56. Das Mädchen aus Zimmer 3

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Danke für diesen Text Hanna_Lunetta

Sie war mir schon vor langer Zeit aufgefallen. Sie sprach nie. Und doch hatte sie mir schon so viel sagen wollen.
Es war Mittwoch Nacht und ich konnte mal wieder nicht schlafen. Ich starrte an die Decke. Neben mir leuchtete ein fluoreszierender Stern, der mir sehr viel bedeutete.
Auf einmal klopfte es zaghaft an der Tür. Wer könnte das sein, um diese Uhrzeit? Vorsichtig stand ich auf, um niemanden zu wecken. Ich warf einen kurzen auf meine beste Freundin Rike. Sie schlief tief und fest. Ich tapste auf die Tür zu und öffne sie einen Spalt. Vor Schreck hätte ich die Tür fast wieder zu geschlagen. Vor mir stand eine weiße Gestalt. „Scht, ich bins, Leonir."
„Leonir?! Was machst du hier?"
„Ich will dir was zeigen, komm mit."mit diesen Worten nahm sie einfach meine Hand und zog mich mit.

„Äh Leonir, wohin gehen wir? Wir sollten eigentlich nicht...",wollte ich protestieren, als wir geradewegs auf die Leiter, mit der man aufs Dach der Schule gelangt, zugingen. Doch sie legte mir nur ihren Zeigefinger auf den Mund und unterbrach mich so. Wortlos stieg sie die Leiter hoch und deutete mir, ihr zu folgen.

Die Aussicht auf dem Dach raubte mir den Atem. Am Tag könnte man hier sicher bis zum Meer sehen, doch in der Nacht sah man nur den endlosen Sternenhimmel. Leonir saß schon am Rand des Daches. Ich
setzte mich neben sie und sah sie erwartungsvoll an. Doch Leonir starrte nur in die Nacht. Also tat ich es ihr gleich und wartete.
„Anna, ich muss dir was sagen. Das wollte ich schon lange. Sehr lange. Ich wusste nur nicht wie. Aber als ich dich mit Carlos gestern gesehen habe, wusste ich, dass ich nicht mehr länger warten kann." Dann
nuschelte sie etwas unverständliches. Ich musste nachfragen.
Leonir sah mich an. Sie schloss kurz ihre Augen, atmete tief durch. „Anna, ich habe mich in dich verliebt." Das hatte ich nicht erwartet. Leonir, das Mädchen, das nie sprach, war in mich verliebt.
Niemals hätte ich das geahnt. Erwartungsvoll sah sie mich an. Da bemerkte ich erst, wie ich mich gerade verhielt. Sie, die schüchterne Leonir, hatte mir ihre Liebe gestanden und sich gleichzeitig vor mir geoutet und ich hatte sie nur nachdenklich angestarrt.
„Anna, ich ...", sie war im Begriff aufzustehen. Doch in dem Moment unterbrach ich sie, indem ich meine Lippen auf ihre drückte. Unwillkürlich begann ich zu lächeln. Und auch Leo lächelte in den Kuss.

Als ich im Nachhinein darüber nachdachte, wurde mir klar, dass ich schon so lange davor in dieses Mädchen verliebt war, aber ich hatte es immer verdrängt. Nie hätte ich damals meine Sexualität infrage gestellt.
Manchmal braucht man eben nur einen kleinen Schups in die richtige Richtung, damit alles, was man erfolgreich verdrängt hat, ans Licht kommt und man sie weiterentwickeln kann.

Author's Note: Ich wünsche allen da draußen, die sich in einen ähnlichen Situation wie Leonir oder Anna
befinden oder allgemein mit der eigenen Sexualität oder einem Coming Out beschäftigt sind, ganz, ganz
viel Glück und Liebe. Wenn ihr jemanden zum Reden braucht, schreibt mich gerne an. 
Hanna

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