Kapitel 33

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Ohne jegliche Orientierung wachte ich am nächsten Morgen auf. Es dauerte ein paar Minuten bis ich mich an all die Geschehnisse vom Vortag erinnerte. Dann fiel mir auf, dass ich alleine war. Das wiederum passte nicht zu meinen Erinnerung. Soweit ich wusste war ich neben Harry eingeschlafen. Diesen konnte ich jedoch nirgendwo entdecken. Ich blieb eine Weile stumm liegen, nur um festzustellen, dass auch aus dem Badezimmer keinerlei Geräusche kamen. Verwundert und etwas besorgt setzte ich mich auf. Auch seine Tasche war offensichtlich nicht hier. War es möglich, dass er einfach so gefahren war? Mich hier alleine gelassen hatte? 

Nein.

Es war nicht möglich.

Wieso sollte Harry so etwas tun? Es würde all seinen Worten und Handlungen widersprechen. Aber wo war er jetzt? 

Als nach zehn Minuten noch immer jede Spur von ihm fehlte beschloss ich, unten an der Rezeption nach ihm zu fragen. Vielleicht hatte dort jemand gesehen, ob und wann er das Hotel verlassen hatte. Schnell zog ich die Sachen an, in denen ich gestern auch losgefahren war. Kurz überlegte ich meine Tasche hier zu lassen, dann fiel mir ein, dass ich keinen Schlüssel zu diesem Zimmer hatte, weshalb ich sie lieber mitnahm. 

Der Fahrstuhl brachte mich ins Erdgeschoss, wo noch nicht wirklich viel los war. Erst nachdem ich mich zweimal geräuspert hatte, hob die junge Frau an der Rezeption den Kopf und sah mich an. "Wissen Sie zufällig ob der Gast aus Zimmer 49 schon ausgecheckt hat? Oder überhaupt das Hotel verlassen?" Gelangweilt zuckte sie mit den Schultern. "Ich kann auf dem Zimmer anrufen." - "Nein, dort ist er nicht." Jetzt sah sie mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Dann hat er das Hotel wohl verlassen." Es machte nicht den Anschein, als würde ich hier herausfinden wo Harry war. Anrufen konnte ich ihn auch nicht, da der Akku meines Handys über Nacht den Geist aufgegeben hatte. 

Es gab nur eine Möglichkeit herauszufinden, ob Harry tatsächlich bereits gefahren war. Ohne zu zögern verließ ich das Hotel und versuchte mich zu orientieren. Vom Strand trennte mich nur eine Straße, doch der Pier und somit der Parkplatz auf dem Harrys Wagen gestern stand, waren einige Meter entfernt. Mit schnellem Schritt ging ich in diese Richtung, unentwegt hoffend, dass er noch hier war. 

Zu dieser frühen Stunde war der Parkplatz noch zu gut wie leer, sodass ich Harrys schwarzen Range Rover schon von weitem erkennen konnte. Noch immer stand er genau an der selben Stelle wie gestern. Harry selbst war jedoch auch hier nicht zu sehen. Vermutlich war es dennoch am besten hier auf ihn zu warten. 

Ich betrat den Pier und setzte mich auf eine Bank, von der aus man den Parkplatz gut im Blick hatte. Doch dieser blieb menschenleer. Stattdessen fiel mir einige Minuten später auf, wie eine Person sich im Laufschritt die Straße entlang bewegte. Trotz der weiten Entfernung bestand kein Zweifel daran, dass es Harry war. Allerdings lief er geradewegs am Parkplatz vorbei. Wo wollte er hin und weshalb hatte er es so eilig? Schnell stand ich auf und folgte ihm. Ich rief seinen Namen, doch er war zu weit vor mir, um mich zu verstehen. Als ich schließlich sah, welches Gebäude er ansteuerte, wurde meine Verwirrung nur noch größer. Was wollte er am Bahnhof?

Ich betrat die Bahnhofshalle kurz nach ihm und es dauerte nicht lange, bis ich ihn entdeckt hatte. Er stand vor einem großen Bildschirm, der die Ankunft und Abfahrt aller Züge anzeigte. Sein Blick wanderte zu einer Wanduhr. Dann fuhr er sich mit der Hand durch die Haare und sah sich um. Verwundert näherte ich mich ihm von hinten. 

"Harry?"

Sofort drehte er sich um, seine Augen weiteten sich. Im nächsten Augenblick hatte er seine Arme um mich geschlungen.

"Luft.. keine... Luft.", war alles, was ich hervorbringen konnte. Seine Umarmung lockerte sich und er trat einen Schritt zurück, ließ mich jedoch nicht los. 

"Du bist noch da.", stellte er fest. Verwirrt nickte ich. "Natürlich bin ich noch da. Aber was machst du am Bahnhof?"

