Kapitel 2

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An diesem Ort war alles wie immer. So vertraut. Zumindest solange ich mich daran erinnerte. Sofort wechselte aus diesem Grund meine Stimmung. Das alte Häuschen war hübsch, brauchte aber wieder mal einen neuen Anstrich. Doch der Anblick beruhigte mich auf Anhieb und brachte mich wieder etwas herunter. »Hallo, Henry!«, raunte ich schnaufend und verdrängte den Gedanken daran, dass da etwas hinter den Büschen in der Dunkelheit lauerte. Womöglich wollte mir nur meine Fantasie einen Streich spielen. Nach und nach bewegte sich mein Puls wieder im Normaltempo. »Larissa!«, freute sich der alte Mann und umarmte mich herzlich. Sein Geruch war mir so vertraut. »Was machst du denn hier? Solltest du nicht zum Sonntag noch im Bett liegen? Ich habe heute nichts für dich zu tun.«

Ich war nicht oft aus der Reihe da. Einfach, weil ich Henry auch nicht auf die Nerven gehen wollte. Zwar freute er sich, wenn ich grundlos vorbeikam, doch das zeigte auch ihm, dass ich niemanden weiter hatte und er musste nicht noch mehr wissen... Dass ich oft allein draußen in der Gegend herum lief zum Beispiel. Eine junge Frau in meinem Alter war eigentlich mit Jungs unterwegs, auf Partys oder mit Freundinnen im Kino. Doch davon hatte ich nichts. Rein gar nichts.

Von ganz allein fuhr mein Kopf nach unten und ich schaute auf das marmorierte Muster unter meinen Füßen, was am Rand vom Gras verschluckt wurde. Plötzlich war das viel interessanter. Einerseits kam ich mir nämlich schon etwas blöd vor auf seiner Matte zu stehen. Allerdings wusste ich nicht, wo ich sonst hin sollte und außerdem war es hier sehr schön. Besser wie bei mir und meiner Mutter, wo es im Winter durch alle Ritzen und Kanten zog. Wir besaßen zwar Heizkörper, aber da das Haus eher einer Bruchbude glich, war es schwer etwas Wärme hineinzubringen.

Henry war nicht dumm und bemerkte wie immer, dass ich unglücklich war und betrachtete mich argwöhnisch. Wie konnte ich auch mit so einem Leben zufrieden sein? Am liebsten hätte ich mir die Kugel gegeben, doch da war noch er, den ich nicht allein lassen konnte. Er brauchte meine Hilfe und die versuchte ich ihm so gut es ging zu geben. Egal ob es der Rasen oder der Einkauf war. »Schon okay. Meine Mutter hat mich mal wieder vor die Tür gesetzt und da dachte ich, dass ich ein wenig zu dir komme.«

»Es ist besser, wenn du hier her kommst, als wenn du allein durch die Gegend irrst. Es geht straff auf den Winter zu und die Temperaturen sind zu kalt, dass du dich weiter so lange draußen herumtreiben kannst. Komm herein. Hast du schon etwas gegessen?« Als ich mit dem Kopf schüttelte, nickte er mir wissend zu. Er fragte mich das auch immer jeden Samstag, wenn ich zu ihm kam, um den Schrottplatz auf Vordermann zu bringen, oder auch kleinere Arbeiten am Haus bei Henry verrichtete. Und ständig musste ich ihm dieselbe Antwort geben. Es war schon fast peinlich, dass er mir des Öfteren half, obwohl er nicht wirklich viel hatte. Wenn ich log und es abstritt, spürte er es sofort. Also fiel das schon mal weg. Er konnte mir auch nur Kleinigkeiten geben, aber ich war dankbar dafür und würde es ihm immer sein.

Henry war der Anker, der mir immer wieder zeigte, dass nicht alle Menschen scheiße und verlogen waren; dass es noch Hoffnung gab jemanden zu treffen, dem auch ich etwas bedeutete, auch wenn alles für den Arsch war. »Gut. Dann werden wir erst mal schön Frühstück machen und du wärmst dich ein wenig auf. Du musst doch bestimmt Hunger haben. Wie läuft es in der Schule?« Beide gingen wir zusammen durch die Tür. Es roch wie immer nach einer leichten Note aus Pfefferminze und nach altem Mann, aber das war nicht unangenehm. Ich fühlte mich an diesem Ort extrem wohl. Es war mehr ein Zuhause für mich, als alles andere, obwohl ich hier nur einmal in der Woche war.

»Hallo Mimi«, murmelte ich und streichelte das weiche Fell der grau getigerten Katze von Henry, die mir auf der Stelle entgegen rannte, als sie mich entdeckte. Leise schnurrte sie mir augenblicklich um die Beine, um zugleich ihren Kopf an mir zu reiben. »Hast du mich vermisst?«, fragte ich sie freundlich, auch wenn ich wusste, dass sie mir keine Antwort gab. Es kam ein lautes Miauen aus ihrem kleinen Maul, gefolgt von einem tiefen zufriedenem Brummen. Wie gerne wäre ich du, dachte ich so bei mir und mein Blick fiel verträumt nach draußen, wobei ich dabei etwas entdeckte. Etwas, was sich sonst nicht dort befand.

Someday I - I looked into your eyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt