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Es ist spät in der Nacht, als Darren in mein Zimmer schleicht, obwohl mein Bruder im Untergeschoss schläft. Doch auch mir macht es herzlich wenig Sorgen, da er uns sowieso nicht hören kann. Darren zieht sich sein Oberteil und seine Hose aus, legt sich in mein Bett und ich kuschle mich an ihn, genieße seine Nähe.
„Tut mir so leid wegen dem Abendessen", murmle ich leise und er küsst meinen Kopf.
„Mach dir keine Gedanken, Tris, alles ist in Ordnung."
„Mein Dad ist ein Snob."
„Hab ich gemerkt. Aber er macht sich nur sorgen um dich."
Ich schnaube.
Wir schweigen einige Minuten.
„Wie war die Zeit in London für dich?", frage ich irgendwann und er hält in seiner Bewegung inne, ehe er fortfährt Kreise auf meinen Rücken zu malen.
„Ich rede eigentlich nicht gerne darüber..."
Ich nicke nur.
„Es war schlimm."
Kurz bin ich überrascht, doch ich sage nichts, sondern warte darauf, dass er weitererzählt.
„Ich war nicht ich selbst. Ich war ein wütendes Wrack... Ich war so aggressiv, dass ich mich immer wieder in die Scheiße ritt und meine arme Tante musste alles über sich ergehen lassen..." Er schnaubt verächtlich. „Ich habe zwei Mal versucht mich umzubringen."
Unwillkürlich zucke ich zusammen. Die Leichtigkeit, mit der er es sagt, bricht mein Herz.
„Wusstest du das Selbstmord ansteckend ist?", schmunzelt er, doch man hört die Ironie in seiner Stimme. Ich klammere mich fester an ihn. „Ich habe es allerdings nie hinbekommen."
„Wie hast du es gemacht?", traue ich mich zu fragen, obwohl ich nicht weiß, ob ich die Antwort wissen möchte.
„Ich habe mehrere Packungen Schlaftabletten genommen, die ich von meiner Tante bekommen hatte, da ich Schlafstörungen hatte. Stellte sich heraus, dass es Placebos waren, da sie mir keine echten geben wollte."
Gott sei Dank.
„Das zweite Mal, wollte ich mich erhängen, doch auch da hielt mich meine Tante davon ab. Sie hatte früher Feierabend, als ich dachte und erwischte mich dabei, als ich das Seil an der Decke befestigte. Von da an, begleitete sie mich zu jeder Therapie und wartete vor der Tür, damit ich auch ja nicht abhaue."
Innerlich nehme ich mir vor, seiner Tante einen hundertseitigen Brief zu schreiben, in welchem ich ihr dafür danken werde. Ich drücke meinen Kopf an seine Brust, um nicht in Tränen auszubrechen.
„Ich fühlte mich so dämlich", erinnert er sich und seine Stimme trieft vor Hass. „Wie konnte man zu dumm sein um sich zu töten. Nicht Mal das bekam ich hin..."
„Du bist zu hart zu dir", sage ich, doch er schüttelt den Kopf.
„Nein, du hast keine Ahnung." Ich sehe zu ihm hoch, er starrt an die Decke. „Du hast keine Ahnung..."
„Dann erkläre es mir", bitte ich leise und drehe seinen Kopf zu mir. „Erkläre mir das alles, Darren. Erkläre mir was das für eine Last ist, die du trägst, erkläre mir, was diese Ally von dir wollte und wieso du selbstmordgefährdet warst... Oder diese Aggression, die in dir liegt. Diese unbändige, fremde Seite in dir."
Die Trauer in seinen Augen bricht mir das Herz. Er löst sich von mir und setzt sich auf. Ich tue es ihm gleich und sehe ihn an, doch er sieht auf seine Hände.
„Ich... Blake und ich waren wie Geschwister, wie ich dir schon erzählt hatte", beginnt er und ich lege ihm eine Hand auf seinen Oberschenkel um ihn zu ermutigen. „Er lernte vor drei Jahren Ally kennen, die damals neu in die Schule kam. Er verliebte sich sofort in sie, sowie fast jeder in unserem Jahrgang. Sie war ja auch in jeder Hinsicht Klasse. Weswegen auch ich..."
