Kapitel 10

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»Du siehst ja heute noch beschissener aus, als gestern«, rief Paul der mit in meine Klasse ging und kniff mir gehässig in die Wange, aber ich entriss mich ihm, mit abartigem Ausdruck im Gesicht. Was soll dieser Mist? Musste dieses Arschloch schon wieder nerven? Er war einen Kopf größer wie ich. Die dunklen Haare ziemlich kurz geschnitten und immer mit einem fiesen Lächeln im Gesicht, auf der Lauer nach jemanden, den er fertig machen konnte, so wie viele hier, aber er war einer der Schlimmsten, neben Stephan. Man hätte meinen können, dass es auf dem Dorf nicht so ablief, sondern eher in der Großstadt, wo man ständig gemobbt wurde, doch dann kannten sie nicht mein kleines Kaff. Hier war es viel schlimmer. Zumindest traf es mich immer als erste.

Keine Ahnung was die jungen Leute bei mir so magisch anzog, aber es konnten nicht nur die verlotterten Klamotten sein. Ich sollte mich doch lieber eingraben, verstecken. Leider hatte ich noch etwas über ein halbes Jahr Schule vor mir und es wäre doch gelacht, wenn ich das nicht schaffte. Immerhin hielt ich schon Jahre durch. Mein ganzes Leben. »Du konntest wohl gestern nicht schlafen?«, sprach Paul gespielt traurig. Ein paar Mitschüler lachten, andere wiederum schauten nur kurz zu uns herüber und widmeten sich wieder anderen Dingen. Wenigstens das, denn noch mehr Publikum brauchte ich nicht wirklich.

»Ich habe gehört, dass du mit der Schulschwester über jemanden gesprochen hast. Du hast wohl einen Verehrer?«, lachte er unvermittelt und ergriff so fest meinen Arm, dass ich nicht mehr weglaufen konnte. Sein fieses Grinsen jagte mir einen Schauer über den Rücken. Wie konnte jemand nur so arschig sein und vor allem, woher wusste er darüber Bescheid, dass ich mit ihr über Edan sprach? »Das geht dich gar nichts an«, gab ich maulend von mir und wollte mich von ihm losmachen. Was ging ihn verdammt noch mal an, was ich machte oder nicht? Hatte er keine anderen Hobbies? Dem Anschein nach nicht wirklich. Erneut probierte ich mich von ihm zu reißen, aber schaffte es nicht. Es war kein Weg darin. Er war einfach zu groß und stark für mich, doch wie konnte er es wagen mich zu belauschen und auch wenn er etwas darüber hörte, ging es ihn einen Scheiß an.

Hinzukommend gab es da noch ein großes Problem bei der ganzen Sache. Ich konnte ja nicht einmal sagen ob Edan eine Einbildung war oder doch nicht. Was, wenn mich alle für verrückt erklärten? Was, wenn sich das in der Schule herumsprach? Dann wird man mich gar nicht mehr in Ruhe lassen. Falls das geschah war ich erst recht am Arsch. »Wie sieht er denn aus?«, platzte es plötzlich aus ihm heraus und er rüttelte fester an meinem Arm herum, sodass ich ihm meine komplette Aufmerksamkeit schenken musste.

Was hatte ihn das zu interessieren? Das war mir fraglich. Sollte ich allerdings in diesem Moment darüber nachdenken? Er wusste es. Das war sicher. Aus diesem Grund sollte ich mir lieber Gedanken machen, wie ich aus diesem Schlamassel herauskam, anstatt mir über solche Nichtigkeiten einen Kopf zu zerbrechen. Natürlich hätte ich Paul sagen können, dass Edan wunderbar und das er mit Sicherheit der Traum aller Frauen war, aber das konnte ich nicht. Er wollte mich sowieso bloß ärgern. Es machte die Sache aber nicht leichter. Es war eher andersherum. Erstens war Edan etwas anderes, als wir alle gemeinsam und außerdem klang es lächerlich, wenn so eine wie ich, von diesem Mann sprach.

Einerseits war ich nichts gegen ihn und zum anderen gäbe es für jedermann einen Grund mich auszulachen. Sogar für die, die mich in Ruhe ließen. Es war kompletter Nonsens. Wenn man mich und Edan gemeinsam betrachtete, grenzte das schon fast an Körperverletzung. Wir waren zu verschieden. Das bemerkte ich von vorn herein. »Wo bleibt denn deine Antwort?«, riss mich Paul aus meinen Gedanken und rüttelte noch fester an mir herum. »Sieht er so aus wie du? Er kann sich sicher auch keine ordentlichen Klamotten leisten, oder? Schlimmer geht es doch gar nicht! Was will auch jemand normales von dir?«

Er machte eine große Handbewegung um meinen Körper und schloss alle Herumstehenden mit ein. Natürlich wollte mich keiner von denen, aber ich ebenso wenig. Es waren halbe Kinder. Jungs die mal Männer werden wollten und dem Anschein nach sah es so aus, als dauerte das noch einige Jahre. Hinzukommend konnte ich nichts mit Menschen anfangen die komplett nach dem Aussehen gingen. Mit den Typen aus meiner Schule wollte ich nichts zu tun haben. Nicht einmal, wenn ich nicht so negativ aufgefallen wäre. Es war die Art, die viele an den Tag legten. Diese Oberflächlichkeit kotzte mich an. Was sollte ich auch schon mit so einem eingebildeten Pisser? Allerdings stimmte was Paul sagte. Eigentlich war es totaler Schwachsinn, dass es Edan gab und wenn, wollte er mich mit Sicherheit nicht haben.

Someday I - I looked into your eyesOù les histoires vivent. Découvrez maintenant