"Ich dachte... ich dachte du hättest den Zug zurück nach London genommen." Jetzt verstand ich gar nichts mehr. "Wieso sollte ich das tun? Ich dachte wir fahren zusammen. Mit deinem Auto." - "Das dachte ich auch. Aber dann warst du auf einmal weg und- " Ich hob meine Hand um ihn zu unterbrechen. "Ich war weg? Du bist derjenige, der auf einmal mit all seinen Sachen verschwunden war!" - "Um sie schon mal zum Auto zu bringen. Und auf dem Rückweg wollte ich uns Frühstück mitbringen. Als ich zurück ins Hotel kam, war das Zimmer leer." Oh. Das erklärte seine Abwesenheit. "Ich dachte du wärst ohne mich gefahren.", murmelte ich und sah betreten zu Boden. "Ohne dich gefahren? Eliza... weshalb zum Teufel sollte ich ohne dich zurück nach London fahren? Du bist der Grund, weshalb ich überhaupt zurück fahre." - "Tut mir leid... ich war nur verwirrt." Harry lachte und hob mit einer Hand mein Kinn an. "Es gibt nichts wofür du dich entschuldigen müsstest. Ich bin derjenige, der einfach gegangen ist. Ich hätte dir wenigstens einen Zettel oder so da lassen können." - "Oder ich sorge demnächst dafür, dass mein Handy immer aufgeladen ist." Wieder lachte er. "Oder das. Und jetzt lass uns zurück zum Hotel gehen. Ich bin nicht umsonst extra früh aufgestanden, um uns das perfekte Frühstück zu besorgen." Lächelnd hob ich die Augenbrauen. "Das perfekte Frühstück?" Harry zuckte mit den Schultern. "Starbucks. Aber die Tatsache, dass ich deswegen nicht ausgeschlafen habe macht es perfekt." 

Etwa eine Stunde später saßen wir in Harrys Wagen und fuhren zurück in Richtung London. Allerdings bestand ich darauf, noch einen Zwischenstopp zu machen. "Deine Schwester würde dich bestimmt gerne sehen. Du hast sie mit deinem abrupten Abschied ziemlich verängstigt." Seufzend nickte Harry. "Ich weiß... das war nicht sonderlich intelligent von mir." - "Ziehen sie jetzt eigentlich wirklich weg?", fragte ich zögernd. Ich wusste nicht, wie er mittlerweile auf dieses Thema zu sprechen war. Seine Miene verdüsterte sich. "Ja. In zwei Wochen." - "Und es gibt nichts was du dagegen tun kannst?" Er schüttelte den Kopf. "Vermutlich ist es wirklich besser so. Für Lucy. Auch wenn ich nicht mehr jedes Wochenende zu ihr kann... Das heißt ja nicht, dass ich sie nie wieder sehe." 

Sobald der Wagen zum Stehen kam, löste ich meinen Gurt. Doch Harry blieb unbewegt sitzen. "Was ist los?", fragte ich besorgt. Er seufzte und sah aus dem Fenster. "Ich weiß nicht was ich ihr sagen soll. Wie ich mein Verhalten erklären kann. Erst verliert sie ihre Eltern, dann erfährt sie, dass sie ihr Elternhaus verlassen muss und ich Idiot setz noch einen drauf und verschwinde ohne Erklärung. Toller großer Bruder." - "Harry... sie wird nicht sauer auf dich sein. Sie hat sich nur Sorgen gemacht und je länger du hier draußen sitzen bleibst, desto größer werden ihre Sorgen. Also geh da rein, nimm deine Schwester in den Arm und sag ihr, dass du sie liebst. Okay?" Nach kurzem Zögern nickte Harry und stieg aus dem Wagen. 

Ich blieb sitzen. Hier ging es nur um Harry und seine Familie. Es war nicht mein Recht, mich derart aufzudrängen und einzumischen. Doch sobald er sah, dass ich ihm nicht folgte, kam er zurück zum Auto und öffnete meine Tür. "Kommst du?" Langsam schüttelte ich den Kopf. "Du schaffst das auch ohne mich. Ich möchte nicht... eure Privatsphäre stören." Mit hochgezogenen Augenbrauen legte er den Kopf schief. "Du störst überhaupt nichts. Und nein, ohne dich schaffe ich das nicht. Du bist diesjenige die mich zurück geholt hat, Lucy wird deine Anwesenheit verlangen." Lächelnd verdrehte ich die Augen, stieg jedoch aus. Harry schloss die Tür und ging in Richtung Haus. Doch ich hielt ihn am Handgelenk fest, sodass er stehen blieb und sich wieder zu mir umdrehte. 

Ohne ein Wort zu sagen, legte ich meine Lippen auf seine. Der Kuss dauerte nur wenige Sekunden, dann löste ich mich wieder von ihm. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. 

"Womit habe ich das verdient?" Ebenfalls lächelnd zuckte ich mit den Schultern. "Es überkam mich einfach so." Aus seinem Lächeln wurde ein Grinsen. "Das darf gerne öfter passieren."

Dann nahm er meine Hand und setzte sich erneut in Richtung Haustür in Bewegung. 

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