„Du warst auch in sie verliebt?", frage ich vorsichtig und merke die Eifersucht in mir steigen, doch ich verdränge das Gefühl.
„Jeder fand sie heiß", erklärt er. „Doch sie hatte nur Augen für Blake, weswegen ich sie selbstverständlich nicht anmachte und eine rein oberflächliche Freundschaft zu ihr pflegte. Allerdings änderte sich das, an ihrem Geburtstag, vor zwei Jahren, als sie mir gestand, etwas für mich zu empfinden. Ich war schockiert." Er schwelgt in Erinnerungen. „Ich sagte ihr, dass ich das Blake nicht antun könne, aber sie küsste mich einfach. Und eins führte zum anderen... Ich war jung, mitten in der Pubertät und sie war wirklich heiß. Blake erwischte uns in ihrem Schlafzimmer."
„Wie hat er reagiert?"
„Er rastete aus, richtete mich übel zu. Dann verschwand er und ließ eine Woche nichts von sich hören. Er kam nicht zur Schule, reagierte nicht auf meine Anrufe und Nachrichten. Dann wurde uns eine Woche später nur noch mitgeteilt, dass er sich umgebracht hat. Sein Vater fand seine Leiche, wie sie von der Decke hing."
Schockiert schlage ich die Hand vor meinen Mund. Tränen sammeln sich in meinen Augen.
„Ich bin schuld daran, dass mein bester Freund sich das Leben nahm, Tris." Seine Augen sehen in meine und auch in seinen glänzen Tränen. „Alles was Ally in dieser Nacht gesagt hat, Tris, ist wahr. Ich bin ein schlechter Mensch. Ich habe meinen Bruder auf dem Gewissen."
„Aber... du..." Ich weiß nicht was ich sagen soll und sehe hilflos um mich her. „Es ist nicht deine Schuld, dass er sich das Leben genommen hat, Darren", sage ich dann. „Du hast ihn verletzt, ja. Aber er war derjenige, der diese Entscheidung getroffen hat-"
„Bullshit!", brüllt er und ich zucke zusammen. Er steht auf und beginnt wild in meinem Zimmer herumzulaufen. „Ich bin schuld daran, Tris! Und ich weiß das! Doch ich bin zu feige um mich dieser Verantwortung zu stellen, bin deswegen abgehauen. Ich war nicht einmal auf seiner scheiß Beerdigung! Meine eigene Familie wurde in unserer Heimatstadt dafür verantwortlich gemacht, nachdem ich weg war. Sie wurden fertiggemacht, meine Schwestern wurden gepiesackt in der Schule. Und warum? Wegen mir!" Seine Stimme wird wieder leiser und er bleibt stehen, die Augen geschlossen. „Meine Familie musste wegen mir ihre Heimat verlassen, Tris. Ich habe meine unschuldigen Schwestern aus ihrer Umgebung gerissen... und als sie sich hier eingewöhnen mussten, war ich noch nicht mal bei ihnen!" Er stößt einen frustrierten Laut aus und sinkt erschöpft zu Boden. Weinend folge ich ihm und ziehe ihn in meine Arme. Als er schluchzt, bricht mein Herz erneut. „Siehst du diese Hände?", fragt er und sieht auf seine Hände. „An ihnen klebt das Blut meines besten Freundes. An ihnen kleben die Tränen seiner Familie, meiner Familie und die von Ally." Er bricht in Tränen aus und fällt in meinen Armen zusammen. „Du hast keine Ahnung wie es ist, mit diesen Händen zu leben, Tris... du hast keine Ahnung."
Ich bin erschüttert. Ich finde weder Worte zum Trösten, noch kann ich einen klaren Gedanken fassen. Die Last des Todes seines besten Freundes, die Trauer und die Wut in seinem Herzen, die tiefe Verzweiflung in seiner Seele, machen sich in mir breit, verteilen sich in jede Faser meines Körpers und werden ein Teil meines Ichs, meines Daseins. Und dies wird mich für immer mit Darren verbinden. Denn sein Leid, ist nun meines.

the burden - Die Bürde unserer LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt