Tomatenschlacht

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Sich weiterhin umsehend, stellte sie sich an den Rand, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Keiner der vorbeigehenden Leute sah ihm auch nur ansatzweise ähnlich.

Mittlerweile waren ihre Nerven zum zerreißen gespannt. Was würde passieren, wenn sie ihn nicht wieder fand?

Gerade stellte sie sich vor, wie sie verwahrlost in der Stadt herumirrte, als sie spürte, wie sie jemand grob am Oberarm packte.

Unwillkürlich musste sie an ihre erste Begegnung mit Ahmose denken und wandte sich um.

Vor ihr stand Intef, die Augenbrauen ernst zusammengezogen.

Erleichterung machte sich in Kira breit, als sie ihn sah, aber dass er sie so grob gepackt hatte, behagte ihr gar nicht. Wütend entwand sie sich aus seinem Griff und funkelte ihn an.

„Du bist ja genau wie dein Vater..." murmelte sie kaum hörbar.

Überrascht über diese Bemerkung sah Intef sie an. Für einen Moment starrte er sie voller Verwunderung an, dann entspannten sich seine Züge und er ließ sie los.

Froh darüber, rieb sie sich ihren schmerzenden Arm.

„Komm, wir haben noch einiges zu erledigen!" rief er ihr zu und nahm sie bei der Hand.

Verdutzt über diese unerwartete Geste konnte sie nichts anderes tun, als im hinterher zu stolpern, während er sie weiter zog.

In aller Seelenruhe führte er seinen Einkauf fort, ohne dabei ihre Hand loszulassen, was sie, wenn sie ehrlich war, insgeheim freute.

Staunend betrachtete sie ihn, während er ihre Bambuskörbe weiter mit den nötigen Dingen für das Abendessen füllte. Vielleicht ist er ja doch kein so schlechter Typ.., dachte sie sich.

Wenig später hatten sie auch den letzten Punkt auf ihrer Liste abgehakt. Zwischendurch hatte Intef Kira, mit einer Geduld, die sie ausgesprochen erstaunte, erklärt, wonach sich der Wert einzelner Lebensmittel bemaß und woran man gut verarbeitetes Leinen erkannte, als sie an den Ständen mit den exklusiveren Gütern vorbeikamen.

Neugierig hatte sie all das neue Wissen in sich aufgesogen. Alles, was sie über diese Zeit in Erfahrung bringen konnte, würde ihr vielleicht dabei helfen, wieder in die Gegenwart zu gelangen.

Erschöpft nach all den Besorgungen stellten sich die beiden an den Rand.

„Was gibt es denn dort, wo du herkommst, auf dem Markt?" fragte Intef sie unvermittelt.

Verblüfft, dass er das Thema von letzter Nacht nun doch aufgriff, fragte sie sich, wie sie ihm das Konzept eines Supermarktes erklären sollte.

„Bei uns funktioniert dass ein bisschen anders... Der ganze Markt befindet sich in einem riesigen Gebäude, und an den einzelnen Lebensmittelständen steht nie ein Verkäufer. Verhandeln kann man auch nicht. Alles hat einen festen Preis, und wenn man mit dem nicht einverstanden ist, kauft man eben nichts." Während sie redete, bemerkte sie, dass das Verhandeln auf dem ägyptischen Markt ihr doch praktischer vorkam. „Naja, wenn du jedenfalls alles eingepackt hast, was du brauchst, gehst du zum Ausgang des Gebäudes, da stehen dann die Leute, bei denen du alles bezahlen musst."

Mit einem Gesichtsausdruck, der pure Faszination ausdrückte, sah er sie an.

„So macht man das also bei den Hethitern!" lachte er.

Spielerisch boxte Kira ihm in die Seite. „Da hat dir dein Vater aber einen Wurm ins Ohr gesetzt! Ich bin immer noch keine Hethiterin!"

Aber obwohl sie beide sich frech angrinsten, spürte Kira, dass immer noch etwas zwischen ihnen stand. Die unausgesprochene Wahrheit ihrerseits und die Unkenntnis darüber, wer sie war, seinerseits schienen eine unendlich große Kluft zwischen ihnen auszumachen.

Gerade wollte sie ihm noch mehr aus ihrer Welt erzählen, als etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Hinter sich hörte sie das Schreien eines Kindes, hysterisch und teilweise unterbrochen von klagendem Schluchzen.

Überrascht drehte sie sich um. Ein paar Meter entfernt, zwischen den Ständen, die Schmuck anboten, sah sie, wie ein nur mit einem Leinenschurz bekleideter Mann auf ein Kind einschlug.

