Unruhe nach dem Sturm

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Kira wusste nicht, was es war, dass sich zuerst in ihrem Herzen festsetzte. Schock? Entsetzen? Vielleicht sogar beides. Mit weit aufgerissenen Augen saß sie dort auf ihrem Stuhl und starrte auf Intef und Ramose, die sich über den Tisch hinweg wütend anfunkelten.

Ramoses Deklaration hing wie ein giftiger Nebel im Raum. Es dauerte einen Moment, doch dann setzte auch bei Kira die Erkenntnis ein. Die Person, die sie nach Hause bringen sollte, war eine versuchte Mörderin. Von einer Sekunde zur nächsten hatte diese eine Tatsache ihre gesamte Hoffnung in den Sand getrampelt. Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie das Bild ihrer Eltern, ihrer Freunde und ihres Zuhauses immer weiter in die Ferne rückte, wie eine Fata Morgana, nach der man zwar immer zu greifen versuchte, sie jedoch nie erreichen würde.

Sie spürte, wie sie am ganzen Leib zu Zittern begann. Das darf nicht wahr sein. Es ist alles umsonst.

Endlich wandte Ramose sich ihr zu. Seine flussblauen Augen blickten in ihre, schienen stumm um Vergebung zu bitten – und prallten ab. Mit einer ruckartigen Bewegung stand Kira auf und ging zur Tür. Ohne sich ein weiteres Mal umzudrehen, verließ sie den Raum, darum bemüht, ihre Tränen herunterzuschlucken. Entschlossen trat sie auf den Gang. Nein, sie würde nicht weinen. Sie hasste das Gefühl von Trauer, Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit – aus diesem Grund würde sie sich dem nicht hingeben. Nicht nochmal. Sie dachte zurück an ihre Gefangenschaft im Medjai-Gefängnis und wie sie jeder Mut verlassen hatte. Sie dachte zurück an den Moment, in dem Ramose ihr eröffnete, er könne sie nicht heimbringen und wie ihre Hoffnung zersplittert war. Sie wollte sich nicht noch einmal so fühlen.

Sie zwang sich, ihren Blick vom Boden loszureißen und geradeaus zu blicken. Mit einem klammen Gefühl im Bauch machte sie sich auf den Weg zu ihrem Zimmer. Hinter sich hörte sie, wie Intef auf den Gang trat und ihr folgte. Rasch holte er sie ein und ging neben ihr, doch keiner von beiden sagte etwas. Kira spürte, wie ihr Freund sie von der Seite musterte, ignorierte jedoch seinen besorgten Blick. Sie würde sich dem nicht hingeben. Dann würden garantiert die Tränen zurückkehren.

In ihrem Zimmer empfing sie das warme Glimmen der Kohlepfanne. Sie fühlte sich wie betäubt, als sie sich auf das Bett setzte und in die Glut starrte.

In ihrem Kopf drehten sich ihre Gedanken immer wieder in einem endlosen schwarzen Kreis.

Sie sollte nicht dreitausend Jahre in der Vergangenheit bleiben. Sie wollte zurück nach Hause, mit ihrem Vater Eis essen gehen, sich über seine Freundin lustig machen, mit ihrer Mutter zusammen Kuchen backen, mit ihren Freundinnen den Lehrer ärgern. All das blieb ihr für immer verwehrt.

Mit einem Mal wurde sie aus ihren trübseligen Gedanken gerissen, als sie spürte, wie Intef sie in den Arm nahm. „Es ist okay, zu weinen.‟, flüsterte er ihr ins Ohr. „Um ehrlich zu sein würde ich das an deiner Stelle auch tun.‟

Energisch schüttelte sie den Kopf. „Ich will nicht mehr weinen.‟ Sie erwiderte seine Umarmung und genoss seine tröstliche Wärme. „Ich will Lösungen finden und mein Leben selbst in die Hand nehmen.‟

Sein Schweigen zeigte ihr, dass er daran zweifelte, wie sie dies bewerkstelligen sollte. Sie wusste es auch noch nicht, doch wenn sie etwas wusste, dann, dass sie schon noch ihren Weg finden würde.

Vielleicht nicht heute, vielleicht auch nicht morgen. Aber irgendwann bestimmt.

Vielleicht führte er sie nach Hause, vielleicht auch an einen anderen Ort. Was zählte, war, dass sie nicht allein war. Sie hatte Intef, und das war ihr mehr wert als hundert Zeitmaschinen zusammen.

Time Traveler - Durch den heißen WüstensandWhere stories live. Discover now