Kapitel 43 ~ Sterben um zu leben

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Stillschweigend sieht er mich an, mustert mich förmlich und schmunzelt.

"Bin ich so leicht zu durchschauen?", fragt er.

"Ja, zumindest für mich", antworte ich und lasse mich nach hinten auf mein Bett fallen, wobei ich anschließend neben mich klopfe und andeute, er solle sich neben mich setzen.

"Ich will wissen, was in dir vorgeht. Ich möchte dich verstehen, dein Denken und Handeln nachvollziehen können - deswegen will ich wissen, was los ist"

"Es ist kompliziert und ich will dich nicht wieder mit einbeziehen, ich habe erst gelernt, wie ich ohne dich auskomme"

"Kim, ich bin noch deine Vertrauensperson, okay? Ich weiß viel über dich und will dich nicht so sehen, wie du manchmal eben bist. Du sollst glücklich sein, denn das hast du verdient, aber stattdessen frisst du alles in dich hinein und bleibst mit deinen Gedanken bei dir selbst"

Ich atme ein und aus und gebe langsam nach.

"Na gut, Ryan, du hast mich überzeugt"

"Ich danke dir", lächelt er sanft.

"Ich versuche seit Jahren mit mir selbst klarzukommen und es klappt nicht. Ich lache darüber und schreie mich dabei in meinem Kopf selbst an, wie unbrauchbar ich doch eigentlich bin und ich bekomme es immer wieder bestätigt. Ich fühle mich innerlich tot, so, als gäbe es da nichts, verstehst du? Falco hat mal so schön gesagt 'Muss ich denn sterben, um zu leben'. Und ich verstehe seine Botschaft hinter dieser Zeile, zumindest so, wie ich sie auf mein Leben beziehen kann.", erläutere ich und bemerke, wie mir eine Last von den Schultern fällt, es sich aber trotzdem falsch anfühlt.

"Ich kann nicht tagtäglich immer so tun als sei alles in Ordnung und dann liege ich an einem späten Abend im Bett und heule Rotz und Wasser, weil ich nicht mehr kann. Am nächsten Tag laufe ich in die Schule und will jeden vierten umbringen, der mir über den Weg läuft, wegen einem dummen Blick, den er mir zuwirft. Aber dennoch schaffe ich es immer und immer wieder mit einem Lächeln den Tag zu überstehen, ohne, dass man mir anmerkt, wie ich in dieser Sekunde denke. Ich fühle mich manchmal wie ein hoffnungsloser Fall, der für alle nur eine Belastung darstellt"

Er nickt und legt seine Hand auf meine.

Es fühlt sich so falsch an.

"Ich kann das nicht Ryan", sage ich und ziehe meine Hand weg. Anschließend wende ich meinen Blick ab und bemerke, wie meine Augen feucht werden.

Ach, also kann ich das auch noch?

Vergeblich blinzle ich die Tränen weg. Ryan hingegen packt vorsichtig mein Gesicht und dreht es in meine Richtung, sodass ich ihn ansehen muss.

"Kim, hör zu", flüstert er und nimmt seinen Griff von meinem Gesicht. "Du bist nicht unbrauchbar, für manche Menschen bedeutest du viel mehr, als du vielleicht vermutest. Lasse dein Inneres erleuchten und du wirst sehen, wie gut du dich fühlen wirst. Fühle dich nicht tot, fühle dich frei und lebe - und sorg dafür, dass du nicht sterben willst. Ich weiß, dass ich ein Grund vor nicht geraumer Zeit war, weswegen du so denkst und ich entschuldige mich hiermit. Ich kann es nicht ertragen dich so zu sehen. Du kannst anders sein, dass weiß ich ziemlich gut. Wenn du so eine Nacht hast, bitte, ich bitte dich, ruf mich an oder geh zu Jason rüber, aber bleib nicht alleine mit diesen Plagen in deinem Kopf"

Die Tränen strömen frei heraus und ich weiß nicht, wie ich auf Ryans Ansprache reagieren soll.

Er ist anders als in letzter Zeit.

"Aber es bedrückt dich noch etwas anderes", stellt er belanglos fest.

Ich schlucke und sehe ihn an.

"Seit wann kennst du mich so gut?", frage ich ihn.

"Seitdem ich dich das erste mal geküsst habe"

Ich muss schmunzeln und sehe durch meine verheulten Augen, dass er halb in Erinnerungen schwelgt.

"Es ist - Amy, sie ist anders als sonst", beginne ich. "Ich weiß nicht, sie spaltet sich ab, benimmt sich scheiße mir beziehungsweise uns gegenüber"

"Hat sie neue Freunde?", fragt Ryan.

"Ich glaube schon aber keine Ahnung wer die sind. Ich glaube eine geht eine Stufe über uns, der Rest ist schon fertig mit der Schule soweit ich weiß"

"Hast du das Gefühl, dass diese eine, die eine Stufe über euch ist, euch als ihre beste Freundin ersetzt?"

Mehr Tränen kommen aus meinen Augen geflossen.

Genau das kann ich nie ausdrücken: Die Angst Menschen zu verlieren, die mir viel bedeuten.

"Spätestens an dem Tag, an dem ich sie mit den neuen Leuten in der Stadt sehe und sie mich ignoriert, ist es soweit. Dann weiß ich, dass ich egal bin - und es vielleicht schon immer war"

Ich lache auf und Ryan sieht mich verwundert an.

"Selbst Kelly merkt wie sehr mich das mitnimmt und kümmert sich so unglaublich gut um mich, ich habe nie erwartet, dass es sich mal so drehen kann. Also Kelly und Chloe waren schon immer für mich da, da ist nichts zu rütteln, aber, dass Amy sich abwendet, kann ich nicht verstehen"

Stumm umarmt er mich und küsst mich auf die Stirn.

"Hör zu, Leute kommen und gehen, auch diejenigen, von denen man es nie dachte. Es gibt Leute, die bleiben vielleicht wirklich immer bei dir, aber genauso gut gibt es Leute, die dich verlassen werden, dir aber so viel bedeuten - mehr als dein eigenes Leben"

"Danke, Ryan"

"Für was?"

"Dass du für mich da bist, auch, wenn es so scheint, als würden wir uns abgrundtief hassen"

Teach Me How To Love Where stories live. Discover now