Grob packte er das Kind, welches vielleicht gerade einmal sechs war, am Nacken und schüttelte es hin und her.

Unfähig, den Blick von der Szene abzuwenden, näherte sie sich den beiden.

Jetzt konnte sie auch verstehen, was der Mann brüllte. „Glaubst wohl, du kannst dich hier bereichern?" Wütend spuckte er auf den Boden.

„Nein..." schluchzte Das Kind, während es versuchte, sich aus den Griff des Mannes zu befreien.

Entsetzt musste Kira mit ansehen, wie der grobschlächtige Mann das Kind losließ, nur um ihm wieder mit voller Wucht ins Gesicht zu schlagen. „Dieben wie dir sollte man die Hände abschlagen!"

Als er dann auch noch nach dem am Boden liegenden Kind trat, fühlte sie sich, als sei ein Schalter in ihr umgelegt worden.

Aufgebracht schrie sie dem Mann zu: „He du! An einen stärkeren Gegner als ein Kind traust du dich wohl nicht, was?!"

Ehe sich der Ägypter ihr mit empörtem Gesicht zuwenden konnte, griff sie schon in ihren Korb, packte das erste, was sie in die Hand bekam und schleuderte es dem Mann mit voller Wucht ins Gesicht.

Mit grimmiger Befriedigung sah sie zu, wie der Mann sich vollkommen überrumpelt die Tomatenreste aus dem Gesicht wischte.

Aber Kira war noch lange nicht fertig mit ihm. Ohne wirklich zu realisieren, was sie tat, griff sie wieder in den Korb und schleuderte ihm eine Tomate nach der nächsten um die Ohren.

Am Rande ihres Blickfeldes nahm sie war, wie die Leute sich nach ihnen umsahen, aber es war ihr egal.

Das Opfer ihrer Wurfgeschosse versuchte diesen derweil auszuweichen, wenn auch erfolglos.

Wütend leerte sie den ganzen Korb Tomaten, während die dem nun nicht mehr so selbstbewusst dreinblickenden Mann entgegen schrie: „Da guckst du blöd, was, du Abschaum?!"

„So ein Schwächling wie du kann sich wohl nur an kleinen Kindern vergreifen!" ertönte es hinter Kira.

Sprachlos sah sie mit an, wie auch Intef jetzt in seinen Korb griff und den Mann mit den verschiedensten Früchten bewarf.

So standen die beiden Jugendlichen Seite an Seite und schleuderten ihre Einkäufe, während sie die kreativsten Beleidigungen schrien.

Ehe sie alle ihre Geschosse aufgebraucht hatte, verschwand der Mann mit vor Scham roten Gesicht in einer kleinen Gasse, gefolgt von den lauten Zurufen der anderen Leute, die ihren Einkauf unterbrochen hatten, um sich das Schauspiel anzusehen.

Das Kind hatte sich inzwischen auch aus dem Staub gemacht, aber Kira konnte es ihm nicht verübeln. Hätte ein Erwachsener plötzlich auf sie eingeprügelt, weil er dachte, sie würde klauen, würde sie auch schnellstmöglich verschwinden wollen. Besonders da keiner der anwesenden Erwachsenen den Anschein gemacht hatte, helfen zu wollen, auch wenn Kira es nicht verstehen konnte.

Zufrieden mit sich gingen die beiden Jugendlichen weiter, außer Sicht der ihnen hinterher starrenden Erwachsenen. Erschöpft ließen sie sich gegen eine Hauswand sinken, und für einen Moment sagte keiner etwas. Doch dann sahen sie sich an und konnten nicht anders, als schallend anfangen zu lachen.

„Hast du sein Gesicht gesehen? Der hat am Ende selber wie eine Tomate ausgesehen!" prustete Kira los. Das Gelächter fühlte sich gut an, endlich fiel die Anspannung der letzten Wochen von ihr ab, Zeitreise und der Weg nach Hause waren endlich für einen Moment vergessen.

„Wo blöd der geguckt hat, als er uns gesehen hat!" Vor lauter Lachen hielt Intef sich den Bauch.

„Als hätte er einen Geist gesehen!"

So saßen die beiden nebeneinander in der Sonne, die Kira nun schon gar nicht mehr so brennend heiß vorkam, und lachten, bis ihnen die Tränen kamen.

Als sie Intef ins Gesicht sah, hatte sie das Gefühl, dass sie vielleicht, ganz vielleicht, einen echten Freund in dieser Epoche gefunden hatte.

Time Traveler - Durch den heißen WüstensandWhere stories live. Discover now