Allein

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Noch immer benommen von dem Streit mit ihrem besten Freund, sank sie auf die Bank unter dem Aprikosenbaum. Doch war sie sich jetzt ziemlich sicher, dass sie ihn nicht mehr ihren „besten Freund" nennen konnte.

Sie konnte seine kühle Reaktion immer noch nicht nachvollziehen. Sie war davon ausgegangen, dass er mit ihr zusammen den Wesir aufsuchte, nicht, dass er stattdessen einen Streit vom Zaun brechen lassen würde. Seufzend starrte sie in den dunklen Nachthimmel. Sie wollte doch nur nach Hause, mehr nicht. War das denn zu viel verlangt?

Eine leichte Brise kam auf, strich ihr um die Beine und brachte sie zum Zittern. Die eisige Kälte der Nacht kam ihr plötzlich noch unerträglicher vor, als vorher. Sie wünschte sich, wieder daheim zu sein, wo es nachts nicht so mörderisch kalt wurde.

Nach ihrer Auseinandersetzung mit Intef fühlte sie sich miserabler, als eine Maus in der Falle sich je hätte fühlen können. Die Erkenntnis, sich nicht seiner Unterstützung sicher sein zu können, bereitete ihr entsetzliche Bauchschmerzen. Sie fühlte, wie sich ihr Magen bei dem Gedanken daran, wie er drein geblickt hatte, nachdem Kira diese unendlich dummen Wort ausgesprochen hatte, schmerzhaft zusammen zog.

Obwohl sie insgeheim Intef die Schuld für ihren Streit gab, erkannte sie, dass sie ihn nicht auf solch abstoßende Art hätte verletzen dürfen. Ich sollte mich entschuldigen.

Mit einem unguten Gefühl, dass sich in ihrem Herzen festgesetzt hatte, stieg auch sie wieder die Treppe hinunter ins Haus und verschwand in ihrem Zimmer, ohne auch nur einen Blick in das ihres Freundes zu werfen. Morgen könnten sie bestimmt in Ruhe miteinander reden. Dann würde sie sich entschuldigen und konnte ihn vielleicht doch noch von ihrem Vorhaben überzeugen.

Unschlüssig stand sie in ihrem Zimmer, an Schlafen war für sie nicht mehr zu denken. Dann fiel ihr Blick auf ihre Schultasche. Vorsichtig holte sie die Bronzescheibe heraus. Sie war das einzige, was sie jetzt noch mit ihrem Zuhause verband. Während sie darüber strich, dachte sie an ihre Schulfreundinnen und hörte sie in ihren Gedanken laut lachen. Dann sah sie ihre Eltern vor sich, wie sie sie erwartungsvoll anblickten und auf sie warteten.

In dem Moment wurde ihr klar, dass sie keine andere Wahl hatte, als selbst in Aktion zu treten.

Intef würde ihr so oder so nicht zuhören. Nicht heute Nacht, nicht morgen.

Wie ein tonnenschwerer Stein lag das Heimweh auf ihr, zwang sie dazu, ihre Tasche zu leeren und alle ihre Habseligkeiten in eine weiße Leinentasche zu stecken, die sie einmal für den Einkauf benutzt hatte. Sie realisierte kaum, was sie tat, konnte nur daran denken, wie ihre eigene Welt auf sie wartete.

Sie würde nicht warten, bis Intef sich umstimmen ließ. Sie würde nicht untätig bleiben und zusehen, wie ihre Chance, nach Hause zu gelangen, ihr aus den Fingern glitt.

Leise schulterte sie die Tasche, schlich auf leisen Sohlen die Treppe hinunter und ging in die Küche. Dort packte sie sich noch ein wenig Proviant ein, ehe sie das Haus verließ und vorsichtig die lädierte Tür hinter sich zuzog.

Sie holte drei Mal tief Luft, um sich zu beruhigen, ehe sie den ersten Schritt in die Nacht hinaus machte. Den Schritt, auf ihrem Weg nach Hause.

Time Traveler - Durch den heißen WüstensandWhere stories live. Discover now