Kapitel 32

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Toby

Vor fünf Tagen sind Daniel und Johnny wieder zurück gekommen. Seitdem hat mein bester Freund das Heim nicht mehr verlassen und sprach kein einziges Wort, aß kaum bis gar nicht. Nicht einmal zu mir hatte er nur ein einzige Wort gesagt. Ich machte mir wirklich Sorgen, irgendwas muss doch passiert sein. Auch Daniel hatte ich versucht anzurufen oder in irgendeiner Art zu erreichen. Vergeblich. 

Seit drei Stunden kniete mein Freund bereits vor seinem Bett. Barfuß, in seiner besten Kleidung, das Kreuz um den Hals und die Hände gefaltet. Er betete. Es war seine Art zu beten. Barfuß, kniend auf dem Boden und die gefaltenen Hände auf dem Bett. Mir war klar, dass es ihm furchtbar schlecht gehen musste. Das war mir sofort klar. Aber erst richtig bewusst wurde es mir, als er frisch geduscht in seine Sonntagskleidung schlüpfte, seine Piercings raus nahm und das kleine silberne Kreuz, welches an einem schwarzen Band hing, um seinen Hals hing. Ich kannte meinen besten Freund inzwischen gut genug, um das zu erkennen. 

Ich lehnte an der geschlossenen Tür und sah ihm zu, schwieg, da ich ihn nicht stören wollte. Alleine lassen konnte ich ihn jedoch nicht. Ich hatte zu große Angst, dass er sich etwas antun würde. Das könnte ich mir niemals verzeihen. Zwei Jahre zuvor wäre es fast zu spät gewesen. 

Erst nach einer weiteren Stunde, regte er sich. Johnny ließ seine Hände auf seine Knie sinken, ehe er sich langsam erhob. Sein Gesicht war ganz blass und seine Augen rot geschwollen von all den Tränen, die er in den letzten Tagen vergossen hatte. Besorgt betrachtete ich ihn. Am liebsten hätte ich ihn einfach gefragt, was los war. Aber ich wusste ganz genau, dass er trotzdem kein Wort sagen würde. Ich würde ihn dadurch nur wieder zum weinen bringen. Er hatte seine ganz eigene Art mit Dingen fertig zu werden und wenn ich ehrlich war, verstand ich es noch immer nicht genau. 

Johnny hob seinen Blick und sah mich an. Schweigend griff ich mir in die Haare, worauf er schluckte und leicht nickte und den Rasierer aus einer Schublade nahm. Wir verstanden uns ohne Worte. In Momenten wie diesen war das Gold wert! Ich öffnete die Zimmertür und ließ den kleineren vorbei, ehe ich ihm zu den Waschräumen folgte. Vor einem der Waschbecken blieb er stehen und blickte in den Spiegel. Ich stand hinter ihm, folgte seinem Blick. Tränen sammelten sich in seinen Augen. Ich wusste ganz genau, wie schrecklich dieser Moment für ihn war. Sein Spiegelbild sah mir direkt in die Augen. Leicht nickte ich. Er schaltete den Rasierer an. Am liebsten hätte ich mir nicht mit angesehen wie er darunter litt oder es für ihn gemacht, doch das ging nicht. Er musste es selbst machen. Seine zitternde Hand hob sich, der Rasierer fest in seinen Fingern. Johnny schluckte hörbar, ehe er ansetzte und die ersten Haare auf seine schmalen Schultern fielen. Tränen liefen über sein blasses Gesicht. Er presste seine rosafarbenen Lippen aufeinander und rasierte Stück für Stück seine gefärbten Haare ab. Alle. Komplett ab. Er liebte seine Haare abgöttisch, pflegte sie und liebte es immer wieder etwas neues zu probieren. Genau aus diesem Grund machte er es. Es tat ihm in der Seele weh, sie sich abzurasieren. Irgendwann hat mal jemand zu mir gesagt 'Manche Menschen verletzen sich selbst oder bringen sich um. Und manche Menschen rasieren sich die Haare ab'. Und genau das hab ich an Johnny weiter gegeben, als er bereits die Klinge in seiner Hand hielt und sie an seine Haut gelegt hatte. Er hatte mich angestarrt. Minuten lang. Und dann war die Rasierklinge in den Mülleimer geflogen und seine geliebten Haare ebenfalls. 

