Kapitel 25

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Trotz seiner Erklärung war es mir ein Rätsel, was Harrys Absicht war. Weshalb interessierte es ihn überhaupt, ob ich glücklich war oder nicht? Seine ständigen Stimmungsschwankungen machten es unmöglich herauszufinden, ob wir überhaupt Freunde waren.

Harry schien zu bemerken, dass ich in Gedanken versunken war. "Über was denkst du grad nach?", fragte er neurierig. Es wäre albern, ihn nicht zu fragen. Ich wollte den Grund wissen und ich würde ihn auf keinem anderen Weg herausfinden. "Wieso möchtest du, dass ich glücklich bin?" Er hob die Augenbrauen. "Wäre es dir lieber, wenn ich dich gerne unglücklich sehen würde?" Schnell schüttelte ich den Kopf. "Nein, so war das nicht gemeint. Ich versteh es nur nicht. Vor... einer halben Stunde wolltest du noch, dass ich gehe. Und jetzt sagst du so etwas." - "Ich habe nicht gesagt, dass du gehen sollst. Ich habe gesagt, es wäre besser wenn du gehst, weil... weil ich irgendwie nicht die Fähigkeit besitze logisch zu denken, wenn du in der Nähe bist." In diesem Punkt waren wir uns eindeutig sehr ähnlich. Jetzt hier bei ihm zu sein war alles andere als vernünfitg. "Trotzdem würde ich es sehr schade finden, wenn wir nicht... befreundet sein könnten.", fuhr er fort. Mit einer etwas unbeholfenen Handbewegung versuchte ich, auf die gesamte Situation hinzuweisen. Wir lagen hier nebeneinander in seinem Bett, er oberkörperfrei und was bereits passiert war wusste er genauso gut wie ich. "Befreundet?", fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen. Harry zuckte mit den Schultern. "Vielleicht müsste man das Wort Freunde neu definieren." - "Oder wir versuchen... physisch möglichst viel Abstand zu halten.", schlug ich halbherzig vor. Mir war sowieso klar, dass das wohl kaum umsetzbar sein würde. "Du möchtest also... Abstand von mir halten?", fragte Harry mit gerunzelter Stirn. "Nein. Aber es geht eben nicht immer nur darum, was ich gerne möchte.", wiederholte ich seine Worte von vorhin. Grinsend verdrehte er die Augen. "Vielleicht nicht immer, aber jetzt schon." Er beugte sich nach vorne, sodass unsere Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. "Harry...", murmelte ich zögernd. "Eliza.", entgegnete er und biss auf seine Unterlippe. Verdammt, der Kerl wusste genau was er tat. Trotzdem war der Klang meines Namens weiterhin mehr als unangenehm. "Bitte nicht." Harry schüttelte den Kopf. Einmal nach rechts, einmal nach links. Dann sah er wieder mich an. "Denk dran, wir haben einen Deal." - "Nur weil wir einen Deal haben, heißt das noch lange nicht, dass ich den Namen direkt hören kann, ohne das was passiert ist damit zu verbinden." Sein Lächeln war verhalten, doch es war sichtbar. "Ich weiß. Aber genau darum geht es. Ich will dir helfen, du musst mir nur vertrauen." Ich hob die Augenbrauen. "Dir vertrauen?" Harry nickte. "Diesen Punkt können wir glaube ich in unsere Definition von Freundschaft übernehmen." Die Frage war nur, ob ich ihm vertrauen konnte. Immerhin wusste ich, dass er sogar seiner eigenen Freundin gegenüber alles andere als ehrlich war. Gleichzeitig wusste ich jedoch viele Dinge über ihn, von denen Beth keine Ahnung hatte. "Einverstanden?", fragte Harry, nachdem ich ihn eine Weile der Schweigens. Bevor ich nicken, den Kopf schütteln oder überhaupt irgendwie reagieren konnte, klopfte es an der Tür. Ruckartig richtete Harry sich auf und auch ich wich vor ihm zurück. "Harry? Bist du da?" Beth. Zweifellos. 

Harry sprang aus dem Bett und griff nach seinem T-Shirt. "Bin gleich da.", rief er in Richtung Tür. Etwas hilflos blieb ich sitzen. Doch Harry deutete auf eine weitere Tür, die vermutlich in sein Bad führte. Die Vorteile eines Einzelzimmers...

Schnell stand ich ebenfalls auf und öffnete die Tür vorsichtig. Zum Glück verursachte das keine Geräusche. Harry war schon auf dem Weg zur Zimmertür, als er sich auf einmal umdrehte und stattdessen auf mich zu ging. Kurz vor mir blieb er stehen und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. "Du kannst hier bleiben, wenn du möchtest. Ich bin gleich wieder da, ich muss nur kurz etwas klären." Obwohl ich das für alles andere als eine gute Idee hielt, nickte ich. Jetzt mit ihm zu diskutieren wäre ohnehin sinnlos. Ohne Vorwarnung beugte er sich nach vorne und legte seine Lippen auf meine. Nur für wenige Sekunden, dann drehte er sich um. Ich hörte wie sich die Zimmertür öffnete und kurz darauf wieder schloss. Wie in Trance fuhr ich mit meinem Zeigefinger über meine Lippen. Kopfschüttelnd verließ ich das Bad und ließ mich erneut auf dem Bett nieder. 

Hatte ich mich tatsächlich gerade auf eine Art Affäre mit Harry eingelassen? Niemals hätte ich gedacht, dass dieser Tag so enden würde. Und noch weniger hätte ich von mir selbst ein solches Verhalten erwartet. Vermutlich jede einzelne Entscheidung die ich heute getroffen hatte, was absolut falsch. Aber wie Harry schon ganz passend festgestellt hatte: es war für uns beide unmöglich logisch zu denken, sobald der jeweils andere in der Nähe war. Und die scheinbar einfache Lösung, Abstand voneinander zu halten, klang alles andere als verlockend. Jedoch nicht, weil ich dabei war Gefühle jeglicher Art für ihn zu entwickeln. Es war eher eine bloße physische Anziehungskraft, die diesen Abstand verhinderte. Ich war derart tief in Gedanken versunken, dass mir gar nicht auffiel, wie die Zeit verging. Doch als mein Blick durch Zufall auf die Uhr fiel, war bereits eine halbe Stunde vergangen. In anbetracht der Tatsache, dass morgen Montag war, gab es deifintiv wichtigere Dinge mit denen ich mich beschäftigen könnte, als hier dumm rum zu sitzen und auf Harry zu warten, während der Zeit mit Beth verbrachte. Hoffentlich war es wenigstens so schlau und war mit ihr irgendwo hingegangen, anstatt vor der Tür stehen zu bleiben. Der Flur jedoch war leer. Erst kurz vor dem Erreichen meines Zimmers fiel mir ein, dass es gut möglich war, die beiden dort anzutreffen. Trotzdem öffnete ich die Tür. Niemand war anwesend, sodass ich meine Ruhe hatte. Einiges hatte ich bereits vorhin geschafft und es dauerte nicht lange, bis auch die restlichen Aufgaben erledigt waren. 

