Ganz ohne Worte

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Als sie am nächsten Morgen mit leichter Verspätung in den Bus einstiegen wirkten alle trotz des reichhaltigen Frühstücks eher schlapp und müde. Nach einer längeren Abschlussrunde und einer offiziellen Danksagung bei den Veranstaltern saßen sie um halb 11 endlich in ihrem Bus und liesen Tokio hinter sich.
Zwar war es im Bus kühl doch seit sie ihr Zimmer verlassen hatte brannte die Kette unter seinem T-shirt auf seiner Haut. Er schämte sich nicht sie zu tragen, eigentlich fand er sie ganz schön und das Hinatas Nummer drauf stand lies sein Herz ein wenig hüpfen. Der kleine Kerl saß bereits schlafend neben ihm, sein Kopf lag leicht auf seiner Schulter und sein Arm streifte seinen Oberschenkel. Oberflächlich wirkten sie wie zwei Teamkameraden die nach einem anstrengenden Trainingslager eingeschlafen waren doch eigentlich waren sie so viel mehr.
Nachdem sie jetzt fast 7 Nächte nebeneinander geschlafen hatten und sie jeden Tag fast non-stop gesehen hatten würde es ihm unheimlich schwer fallen wieder allein in seinem Bett zu schlafen. Er hatte sich so an Hinatas Wärme und Geborgenheit gewöhnt das er ihn eigentlich nicht wieder hergeben würde. Doch natürlich ging das nicht. Was würden seine Eltern sagen?
Zum ersten Mal seit er Gefühle für den orangehaarigen hatte, dachte er darüber nach wie seine Eltern wohl darauf reagieren würden das er sich in einen Kerl verknallt hatte?
Bei diesem Gedanken wurde ihm leicht übel und er schob dieses unangenehme Gespräch das bestimmt irgendwann folgen würde erstmal beiseite.
Jetzt brauchte er sich noch eh keine Gedanken darüber zu machen. Vor etwa einer halben Stunde hatte er eine SMS bekommen das seine Eltern erst morgen von ihrer Geschäftsreise zurückkommen würden und er deshalb heute Nacht erstmal allein zurechtkommen musste. In gewisser Weise beunruhigte ihn das obwohl es nichts neues war. Er war es gewohnt allein zu sein, auch über mehrere Tage, normalerweise saß er lange vorm Fernsehen oder schob eine extra Trainingseinheit, aber jetzt machte ihn der Gedanke das er heute Nacht völlig allein in einem leeren Haus war irgendwie nervös.
Als er grübelnd über dieses Gefühl die Augen schloss merkte er garnicht wie er langsam einnickte.

Ein paar laute Stimmen ließen ihn aus dem Schlaf hochschrecken, verwirrt öffnete er die Augen und sah sich um. Sie fuhren nicht mehr. Nach einem weiteren Blick stellte er fest das sie auf einem Parkplatz standen der neben einem hell erleuchteten Tankstellenschild lag. Hinata war nicht auf seinem Platz und auch viele der anderen fehlten. Wieviel Uhr war es überhaupt? Sein Handy zeigte 3:30 an, trotzdem sah es aus wie mindestens fünf, lag bestimmt an der Jahreszeit. Beim Blick aus dem Fenster erkannte er ein paar seiner Mitspieler die draußen standen, ein paar von ihnen hielten einen Becher Tee oder eine Flasche in der Hand und quatschten. Auch seinen kleinen Wirbelwind erkannte er, seine gelbe Winterjacke war auch schwer zu übersehen. Trotz der kalten Temperaturen war sie leicht geöffnet wofür er ihn am liebsten eine runtergehauen hätte. Wie konnte man nur so leichtsinnig sein? Im Moment redete er mit Noya und Tanaka und fuchtelte dabei wie gewohnt wie wild mit den Armen herum als wolle er ihre Unterhalten auch für gehörlose verständlich machen. Auf einmal sprang er scheinbar freudig auf und ab und mit Schrecken konnte er etwas bronzefarbenes in der Nachmittagssonne aufblitzen sehen.
Seine Kette! Oh Gott. Schnell versteckte er sich hinter dem Vorhang seines Fensters.
Oh man wie hatte er blos annehmen können das sie das noch ein wenig geheim halten konnten, wenn dieser verrückte Mittelblocker mit ihrem Geheimnis so offen herumhüpfte.
Er merkte wie ihm das Blut in den Kopf schoss, mit angehaltenem Atem und auch wenn er sich ein bisschen dämlich dabei vorkam linste er ein weiteres Mal aus dem Fenster. Alles, wirklich alles hätte er erwartet, verwirrte Blicke, peinliche oder vielleicht sogar wütende Verhaltensweisen aber nichts davon war zu sehen. Die drei unterhielten sich weiterhin auf die gleiche Art und Weise wie zuvor. Naja die beiden waren auch nicht gerade die hellsten dachte er erleichtert und atemte aus.
"Du hast Hinata eine Kette geschenkt".
Panisch fuhr er herum und sah in die ruhigen Augen von ihrem Kapitän der plötzlich neben ihm stand.
"Ähhhm", brachte er raus kam aber nicht dazu ganze Wörter zu bilden.
"Echt hübsch, er hat sie mir vorhin beim Aussteigen gezeigt. Eure Trikotnummern sind eingraviert, coole Idee sollte man sich merken."
"Das, war Hinata." Er schluckte und schaute schnell weg. "Er hat sie gekauft", stellte er richtig. Es war ihm immer noch unsäglich peinlich das Daichi wusste das sie beide ein Paar waren und sichtlich offen damit umging.
"Sie? Hast du auch eine?"
Er nickte mied jedoch immer noch den Blick und sah stattdessen wieder aus dem Fenster.
"Früher oder später werden auch die anderen bemerken das deine Nummer statt seiner eingraviert ist, darüber solltest du dir klar sein", sagte Daichi die offensichtlichen Worte.
"Ich weiß", murmelte er.
"Dann ist ja gut, wenn ihr wirklich eine Beziehung führen wollt ohne das ganze Versteckspiel ist das der erste Schritt. Zumindest dem Team solltet ihr es anvertrauten ich bin mir sicher dass..."
Kageyama unterbrach ihn, das ganze war ihm jetzt deutlichzu heuchlerisch.
"Bei was bist du dir sicher? Ich glaube nicht das ich mir von dir Ratschläge zu unserem Outing geben muss wenn ihr euer eigenes seit geraumer Zeit nicht auf die Reihe bekommt", meinte er grimmig und stand auf.
Er hatte plötzlich das Gefühl hier eingeengt zu sein, ein bisschen frische Luft war angebracht.
Daichi wich etwas erschrocken zurück was Kageyama die Gelegenheit gab aus der Bank zu rutschen und nach seiner Jacke zu greifen.
Sein Kapitän wirkte immer noch etwas perplex doch in seinen Augen war noch etwas anderes was der Zuspieler jedoch nicht erkennen konnte, so gut war er nun auch nicht im Gefühle anderer deuten. "Ist ja schon gut, ich wollte nur helfen", sagte er dann etwas kleinlaut hob jedoch sarkastisch abwehrend die Hände und lächelte dabei. Mit einem abwärtigen Laut lies ihn Tobio einfach stehen und ging durch die Reihen zum Ausgang.
Die kühle Luft fühlte sich gut auf seiner Haut an und mit einigen Schritten ging er zu der Tankstelle herüber um sich ein Trinkpäckchen Milch zu kaufen.
An die Wand gelehnt schlürfte er nachdenklich seine kühle Milch und merkte garnicht wie sich ein kleiner Schatten näherte.
"Hey Kageyama auch schon wach", fragte der kleine Zwerg und sah ihn strahlend an sodass sich seine Mundwinkel trotz seiner aufgewühlten Stimmung leicht hoben. Er war einfach süß wenn er so strahlte.
"Mhm", murmelte er ohne den Strohhalm aus dem Mund zu nehmen.
"Wir müssen noch ein paar Stunden fahren aber ich denke vor dem Abendessen sind wir zuhause, man freu ich mich auf das Essen meiner Mama. Sie hat mir versprochen Curry mit soft boiled Eggs zu machen, das ess ich am liebsten", plapperte er darauf los und leckte sich dabei übe die Lippen. Auch Kageyama knurrte bei dieser Beschreibung der Magen, das war auch sein Leibgericht. Doch als er daran dachte das er heute wahrscheinlich entweder noch selber einkaufen musste oder sich etwas aus der Kühlung auftauen musste verzog er wieder grimmig das Gesicht. Wie gerne würde er in ein warmes Haus kommen, umsorgt werden und einfach von seiner Reise erzählen, doch dazu würde er heute nicht kommen. Etwas geknickt trank er den letzten Schluck und schmiss sein Päckchen in den nächsten Mülleimer.
"Komm, wir sollten zurück zum Bus, es geht bestimmt gleich weiter", sagte er stattdessen und zog Hinata an der Jacke Richtung Bus.
"Sag mal wann hast du deinen Eltern geschrieben das wir ankommen, ich will nicht das meine Mama zu früh da ist und auf uns warten muss", quastelte Hinata einfach weiter und lies sich bereitwillig mitziehen.
"Ich hab ihr gar nichts gesagt, weil sie nämlich beide nicht da sind", kam es fast schon verbittert aus ihm heraus. Eigentlich hatte er ihm das nicht verraten wollen, doch Hinatas Geplapper brachte ihn manchmal total aus dem Konzept so das er sofort sagte was er dachte.
"Was? Du bist allein zu Hause? Das ist ja total doof", sprudelte als dem völlig verblüfften Mittelblocker heraus und er  sah ihn etwas mitleidig an was ihn irgendwie wütend machte.
"Ist es nicht, es ist eben so. Mir macht das nichts aus", sagte er doch selbst in seinen Ohren klang das nicht halb so ehrlich wie er es beabsichtigt hatte.
"Wenn du meinst". Hinata riss sich los und ging nun neben ihm her, kurz bevor sie zum Bus kamen drehte er sich noch einmal um und mit einem warmherzigen Lächeln meinte er: "Ich werde es auch vermissen neben dir einzuschlafen du Frostbeule".
Kageyama blieb stehen während Hinata locker flockig als wenn nichts gewesen wäre sich unter die anderen mischte.
Wie konnte dieser kleine Flummi mit wenig Worten nur so viel in ihm auslösen?
Seine letzten Worte hatten ihn genau ins Herz getroffen. Er hatte irgendwie gespürt das das der wahre Grund war warum er so schlecht drauf war. Wie machte er das nur?
In ihn hineinzusehen und in ihm zu lesen wie in einem Buch, ganz ohne Worte?


kagehina kribbeln im BauchWhere stories live. Discover now