe eine Idee. Damit du nicht so zappelst.«, grinste Draco. Harry wusste sofort, was er vorhatte und wollte widersprechen, aber zu spät. Draco hatte den Zauberstab schon auf Harry gerichtet und sagte:»Levicorpus!«
Harrys linkes Bein wurde ruckhaft in die Luft gerissen und er hing kopfüber in der Luft, als wäre sein linker Fuß an einen Ast gebunden. Er hing vor Draco. Harrys Augen waren auf der Höhe von Dracos Rippen.
»Ich hoffe, du bist jetzt zufrieden.« Harrys Stimme troff vor Sarkasmus.
»Du musst nur noch einen winzigen Moment warten, Harry, dann bist du frei. So zappelst du wenigstens nicht mehr.« Harry sah es nicht, aber er hörte ihm an, dass er grinste.
»Nein, ich zappel nicht mehr, aber dafür hänge ich kopfüber in der Luft. Kein toller Trost.«
»Ach, sei nicht so empfindlich! Diffindo!« Der Zauberspruch durchtrennte die Seile sauber und sie fielen auf die Erde. Harry konnte wieder frei atmen - vorher hatte sich ein Seil fest um seinen Brustkorb geschlungen. Aber er hing trotzdem noch kopfüber in der Luft, wenn auch weniger verkrampft als vorher.
»Na immerhin hast du es geschafft, mich nicht einmal in der Mitte durchzuteilen.«, stellte Harry ironisch fest.
»Das kann ich gerne noch nachholen, wenn du darauf bestehst!«
»Danke, ich verzichte.«, sagte Harry trocken. In diesem Moment fiel ihm ein, dass Draco ihn noch von dem Schwebefluch befreien musste. Und dass es einen sehr unsanften Weg dafür gab. Harry schloss gequält die Augen. Er murmelte:»Bitte nicht Liberacorpus«
»Liberacorpus!«, rief Draco beschwingt und Harry schlug hart auf dem Boden auf. Er setzte sich ächzend auf und rieb sich den schmerzenden Kopf.
»Na vielen Dank auch.« Er warf Draco einen genervten Blick zu. Dieser grinste immer noch.
»Es war mir eine Ehre. Und bitte vergiss nie; ich bin der bessere Flieger von uns, das habe ich heute bewiesen. Denn ich bin als erster ins Ziel gekommen.«, sagte Draco triumphierend.
»Ja, du hast mich gefesselt, fallen, dann fliegen lassen. Das war auf jeden Fall der Beweis dafür, dass du besser fliegst als ich.«
»Höre ich da etwa Sarkasmus in deiner Stimme?«
»Nein, nein, da musst du dich irren, großer Toastbrot-Flugmeister!«, grinste Harry gespielt unterwürfig. Er machte einen - sicherlich wenig eleganten - Knicks und senkte den Kopf.
»Man sollte dir wirklich deinen Zauberstab abnehmen, Draco Malfoy! Du bist eine echte Gefährdung für alle. Ich meine, du kidnappst deine Mitschüler, nur weil sie sonst ein Wettrennen gewonnen hätten.«
»Willst du mich jetzt nach Askaban schicken oder was?«
»Gerne doch« Harry zog sich die Kapuze stramm über den Kopf, öffnete den Mund und imitierte die Atmung eines Dementors.
»Die Nachrichten des Tages: Harry Potter macht nicht nur mit seiner Freundin Schluss und outet sich als schwul, er offenbart auch noch seine WAHRE Identität! Er ist ein Dementor!« Beide grinsten sich an.

»Ich dachte, hier wäre das Gryffindor-Auswahltraining!« Draco zuckte zusammen, weil er so heftig erschrak. Dean Thomas kam mit einem Besen in der Hand auf sie zugelaufen.
»Dean, du versuchst es nochmal? Super!«, rief Harry ihm entgegen. »Und ja, es ist das Auswahltraining für Gryffindor. Draco ist nur...zufällig hier.« Draco sah, dass Dean die Stirn runzelte, weil ihm aufgefallen war, dass Harry Draco beim Vornamen genannt hatte. Aber er konnte es ihm nicht übel nehmen.
»Ach ja, hi Malfoy.«, sagte Dean ein bisschen weniger erfreut. Draco nickte ihm nur zu und legte das Grinsen ab, das Harry die letzten Minuten in sein Gesicht gezaubert hatte.
»Bin ich sehr früh?«, fragte Dean wieder an Harry gewandt.
»Nein, ist schon okay. Die anderen kommen sicher gleich.«, antwortete Harry und wie auf ein Zeichen kam eine kleine Gruppe Schüler mit Besen unter den Armen ins Stadion.
Draco fühlte sich ein bisschen verloren inmitten all der Gryffindors. Weil er aber wegen Harry hier war - um ihn zu sehen und nicht ganz zufällig, wie er es vor Harry behauptet hatte - zog er sich nur auf die Zuschauerränge zurück und beobachtete das Geschehen von oben. Es interessierte ihn nicht im geringsten, wie die Gryffindors flogen oder wer sich besonders gut schlug im Quidditch. Draco wandte den Blick nicht von Harry ab. Er war zu hoch, um zu hören, was er sagte, aber es reichte ihm, ihn einfach zu sehen.
Bald flog auch er und und Draco war gefesselt von seinem schwarzen, wirren Haar, das im Wind wogte. Überhaupt beobachtete Draco, wie gewandt und sicher er flog. Es war, als wäre der Besen ein Teil von ihm.
Nach etwa einer halben Stunde kam McGonagall ins Stadion, redete kurz mit Harry und nahm dann ebenfalls in einem der Quidditchränge Platz. Draco versuchte, nicht von ihr bemerkt zu werden und starrte Harry jetzt nicht mehr so eindringlich an, falls sie doch mal zu ihm hinübersehen würde.
Irgendwann wurde ihm kalt und er beschloss, zurück zum Schloss zu gehen. Als er das Stadion verlassen hatte, blieb er stehen und atmete einmal durch. Flirtete er eigentlich zu offensichtlich? Der Gedanke war ihm ein wenig unangenehm. Sein Verlangen nach Harry war wirklich groß und er wollte seine Chance ergreifen, diesen Moment nutzen, in dem Harry ihm nicht feindlich gesinnt war. Aber er hasste sich fast dafür, sich in Harry verliebt zu haben. Er war Draco Malfoy, er wollte nicht so abhängig von jemandem sein. Aber wann beachtete die Liebe schon solche Dinge?
Er lief weiter, fast deprimiert. Die feuchte Luft schmeckte leicht nach Pilzen. Draco blinzelte, als seine Augen begannen zu tränen.
Er beschleunigte seine Schritte, bis er durch die großen Flügeltüren endlich Hogwarts betrat. Einige Schüler liefen herum, aber er beachtete sie nicht weiter. Er machte sich auf den Weg zu den Kerkern.
Als er seine hölzerne Zimmertür hinter sich zuschlug, umgab ihn endlich die willkommene, vertraute Wärme seines Zimmers. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und begutachtete die vielen beschriebenen Pergamente, die ungeordnet darauf lagen. Er war zu faul für Hausaufgaben, also beschloss er, Gilderoy zu füttern. Er hatte eine Flasche, in der Longbottom bereits einen Vorrat an der nahrhaften Milch angerührt hatte, die er einfach nur in ein kleines Schüsselchen in Gilderoys Käfig geben musste.
Die Käfigtür stand offen. Draco hatte Gilderoy am Morgen frei im Zimmer herumhüpfen lassen. Er goss etwas von der Milch in die Schüssel und schaute dann, wo Gilderoy war.
»Gilderoy?«, rief er den kleinen Vogel spielerisch, als er ihn nicht sofort sah. Draco schaute zuerst in seinem Bett nach, fand ihn allerdings nicht. Auch unter dem Bett war er nicht. Er sah unter der kleinen Kommode nach, fand ihn aber auch dort nicht.
»Gilderoy?«, rief Draco jetzt schon ein wenig beunruhigt. Sein Zimmer war winzig, es gab keinen Ort, an dem er sich verstecken konnte. Hektisch wühlte er sich durch das Durcheinander auf seinem Schreibtisch - ohne Erfolg. Er riss die Schubladen von Schreibtisch und Kommode auf. Seine Hoffnung schwand mit jeder Sekunde. Gilderoy war viel zu klein, um zu apparieren, das wusste Draco. Nicht mal die Diricawls der anderen waren schon appariert und die waren viel stärker als Gilderoy. Weil es aber trotzdem keine andere Möglichkeit gab, zog Draco seinen Zauberstab hervor und hielt seine Hand unter die Spitze, damit der Diricawl nicht auf den Boden fallen würde.
»Accio!«, rief Draco und wartete. Es geschah nichts.
»Accio!«, wieder nichts. »Accio! Accio Halsband! A-cci-o! Accio?!«
Draco ließ sich verzweifelt aufs Bett fallen und musste sich anstrengen, ruhig zu bleiben. Er hatte den kleinen Gilderoy seltsam lieb gewonnen und wollte nicht, dass ihm etwas passiert war. Er überlegte angestrengt. Dann sprang er auf. Wenn er Glück hatte, war Harry noch im Qudditchstadion.

Why? || DrarryWhere stories live. Discover now