Vor meiner Zeit an der UCL, hatte ich meine Abende oft damit verbracht, gemütlich im Bett zu sitzen und dabei Serien oder Filme zu schauen. Doch seit ich hier war, hatte ich nie wirklich Zeit dafür gefunden. Jetzt gerade sah das anders aus. Beth und Harry trieben sich sonst wo herum, um Niall gegenüber zu treten war ich zu feige, und Louis' vorwurfsvolle Blicke konnte ich in diesem Moment auch nicht ertragen. Aus diesem Grund schaltete ich meinen Laptop an und beschloss, die aktuellsten Folgen meiner Lieblingsserien zu schauen. Ich schaffte tatsächlich zwei ganze Episoden, bevor sich die Zimmertür öffnete. Lächelnd drehte ich mich in Beths Richtung um sie zu begrüßen, doch sie beachtete mich überhaupt nicht. Stattdessen ließ sie sich auf ihr Bett fallen, mit dem Gesicht nach unten. Ich klappte meinen Laptop zu und stand verwundert auf. Ein leises Schluchzen verriet, dass Beth weinte. Schnell setzte ich mich neben sie und strich über ihren Rücken. "Beth? Was ist los?" Sie antwortete nicht, stattdessen schluchzte sie erneut. "Was ist passiert?", fragte ich trotzdem. Tatsächlich hob sie langsam den Kopf und drehte sich auf den Rücken. Ihre Augen waren rot und verquollen, ihre Wimperntusche verschmiert. "Du... du hattest Recht.", flüsterte sie zwischen zwei Schluchzern. Verwirrt runzelte ich die Stirn. "Wobei?" Es dauerte eine Weile, bis sie etwas erwiderte. "Harry. Du mochtest ihn von Anfang an nicht. Ich hätte auf dich hören sollen.... Dieses verdammte Arschloch." 

Mein Herzschlag beschleunigte sich. Was hatte Harry ihr erzählt? Offensichtlich nicht die ganze Wahrheit, sonst würde sie wohl kaum mit mir reden. "Was... was genau ist passiert, Beth?" Bevor sie antwortete, griff sie nach der Packung Taschentücher, die auf ihrem Nachtisch lag. "Er hat Schluss mit mir gemacht. Einfach so." Auf einmal kamen mir seine Worte von vorhin in den Sinn: 'Ich muss nur kurz etwas klären.' Was er damit gemeint hatte, war jetzt ziemlich offensichtlich. "Einfach so? Er hat dir keinen Grund genannt?" Beth schnaubte. "Doch. Er liebt mich nicht." Wenigstens in diesem Punkt, hatte er ihr endlich die Wahrheit gesagt. Anscheinend jedoch auf eine nicht sehr schonende Art und Weise. "Komm her", murmelte ich und zog sie an mich heran. Sie legte ihre Stirn auf meine Schulter und begann erneut zu schluchzen. 

Nach etwa fünf Minuten hatte sie sich einigermaßen beruhigt. Seufzend richtete sie sich auf und schüttelte den Kopf. "Eigentlich sollte mich das nicht so sehr überraschen." - "Wie meinst du das?", fragte ich neugierig. Bis jetzt war es mir immer so vorgekommen, als sei sie glücklich in ihrer Beziehung gewesen. "Naja, er hat mir nie wirklich gesagt, dass er mich liebt. Überhaupt hat er ja kaum mit mir geredet. Nicht einmal seine Eltern kenne ich." Obwohl ich das natürlich wusste, war es furchtbar, diese Worte aus ihrem Mund zu hören. Von Anfang an hatte ich Beth gemocht. Sie verdiente es, die Wahrheit zu wissen. Aber ich wusste, dass ich nicht das Recht dazu hatte, ihr alles zu erzählen. Es war Harrys Familie, Harrys Vergangenheit. "Dann ist es doch vielleicht gar nicht so schlecht, dass es jetzt vorbei ist.", sagte ich leise. Zu meiner Überraschung nickte Beth. "Ja, du hast Recht. Trotzdem fühlt es sich furchtbar an." - "Ich weiß. Aber du hast mich. Und Louis... und Niall. Wir sind für dich da!", versicherte ich ihr. Ihre Mundwinkel hoben sich ein kleines Stück. "Danke Lizzy. Ich bin wirklich froh, dass du meine Mitbewohnerin bist. Irgendwie habe ich das Gefühl, ich sah dir das zu selten." 

Noch nie in meinem Leben hatte ich ein derart schlechtes Gewissen gehabt. 

DARK turns to LIGHTWhere stories live. Discover now