Letzte Entscheidung (Teil 1)

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Die strahlende Sonne war während ihrer Bootsfahrt flussaufwärts weiter gen Osten gewandert. Kira war währenddessen all ihr Zeitgefühl abhanden gekommen. Wie lange starrte sie nun schon in die Ferne? Eine Stunde? Drei? Vier? Intef neben ihr machte den Anschein, eingeschlafen zu sein. Sein Atem ging ruhig und auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, als gäbe es nichts Böses in der Welt, während er auf ihrer Schulter vor sich hin döste.

Kira wünschte sich, auch schlafen zu können, doch stattdessen starrte sie mit bereits schmerzenden Augen den Horizont an. Mit einem leichten Stöhnen rieb sie sich ihre trockenen Augen, darauf bedacht, Intef nicht aufzuwecken. Genau so, wie sie sich fühlte, wollte sie sich nie mehr fühlen. Nach all der Aufregung, Trauer und Enttäuschung während ihrer Reise hatte sie sich nicht noch einmal so verzweifelt fühlen wollen. Doch sie konnte nichts dagegen tun, konnte das Gefühl nicht aufhalten, oder dazu zwingen, zu verschwinden. Derweil war sie zu der Erkenntnis gelangt, dass sie nur mit dem Gefühl umzugehen lernen konnte, wollte sie weiter ihren Weg verfolgen... Welcher von beiden Optionen dieser schlussendlich auch sein würde.

Im nächsten Moment riss der Kapitän des Schiffes sie mit einem lauten „Wir legen jetzt vor Gizeh an!‟ aus dem Strudel ihrer Gedanken.

Bei den Worten des Mannes begann ihr Herz schneller zu klopfen. Hastig weckte sie Intef neben sich auf, der immer noch reichlich desorientiert aussah. „Sind wir schon da?‟, fragte er, während er sich gähnend die Augen rieb.

Stumm nickte Kira und zog ihn mit sich vom Schiff. Endlich wieder mit festem Boden unter den Füßen fühlte sie sich bereits ein kleines Stück besser als zuvor. Die Augen gegen die Sonne abschirmend sah sie sich am Hafen um, konnte jedoch nur eilig umher huschende Menschen und Wolken aufgewirbelten Sandes erkennen.

„Wo genau wolltest du eigentlich hin?‟, fragte sie ihren Begleiter. Sie wunderte sich immer noch, warum Intef so plötzlich nach dem Tod ihres Freundes ihr so unbedingt in Gizeh etwas zeigen wollte. War es nicht eher Zeit, zu reden? Zu entscheiden, wie es weiterging?

„Das ist ein Geheimnis.‟ Intef brachte ein schwaches Lächeln zustande und zog sie mit sich aus den Menschenmassen.

„Bist du überhaupt schon einmal in Gizeh gewesen?‟ Zweifelnd sah sie sich nach den weißen Häusern der Stadt um, die wie kleine Bauklötze direkt an den Hafen grenzten. Heißer Sand kroch ihr mit jedem Schritt zwischen die Zehen.

„Nicht wirklich‟, gab Intef zu, ohne sich nach ihr umzudrehen. „Vertrau mir einfach. Was ich dir zeigen will, lässt sich kaum verfehlen...Außerdem könnten wir beide eine Ablenkung ganz gut gebrauchen.‟

Kira wollte ihn schon darauf hinweisen, dass sie gerade einen Freund verloren hatten und eine wilde zeitreisende Mörderin darauf wartete, von ihr gefasst zu werden, erhob jedoch keinen Einwand gegen Intefs Plan.

Plötzlich erschreckte sie sich über ihre eigenen Gedanken. Wollte sie wirklich diejenige sein, die Malia fasste? Wollte sie sich wirklich mit einer Mörderin anlegen? Doch als im nächsten Augenblick das Bild Ramoses, wie er blutverschmiert auf dem kalten Steinboden lag, die blauen Augen für immer geschlossen, in ihrem Geist auftauchte, kroch unvermittelt Wut in ihr hoch, verdrängte die Angst und die Trauer und brannte sich in sie ein, wie Säure. Ja, sie wollte sich mit Malia anlegen. Sie wollte sich mit ihr anlegen und sie zur Rechenschaft dafür ziehen, was sie ihrem Freund angetan hatte. Der Anblick der giftgrünen Augen Malias vor ihrem inneren Auge jagten ihr schon beträchtlich weniger Angst ein, als zuvor.

Doch würde dies bedeuten, Intef zurück zu lassen. Nichts wollte sie weniger, als sich von ihrem Freund trennen zu müssen.

„Intef, ich finde, wir sollten reden‟, begann sie endlich. Sie mussten sich jetzt endlich einig werden, wie es weiterging, bevor ihnen die zeit ausging. Doch zu ihrer Überraschung schüttelte Intef nur den Kopf.

Time Traveler - Durch den heißen WüstensandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt