64. Leben und leben lassen

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Danke XeniaForster für diesen tollen Text.

Das Leben entscheidet, wie queer wirsind. Nicht wir.

Zeit lang

Eine Zeit lang habe ich geglaubt ichwäre wie all die anderen auch.
Eine lange Zeit lang habe ich die Augenverschlossen um nicht zu sehen, dass dem nicht so ist. Eine Zeit lang habe ich geglaubt ichkönnte mich ändern. Eine andere Zeit lang habe ich geglaubtich könnte dich ändern.
Aber ich möchte Glauben - wir könnendie Welt ändern.

Dies soll mein Einstieg sein. Ichglaube nicht an ein Outing. Ich habe jeden Tag, jede Stunde immer beijeder neuen Bekanntschaft irgendwann ein Outing. Ich habe Kriege dieich mit mir kämpfe und Kriege die ich gegen Konventionen undÜberzeugungen kämpfe. Ich habe gelernt auf Kleinigkeiten zu achten.Manchmal ist es leichter als "normal" durchzugehen.

Mein Vater hat wortwörtlich gesagt:"Hauptsache du bringst Mal jemanden mit nach Hause, egal ob Mannoder Frau." Meine Oma ist die beste, nur vergisst sie manchmal,das lesbisch sein weder eine Entscheidung noch eine Phase ist.

Für meine Mutter wäre es leichter,wenn ich ihr nicht gesagt hätte, dass ich auf Frauen stehe. Mamaglaubt ich will sie ärgern oder meine Freunde sind Schuld. Liebe,oder sexuelle Neigungen als Schuldfrage? Als das dritte Geschlechteingeführt wurde, hat meine Mutter mich zum Bahnhof gebracht undmich verabschiedet mit den Worten: "tu bitte nichts unglaublichDummes." Sie meinte damit ich soll auf gar keinen Fall meinenPass auf 'divers' ändern lassen. Es bleibt ein Rätsel, wie sie zudieser Äußerung kam. Ich muss heute noch weinen, wenn ich darandenke. So wie sie heute noch weint, wenn/weil sie meine bunte Weltnicht versteht.

Sätze wie: "Kannst du bitte nichtso offensichtlich lesbisch sein?" Machen Sätze wie: "Esist okay, dass du auf Frauen stehst.", gänzlich zunichte. Es istnicht nur okay. Es ist verdammt noch Mal geil, es macht Spaß sich zuverlieben. Es macht Spaß und es tut unglaublich gut so akzeptiert zuwerden wie man ist. Zuhause werde ich mein Leben lang willkommensein, trotzdem werde ich mein Leben lang auf die Erkenntnis meinerMutter warten. Niemand ist Schuld, weder Sie noch ich. Es ist keineEntscheidung wohl eher sowas wie Schicksal. Mich hat neulich jemandgefragt, ob ich schon Mal einen Regenbogen in schwarz weiß gesehenhabe, ich habe das Gefühl ihn zu kennen.

Mit der Zeit habe ich gelernt,herauszufinden ob ein Outing klug ist oder nicht.

Ich durfte erfahren, dass es Typengibt, die Lesben geil finden, weil sie glauben sie landen nenleichten Stich bei nem geilen Dreier. Die nicht locker lassen egalauf wie vielen rationalen Ebenen ich versuche mit ihnen zuargumentieren. Ich habe eine gute Freundin und mich in meinZimmer eingeschlossen, meinen Hammer neben die Tür gelegt undgehofft der beschissene Kumpel meines Mitbewohners möge bald nachHause gehen. Im selben Moment ist mir klar geworden, dass ichumziehen würde. Mein Zimmer, mein Parkplatz, mitten in derInnenstadt, das war es nicht Wert.

Meine neue WG hat mich gelehrt wiederohne Hammer in Reichweite zu schlafen, mir geholfen mich auf DatingApps anzumelden, sie motivieren mich als "Queeres Ich" indie Welt zu gehen, sie freuen sich mit mir wenn ich ein Date habe undsie fangen mich auf, wenn das Date Mal wieder ein hoffnungsloses Endenahm. Keiner von ihnen ist queer.

