Kapitel 30

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Als ich mich wieder unter einen der Bäume setzte fragte ich mich, warum ich überhaupt in diesem bescheuerten Kaff groß wurde. Es war doch nur meine Mutter, die an diesen Ort wollte. Doch weswegen? Es gab nichts. Klar ist hier die Natur, aber ist das alles? Es existiere lediglich ein Bäcker im Dorf und nur eine kleinere Kaufhalle, wo man ständig dasselbe bekam. Für den Rest musste man in eine größere Stadt, doch die war einige Kilometer entfernt. Bei uns war wirklich der Hund begraben. Als junger Mensch blieb dir eigentlich überhaupt nichts anderes übrig, als irgendwann abzuhauen.

Sicherlich fuhr Edan deswegen. Er nahm Henry viel ab und das fand ich auch gut, denn er war nicht mehr der Jüngste und für ihn schien es normal zu sein, dem alten Mann unter die Arme zu greifen. Das machte ihn enorm menschlich. Obwohl er sowieso ganz anders war, wie ich überhaupt annahm. Ich kannte Vampire lediglich aus Bücher und Filme. Ständig wurden sie anders dargestellt, aber nicht so wie er war. Edan aß, trank Wasser und Kaffee... Ich bemerkte sogar ziemlich schnell, dass er hin und wieder herumfutterte. Nüsse zum Beispiel. Wenn man es genau nahm war er tatsächlich oft am Essen. Auch in der Schule. Er saß in der letzten Reihe neben mir und reichte mir öfter in den kurzen Pausen eine Tüte Chips oder anderes. Wenn er so weiter machte, sah ich irgendwann aus wie ein Nilpferd. Er hingegen blieb immer gleich.

Ich fragte mich echt, wo er sich das alles hin stopfte, denn er sah verdammt gut aus. Seine Muskeln mussten ja von irgendwo kommen. Zwar hatte ich in seinem Zimmer schon ein Seil entdeckt und auch Gewichte, beobachtet ihn aber noch nicht, dass er überhaupt trainierte. Wie er wohl dabei aussah? Womöglich war das aber auch bei Vampiren üblich perfekt zu sein. Unvermittelt strömten mir schon wieder tausend Gedanken durch den Schädel. »Verdammt! Du bist doch nicht umsonst hier! Genieße die Zeit allein und die Natur.« Ich wollte die Minuten der wohligen Einsamkeit nicht an etwas verschwenden, was ich sowieso nie haben würde. Nämlich einen Vampir.

Obwohl ich heulen wollte, tat ich es nicht. Der Schrei hatte mich wenigstens soweit befreit, dass ich einigermaßen bei Sinnen war und auch für einen kurzen Moment, blieb das erst einmal so. Nebenbei suchte ich in meiner Tasche nach meinem Handy, weil ich wissen wollte, wie viel Zeit mir noch blieb, bevor ich wieder nach Hause musste. Es dämmerte nämlich schneller, wie zuerst angenommen. Leider fand ich keins in meinem Pullover, stand auf um in meiner Jeans zu suchen, aber da war ebenso alles leer. »Scheiße!«, brummte ich und ich schlug mir leicht gegen die Stirn. Bin ich doof? Es lag noch immer auf meinem Bett, weil ich es durch die Wut auf Edan dort hinwarf. Jetzt konnte ich nur erahnen wie spät es war, doch darin war ich noch nie gut.

Ich musste mich unbedingt wieder auf den Rückweg machen. Des Weiteren wurde es in den letzten Tagen schnell finster, da der Herbst bald in den Winter wechselte. Hinzukommend gab es noch einen Fußmarsch, den ich vor mir hatte. Einen Moment dachte ich erneut an Edan. Fast nahm ich an er kam doch jeden Moment um eine der Hecken gelaufen, aber so wie es aussah war er noch nicht zu Hause. Vielleicht passierte gar nichts weiter, wenn ich mich schleunigst auf den Weg zurück machte. Die kurze Frische wirkte sich beruhigend auf mich aus. Möglicherweise meckerte der alte Mann gar nicht und ich konnte wieder in meinem Zimmer verschwinden. Genau. Ich tat so, als wäre überhaupt nichts geschehen. Womöglich war meine Mutter auch wieder ein wenig bei klarem Verstand.

In dem Moment als ich mich allerdings herumdrehte, um wieder umzukehren, hörte ich ein leises Knacken am Ende des Gestrüpps. Dieses Knirschen erschreckte mich so sehr, dass ich kurzerhand erstarrte, dann jedoch automatisch herumfuhr und eilig mit den Augen die Umgebung absuchte. Es musste doch viel später sein wie zuerst angenommen? Bin ich schon so lange hier? Denn plötzlich schien es schlagartig noch dunkler zu werden, sodass man nicht mehr viel erkennen konnte. Auf der Stelle sorgte ich mich. Nicht um mich, sondern um die anderen. Henry, Edan oder gar meine Mutter waren hoffentlich nicht auf der Suche nach mir. Bei ihr glaubte ich zwar nicht daran, aber was war mit den anderen beiden? 

Someday I - I looked into your eyesWhere stories live. Discover now