Prolog ~ He kissed me hard before he goes

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He kissed me hard before he goes

„Na die Sau rauslassen!", poltert Anni mir energisch entgegen und schafft es gerade so die laute Musik zu übertönen. Sie strahlt mich an. Für meinen Geschmack ist sie zur stark geschminkt. Doch in dem konfusen Licht und den ständig wechselnden Farben des Clubs fällt es kaum auf. Ihre langen, sonst wuscheligen roten Haare kringeln sich feinsäuberlich über ihre schmalen Schultern.

„Lass endlich mal die Sau raus, Ben!"

„Jetzt sofort?", erfrage ich skeptisch und sehe mich in dem vollen Club um. Vor wenigen Stunden haben wir unsere Abschlusszeugnisse überreicht bekommen und noch immer hallen mir die bedeutungsschweren Worte der Lehrer im Kopf herum. Sie prophezeiten uns eine erfolgreiche und glanzvolle Zukunft, wenn wir uns weiterhin den Tugenden des Lernens und Strebens hingeben. Der Großteil unserer Klasse wird nicht mal an die Uni gehen. Sie hatten ihr Ziel also erreicht. Anni legt einen Arm um meine Hüfte und versucht eine Reaktion aus mir heraus zu kitzeln. Sie ist seit 5 Jahren meine beste Freundin und weiß oft besser als ich, was gut für mich ist. Denkt sie jedenfalls.

"Benedikt, du guckst, wie ein scheues Reh im Scheinwerferlicht. Komm schon! Wir haben unseren Abschluss. Für uns beginnt ein neuer Lebensabschnitt! Wir sind es uns schuldig zu feiern und Party zu machen bis wir umfallen! Komm schon. Du kannst früh genug in den Ernst des Lebens zurückkehren, aber heute feiern wir bis der Arzt kommt." Es ist nicht so, dass sie vorher keusch und zurückhaltend gelebt hat. Ich schüttele resignierend den Kopf und weiß, dass sie keinen Widerspruch duldet. Anni streicht sich ein paar Haarsträhnen zurück, nippt an ihrem vormals kunterbunten, jetzt nur noch matschfarbenen Drink und sieht sich ebenfalls um. Ich atme tief durch und versuche mich am Sau rauslassen. Mit mäßigem Erfolg, denn mir steckt noch immer die Müdigkeit vom Lernen in den Knochen, doch ich weiß, dass sie Recht hat. Eine Nacht feiern. Warum nicht? Was soll schon passieren?

Anni deutet neben mir mit wild fuchtelnden Armen zum Eingang und zeigt auf zwei unserer Mitschüler.

„Komm, da sind endlich Tom und Lina!" Ihr Lächeln wird breiter und ich folge ihr, wie ein braver Lemming. Wir suchen uns einen abseitsgelegenen Tisch in der Ecke und ich lasse mich langsam von der guten Stimmung der Anderen mitreißen. Mein bereits drittes Bier ist maßgeblich daran beteiligt. Doch dann bin ich an der Reihe eine neue Runde zu holen. Seufzend und unter massig Getöse verschwinde ich mit den Bestellungen zur Bar. Der Weg durch die Tanzfläche war eine dumme Idee. Dreimal werde ich angetanzt, zweimal angerempelt. Vielleicht ist es auch andersherum. Bei den merkwürdigen Tanzeinlagen ist es kaum voneinander zu unterscheiden.

Ich lehne mich an die Bar und ordere die Drinks. Meine Müdigkeit ist noch immer nicht vollständig verflogen, doch langsam komme ich richtig in Stimmung. Ein weiteres Bier und mein Pegel ist auf einem annehmbaren Stand. Während des Wartens schaue ich mich um. Die meisten Besucher sind ausgelassen am Tanzen oder am hektischen Getränke ordern. Nur wenige sitzen entspannt an der Bar und genießen ihre Drinks. Ich schaue zur Seite und erblicke ihn zum ersten Mal. Ich riskiere einen längeren Blick und beobachte die Muskeln seines Kiefers, die sich beim Nippen an seinem Drink auffällig bewegen. Er trägt einen fein geschnittenen Bart, der perfekt sein markantes, aber attraktives Gesicht rahmt. Als er zu mir sieht, fällt sein längeres Kopfhaar leicht zur Seite. Es ist nur ein kurzer Blick, den er mir schenkt und doch schaue ich nicht weg, denn ich bin fasziniert von seinen sanft geschwungenen Lippen, eingebettet in die dunkle Umrandung seines Barts. Ein weiteres Nippen und er sieht erneut zu mir, so als würde er genau spüren, dass ich ihn ausgiebig mustere. Ein anregendes Kribbeln erblüht in meinem Bauch, ausgelöst durch die intensiven und eindrucksvollen Augen, die mir entgegen schauen. Er erwidert meinen Blick so lange bis der Barkeeper mir die Getränke vor die Nase stellt und Geld verlangt. Als ich die Gläser greife und danach noch einen letzten Blick riskiere, ist er von einer Meute Mädels verdeckt, sodass ich leider keine Chance habe auch den Rest des Mannes zu bestaunen. Obwohl sein Blick nicht besonders flirtend war, hat er mich in den Bann gezogen. Wieder kommen mir Annis Worte in den Sinn. Die Sau rauslassen. Er wäre ein Kandidat um die Sau rauszulassen, die dank des Lernstresses seit Monaten am Futtertrog verhungert. Ich spüre ein deutliches Ziehen in meiner Lendengegend und schüttele über meine eigenen Gedanken den Kopf.

Kiss me hard before you goWhere stories live. Discover now