Heute ist es für mich wichtig, dasmich die Menschen um mich so akzeptieren wie ich bin, mit mir feiern,wie ich mit ihnen feiere. Wenn ich neue Menschen kennen lerne knalleich ihnen nicht immer gleich um die Ohren wie queer ich bin. Michfreut es, wenn sie selber dahinter kommen. Gelegentlich, wenn ichdenke die Freundschaft könnte anfangen mir zu wichtig zu werden,bemühe ich mich auch nochmal selbst. Spätestens dann weiß ichworan ich bin und beide Parteien können sehen was sie damit anfangenund zur Not gehen.

Meine Hautkrankheit bricht besonders inStressphasen aus. Ich konnte zugucken, wie sie kurz vor meinem Outingzu Hause explodiert ist. Eine Zeitlang habe ich vor Stress weniggegessen, nicht gefrühstückt und erst später erkannt, wie nah ichmich an einer Essstörung befand. Es gibt Anlaufstellen, in denenOutings und Ängste  besprochen werden, Seminare undSelbsthilfegruppen. Ich war bei keiner. Warum weiß ich nicht.

Outings können allerdings auch eineMenge Spaß und Frei machen. Eine sehr gute Freundin hat mir gezeigt,das es in Ordnung ist anders zu sein. Sie hat mir geholfen mich so zuakzeptieren wie ich bin. Das war der Tag an dem ich das erste Malseit meinem 11 Lebensjahr wieder als "Ich" atmen konnte. Dawar ich fast 20. (Ein weiteres Jahr hab ich gebraucht bis ich esmeinen Eltern sagen konnte.) Bis dahin hatte ich so viele Outings vormeinen Freundeskreisen, die mich heute noch begleiten. Einige Outingsverliefen mit gegen Outings, andere mit Plädoyers für eine besseregerechtere, vorurteilsfreie Zukunft. Meine beste Schulfreundin hatgesagt: "Irgendwie hab ich mir das gedacht." Wir sind heuteimmer noch gut befreundet.

Mittlerweile Frage ich mich manchmalwie es kommt das mich Menschen immer noch für hetero halten. Sehendie nicht den dicken fetten Regenbogen über meinem Kopf? - Nein dastun sie nicht, für die Mehrheit der Menschen ist "anders"geboren sein nicht Realität und für viele somit einfach keinWahrnehmungsbereich. Für wieder andere ist es Sünde und der direkteWeg in die Hölle,oder eine ansteckende Krankheit, die durchVergewaltigung geheilt werden kann. Noch heute werden Menschen ausihren Familien geschmissen, wenn sie sich outen. Sie verlieren ihrenArbeitsplatz, oder bekommen gar nicht erst einen...

Ich habe neun Jahre gegen und michgekämpft, seit fast 4 Jahren kämpfe ich für mich, das tut mir gut.

Jeder Mensch sollte er selbst seindürfen, Lieben wen er liebt, ohne die Freiheit des andereneinzugrenzen. - Meine Freiheit hört dort auf, wo deine anfängt. -Niemand sollte sich outen müssen. Die meisten Menschen sind bunterals sie sich selber zutrauen. Vieles ist Unwissenheit.

Ich wage nicht zu behaupten ich seiExperte im Gegenteil, ich erkunde meine Queerness noch immer undentdecke ständig neue Facetten des Regenbogens. Aber jedem der fragtwarum ich nicht auf Kerle stehe Frage ich dasselbe. Und jeder diemich das fragt Frage ich, warum sie nicht auf Frauen steht. Und esist ihre Antwort? Sie wissen es genauso gut wie ich -Nicht- Ihreinziger Vorteil ist die Heteronormalität. Von Menschen ausmachtpolitischen Gründen entwickelte Normen und Konventionen.

Es gibt Tage, da bin ich mit mir selbstin Einklang.

Es gibt Tage da will ich in meinSchneckenhaus.

Aber am besten ich brech daraus aus.

WeAgainst: HomophobieWhere stories live. Discover now