Das quälende Surren verstummte. Schweigend betrachtete der Kleine sich im Spiegel. Er hatte aufgehört zu weinen. 

"Es war auf dem Heimweg. Ich sollte George schreiben, wann wir zurück waren. Da hab ich gesehen, dass er mit Tyler schreibt." Seine Stimme zitterte und manchmal war es nicht mehr als ein jämmerliches Krächzen einer Krähe, die gerade verreckte. "Und dann ist er rechts ran gefahren. Es war irgendwas kaputt oder so, keine Ahnung. Ich hab ihn darauf angesprochen, dass er mit Tyler schreibt und sie sich sogar treffen wollen. Ich war so schrecklich eifersüchtig, es hat mich förmlich aufgefressen. Er meinte, es hat nichts zu bedeuten. Und natürlich weiß ich, dass es stimmt. Aber ich war so wütend und enttäuscht und eifersüchtig, hab es ihm nicht geglaubt. Hab diese dummen Taschentücher aus der Tasche gezogen und geworfen. Es war so bescheuert! Ich wusste doch ganz genau, dass ich ihn nicht treffen würde. Nachdem er sie aufgehoben hat... kam dieser schwarze Transporter, hat ihn einfach mitgerissen." Die letzten Worte schluchzte er nur noch. Mir wurde heiß und kalt gleichzeitig, so geschockt war ich. Ich konnte... Nein ich wollte mir nicht vorstellen wie schrecklich es sein musste. Er gab sich selbst die Schuld. Das tat er immer. Schweigend schlang ich meine Arme um den schmächtigen Jungen. "Er... er ist im Krankenhaus... I-ich trau mich nicht, hinzugehen..."

Ich drückte ihn an mich. "Scheiße Johnny... Du musst zu ihm! Es ist nicht deine Schuld, dass das passiert ist."

"Doch, das ist es", schluchzte er und brach in meinen Armen zusammen. "Es ist meine Schuld, dass er auf die Straße gelaufen ist. Es ist meine Schuld, dass er überfahren wurde. Es ist meine Schuld, dass sie ihn wiederbeleben mussten. Es ist meine verdammte Schuld, dass er bereits fünf Tage schläft und die Ärzte nicht sagen können, ob er überhaupt irgendwann wieder aufwacht!" Er schrie mich an, schlug mit seinen Fäusten auf mich ein. Trotzdem hielt ich ihn einfach fest, strich ihm sanft über seinen Rücken.

"Du weißt genau, dass es nicht deine Schuld ist. Und du weißt ganz genau, dass du ihm die Welt bedeutest. Du weißt ganz genau, dass er dich liebt wie sonst niemanden und du ihn auch. Und verdammt du weißt ganz genau, dass er dich gerade jetzt umso mehr braucht!"

John vergrub weinend sein Gesicht in meinem Shirt. Ich wusste nicht wie lang wir dort auf dem weiß gefliesten Boden saßen und er einfach nur leise in mein T-shirt weinte. 

"Du hast recht, Toby..." Er löste sich von mir und sah mir direkt in die Augen. "Du hast immer Recht." Er wischte sich mit dem Ärmel seines guten Hemdes über die nassen Augen. "Ich muss zu ihm... Ich muss bei ihm sein, wenn er aufwacht."

Ich lächelte ihn an und strich ihm liebevoll über die Wange. 

"Aber erst muss ich was Essen, ich habe einen Mordshunger", sagte er leise und musste lachen.

Ich grinste breit. "Na dann komm, gehen wir uns Kuchen aus der Küche klauen." Ich erhob mich und zog meinen besten Freund auf seine Beine und klopfte ihm seine Haare vom Hemd, ehe ich sie schnell auffegte und mit ihm in die Küche ging. 

Together [boyxboy]Where stories live. Discover now