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Abigail und Ryan sind seit gestern weg und die Ferien sind immer noch nicht vorbei. Ich kann es nicht erwarten, wieder in die Schule zu gehen. Das Ereignis in der Mall ist drei Tage her und ich vermisse ihn. Außerdem freue ich mich auch, einfach wieder in der Schule zu sein. Es ist unerträglich in diesem Haus alleine zu sein, auch wenn Abby und Ryan erst einem Tag weg sind. Dad sehe ich sowieso kaum noch, da er dauernd arbeiten oder unterwegs ist. Und Derek ist zurzeit bei seiner Freundin während ich hier alleine bin.
Ich spüre ein Ziehen in meiner Brust, weswegen ich mein Laptop auf den Schoß nehme, es mir auf dem Bett gemütlich mache und die erstbeste Serie anklicke, die ich entdecke: Scorpion.

Wie sich glücklicherweise herausstellt, ist die Serie tatsächlich sehr gut, weswegen ich mich nur zum Pinkeln und das bestellte Essen von der Tür abzuholen bewege. Danach fühle ich mich allerdings so mies, dass ich Sport machen möchte, weswegen ich kurzerhand meine Yoga-Hose und mein Sport-Body anziehe, mein Handy und Kopfhörer schnappe und drauf loslaufe. Ich achte kaum auf meine Umgebung, nur auf die Musik und daran, voranzukommen. Ich erinnere mich nicht, wann ich das letzte Mal so energiegeladen gejoggt bin.
Vierzig Minuten später verlangsame ich mein Tempo und merke, dass ich in einer unbekannten Gegend bin, was mich überrascht, da ich eigentlich dachte, die ganze Stadt mit Abby und Ryan erkundigt zu haben. Die Sonne ist bereits fast vollkommen untergegangen und die Straßenlaternen beleuchten die fremde Umgebung. Die Häuser sind heruntergekommen und schäbig, es ist laut (man hört Menschen reden und brüllen), doch niemand ist draußen. Ich stecke die Ohrstöpsel wieder ein und beschließe umzukehren, doch bevor ich die Rückkehr antreten kann, packt mich jemand am Arm.
„Was-" Ich breche ab, als ich in Darren's blauen Augen blicke und schnappe erschrocken nach Luft. Ich reiße die Kopfhörer wieder raus.
„Jesus, Darren du hast mich erschreckt!", rufe ich aus und lege eine Hand auf meine Brust, versuche mich zu beruhigen. Mein Herz pocht laut gegen meine Rippen und ich atme unregelmäßig ein und aus.
„Was zur Hölle hast du hier zu suchen!", herrscht er mich an, anstatt sich zu entschuldigen und ich sehe ihn empört an.
„Dasselbe könnte ich dich fragen!", erwidere ich und er streicht sich frustriert durch die Haare.
„Ich meine es ernst, Tris. Was hast du um die Uhrzeit in dieser Gegend zu suchen?", seine Tonlage ist nun etwas sanfter, doch sein Blick immer noch streng. Warum fühlt es sich so an, als würde er mich ausschimpfen als wäre ich ein unartiges Kind?
„Ich war nur Joggen", antworte ich schließlich und sehe mich um. „Seltsam, dass ich hier noch nie war. Was machst du hier?"
Er sieht mich einige Augenblicke an. „Ich wohne hier."
„Oh."
„Ja, ich weiß was du jetzt denkst", sagt er und sieht weg.
„Nein, äh, das meinte ich nicht herablassend. Tut mir leid." Ich könnte mich für meine Reaktion ohrfeigen. Dann lebte er halt in einem heruntergekommen Viertel – na und?
Er sieht wieder zu mir. „Schon okay. Du solltest nach Hause, hier ist es gefährlich."
„Ja, ich wollte sowieso jetzt gehen", erwidere ich und sehe unschlüssig zu meinen Händen. Erst jetzt fällt mir auf, wie sehr ich ihn vermisst habe. Wieder liegt sein Duft in meiner Nase und mein Bauch macht Purzelbäume.
„Ich begleite dich", bestimmt er und ich sehe wieder zu ihm. Er sieht so gut aus, ich sterbe.
„Was? Nein, nicht nötig", widerspreche ich, auch wenn mein Inneres-Ich gerade ein Freudetanz hinlegt.
„Tris", Darren sieht mich bestimmt an. „Ich begleite dich." Seine Tonlage erlaubt keine Widersprüche, doch mal ehrlich – ich will, dass er mich begleitet. Deswegen zucke ich mit den Schultern.
„Wie du willst, es ist allerdings ein langer Weg."
Nachdenklich blickt er auf das Gebäude hinter sich.
„Wie lange?", fragt er an mich gewandt.
„Keine Ahnung, dreißig-vierzig Minuten?"
„Mist."
„Du brauchst nicht mitkommen. Ich bin ein großes Mädchen, Darren", meine ich und lächle ihn tapfer an.
„Ich würde dich ja fahren, aber meine Mom ist mit dem Auto weg. Entweder du rufst jemanden an, der dich abholt oder wir warten bis sie kommt und ich fahre dich dann", er sieht mir wieder in die Augen. Mein Herz setzt aus.
„Äh-"
„Vergiss es, wir warten auf meine Mom", entscheidet er für mich und streckt die Hand nach mir aus. Überfordert mit der Situation starre ich sie nur an.
„Tris, drinnen warten meine Geschwister auf mich, wenn du nicht willst, dass sie alleine bleiben, da ich dich nach Hause begleite, kommst du jetzt mit mir damit wir auf meine Mom warten können."
Ungeduldig sieht er mich an und ich versuche mit der Menge an Informationen klarzukommen. Geschwister – Mom – Arbeit.
Ich lege meine Hand in seine.
„Okay", ist das Einzige, das ich rausbringe.
Er führt mich zu dem abgenutzten Gebäude, welches er vorhin angesehen hat und wir gehen die Treppen hinauf. In jedem Stockwerk hört man die Familien, die darin wohnen. Als wir endlich vor seiner Haustür stehen, atme ich schwer (und das trotz meiner guten Ausdauer, nebenbei bemerkt). Wir betreten den Flur und sofort springt ein kleines Mädchen, um die sechs-sieben Jahre, in Darren's Armen und weint. „Summer ist gemein zu mir", schnieft sie und vergräbt ihr Gesicht in seiner Halsbeuge. Darren streicht ihr über den Rücken und flüstert ihr etwas zu. Mir wird augenblicklich warm ums Herz und ich muss ohne Grund gegen Tränen kämpfen, so sehr rührt mich das Geschehen, obwohl er nur seine kleine Schwester tröstet. Meine Gedanken wandern an meinen Bruder und plötzlich vermisse ich ihn.
„Summer!", ruft Darren streng, als er das kleine Mädchen vorsichtig auf dem Boden absetzt und ihr über die braunen, wilden Locken streicht. Nun sieht sie mich an und ich muss lächeln, beim Anblick ihrer geröteten Augen, die dieselbe Farbe wie Darren's haben. Sie erwidert schüchtern das Lächeln und versteckt sich hinter Darren.
Ein etwas älteres Mädchen, vielleicht elf, höchstens zwölf kommt in den Flur und blickt entschuldigend zu Darren. Auch sie hat braune Locken, wenn auch nicht so heftige wie die Kleine. Außerdem sind ihre Augen groß und braun und sehen schuldbewusst zu ihrem Bruder.

the burden - Die Bürde unserer LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt