Kapitel 9

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»Larissa? Geht es dir gut?«, holte mich eine Frauenstimme aus der Dunkelheit und legte mir einen kalten nassen Lappen auf mein Gesicht. Erst bekam ich es gar nicht wirklich mit, denn mir war immer noch, als befände ich mich an einem ganz anderen Ort. Nämlich neben der Schule. In den Armes des Mannes, der perfekt war und unaufhaltsam mein Blut trank. Ich bin nicht hier. Das konnte nicht sein. Ich wollte schreien. Aus dem Grund heraus, weil ich eindeutig in diesem Moment fehl am Platze war. Scheiße. Dieser Mistkerl. Er war verschwunden. Wieso war ich auf einmal wo anders? Lag ich nicht gerade eben noch unter ihm? Wie konnte Edan mir das nur antun, indem er sich schon wieder verpisste? Von meinen vielen Überlegungen bekam ich erneut Kopfschmerzen.

Ich hätte es auf meine Nase und den Schlag den ich vor einiger Zeit bekam, schieben können, aber mir ging es besser. Es war lediglich mein Schädel, diese Gedanken, dieser ganze Gulasch darin. Er konnte nicht weg sein. Gerade eben noch hat er mich... Leider war es mir gar nicht gegönnt in meinen Erinnerungen zu schwelgen. Geschweige denn aussprechen was alles passiert war. Hätte ich das wirklich getan und erklärt, was mich schweben ließ, glaubte mir sowieso keiner. Niemand tat das. Man lieferte mich lediglich in die Geschlossene ein. Jedoch brauchte ich jemanden zum Reden. Sollte ich irgendwem sagen, dass ich einen Mann kannte; obwohl kennen ja relativ gesagt war, der mich biss um mein Blut zu trinken? Um Gottes Himmels Willen. No way. Das war totaler Irrsinn. »Ich glaube ich werde verrückt!«, murmelte ich lautlos und blickte durch den kühlen Raum.

Die Wände waren aus einem Weiß. Auch die Liege auf der ich kauerte, war so steril wie möglich und knochenhart. Ich hasste diesen Raum, denn ich war nicht zum ersten Mal dort. Immer wenn mich jemand schlug oder ich vor einem innerlichen Heulkrampf und Zusammenbruch stand, befand ich mich an diesem Ort. Ich hätte fast einziehen können. Wieso waren Mitschüler nur so beschissen gemein? Bloß, weil man anders war; nicht so tolles Zeug besaß und nicht die besten Klamotten trug? Jeder wusste: Dieses dumme Verhalten gab es an den Schulen in den Großstätten. Leider war das bei uns nicht anders. Ärsche gab es überall und machten auch nirgendwo Halt.

»Wo ist er?«, fragte ich auf einmal panisch, weil ich Angst hatte, dass er tatsächlich bloß ein Traum gewesen war. Er sollte keine Wahnvorstellung sein. Nichts Unrealistisches. Es musste ihn geben. Diesen Edan. »Wo ist wer?«, fragte mich die Schwester beiläufig und räumte gerade eine ihrer Schubladen auf. So lang wie ich zu dieser Schule ging, arbeitete sie noch nicht hier. Wir hatten am Anfang eine sehr nette alte Dame, aber die ging vor ungefähr zwei Jahren in Rente. Nun war diese Frau, deren Namen ich nicht einmal kannte, die Schulschwester. Ihre distanzierte und kühle Art machte sie irgendwie unsympathisch und ich war nur allzu froh, wenn ich aus diesem Zimmer gehen konnte.

Langsam tastete ich mein Gesicht ab. Durch die ganze Grübelei vergaß ich komplett, dass ich zu dem ganzen Scheiß auf die Rübe bekam. Beim genaueren Betasten spürte ich, dass meine Nase zwar etwas geschwollen war, aber gebrochen schien nichts zu sein und die Schwester machte auch keine Anstalten, dass es so wäre. Zum Glück. Ich wartete auf eine Antwort von dieser Frau, weil mich jemand in den Raum gebracht haben musste und das war auf keinen Fall Stephan. »Edan!« Den meinte ich. »Edan? Ich kenne niemanden der so heißt«, wundert sie sich. »Du hast tierisch gegen den Kopf bekommen! Du solltest dich abholen lassen und dich etwas ausruhen. Zum Glück ist nichts weiter passiert«, sprach die Schulschwester streng, aber ich ließ mich nicht ablenken. »Gut. Dann sagen sie mir, wie ich hier her gekommen bin.«

Ich brauchte eine Erklärung. Die Frau im mittlerem Alter schaute mich verwundert an und sagte: »Aber Larissa! Du bist doch selbst hier her gekommen. Vor etwa einer halben Stunde. Kannst du dich denn nicht mehr daran erinnern?« Bitte was hatte ich? Wenn ich tatsächlich allein kam, hätte ich mich definitiv daran erinnert, dabei wusste ich rein gar nichts. Mein Kopf war wie leer gefegt, außer dieser... Biss. Den hatte ich nicht vergessen. »Doch. Doch!«, winkte ich ab und schaute mit bleichem Gesicht aus dem Fenster. Fast hätte ich geglaubt jemanden vor der Schule stehen zu sehen, aber es war niemand dort, obwohl ich glaubte beobachtet zu werden. Dieses Gefühl kannte jeder. Allerdings war da nichts.

Someday I - I looked into your eyesWhere stories live. Discover now