Kapitel 29

480 32 1
                                    

»Mam?«, rief ich erschrocken, als ich um die Ecke des Flurs in der kleinen Wohnung bog. Warum nur? Verdammt. Wieder konnte ich mich nicht um mich selbst kümmern, denn da lag sie mitten auf dem Boden in ihrem eigenen Erbrochenen. Ich rannte erst einmal an ihr vorbei und schmiss meine Tasche in mein Zimmer, sowie meinen Mantel und die Schuhe. Im Anschluss zog ich mir etwas Lockeres über. Dann eilte ich wieder zu ihr. Was sollte ich auch sonst machen? Auch wenn sie eine versoffene Kuh war, musste ich sie ja nicht an ihrer eigenen Kotze verrecken lassen.

»Mutter?«, sprach ich streng und holte schnell einen Eimer Wasser und einen Scheuerlappen. »Mam?«, sprach ich erneut und drehte sie auf den Rücken, aber sie robbte wieder auf die Seite. Wieso waren Betrunkene nur immer so bescheuert und kompliziert? »Was willst du?«, lallte sie besoffen. Ich hasste es, wenn sie so war, denn es kam dann wieder der Zeitpunkt an dem ich mir Einiges über mich anhören konnte und ich spürte, dass ich nichts auf dieser scheiß Welt war. »Los komm hoch. Du liegst in deiner eigenen Kotze!«

Ich hievte sie nach oben und schleifte sie quer über die Dielen hin zu ihrem Bett. »Was machst du da? Lass mich gefälligst in Ruhe. Du hast mir gar nichts zu sagen. Du bist nur Ballast!«, nuschelte sie. Das kannte ich. Immer, wenn sie zu viel trank, erlebte ich es erneut. Einmal sagte sie, dass sie mich liebte und im nächsten Augenblick war ich wieder nur das Letzte. Ständig dasselbe Spiel und dabei hatte ich gehofft, dass sich bei Henry alles änderte. In der letzten Zeit klappte es auch und nun machte sie wieder alles zunichte. Kurz darauf zog ich ihr umständlich das Longshirt aus, was eigentlich meines gewesen war. Schon da zappelte sie bloß herum und ihre Augen schauten verschwommen in mein Gesicht.

»Was ist los kleines Baby? Hast du etwa geweint? Ist dein toller Prinz doch nicht so das Wahre, was?« Daraufhin gab ich keine Antwort, denn irgendwo hatte sie recht, aber was sollte ich ihr auch sagen? Eigentlich interessierte sie es eh nicht. Sie suchte bloß etwas, um mir eines reinzuwürgen. »Weißt du, du solltest dir einen anderen suchen. Vielleicht findest du ja doch einen. Aber... Nein... Ach, du wirst ewig allein sein und wenn du alt bist, wirst du einsam in deinem Schaukelstuhl verrecken und an deine scheiß Mutter denken, wie du sie ständig herumgetragen hast, weil sie zu viel gesoffen hat. Dann wirst du dich fragen, warum du dich nicht schon vor langer Zeit aufgehängt hast...«

Ich schluckte schwer, wickelte den vollgekotzten Pulli zusammen und schmiss ihn auf den Boden. Ihre Jeans ging da schon besser aus. Ebenso die Schuhe. Plötzlich fing sie an zu weinen. Ich verdrehte die Augen und beugte mich hoch zu ihrem Kopf. »Was ist denn?«, fragte ich traurig. Sie tat mir ja schon leid. Irgendwie. »Peter ist tot. Ich vermisse ihn so sehr. Ich weiß, dass er manchmal ein Penner war, aber er hat mich geliebt und ich ihn.« Langsam streichelte ich über ihre Wange und setzte mich auf die Bettkante. »Es ist alles sehr schlimm. Aber wir bekommen das schon hin. Vielleicht solltest du endlich in eine Klinik gehen. Wir könnten danach weg und ein neues Leben anfangen«, sprach ich hoffnungsvoll, aber sie lachte mich nur aus und rief: »Es ist alles soooo schlimm!«

Ich hob die Augenbraue und wartete was nun kam. »Du... Bist das Schlimmste. Wegen dir ist er tot. Nur wegen dir. Er wäre eigentlich gar nicht zu Hause gewesen. Ich weiß, dass du ihm das gesagt hast. Du wolltest mit ihm allein sein, du Früchtchen. Ich habe immer gesehen, wie du ihn angeglotzt hast. Du wolltest mir schon immer jeden Mann abspenstig machen. Du kleines Miststück. Du kleine Hure...« und unverhofft riss sie mir auf einmal an den Haaren. »Mutter!«, kreischte ich und klatschte ihr aus Reflex eine ins Gesicht, weil enormer Schmerz auf meiner Kopfhaut pulsierte. Sie ließ mich tatsächlich daraufhin los. Hat sie das wirklich gerade gesagt? Ich und ihre versoffenen Kerle? Wieder saß ich da und wusste nicht, warum eine Mutter so mit ihrer eigenen Tochter umging. Das tat alles verdammt weh; auch wenn man sich irgendwann daran gewöhnte.

Someday I - I looked into your eyesOnde histórias criam vida. Descubra agora