Zurück zum Punkt Null?

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Kapitel 19 Zurück zum Punkt Null?

Ärger. Das Wort wiederholt sich in meinem Kopf. Nicht zum ersten Mal, was dazu führt, dass ich mir dessen vollkommen bewusst bin. Im Grunde bedeutete unsere Beziehung schon die ganze Zeit Ärger.

„Ben." Ihre Stimme ist eine Mischung aus Verunsicherung und Mahnung. Marie weiß, dass sie kein Recht hat, mich zu belehren, aber es zu müssen, liegt an ihrer konservativen Einstellung. Vielleicht auch an ihrer freundschaftlichen Empfindung mir gegenüber. Scheinbar hat sie sich schon eine längere Zeit darüber Gedanken gemacht. In meinen Kopf schreit es danach, dass sie sich nicht einmischen soll, doch ich sage nichts, weil im selben Augenblick die Vernunft ihre mahnenden Rückschlüsse zieht.

„Es ist nicht so einfach....", setze ich an, doch Marie unterbricht mich.

„Ich weiß, dass es in dem Sinne nicht verboten ist, aber ich weiß auch, dass das nicht gern gesehen wird... Ben, wenn das rauskommt!", spinnt sie ihre Gedanken unbeirrt weiter, blickt dabei auf ihre Finger und nur ab und an schaut sie über ihre Brille hinweg zu mir. Ihr Tonfall ist eine wankende Mischung aus ernst gemeinter Sorge und ein klein wenig Fassungslosigkeit. Diese Art der Beziehung passt vermutlich nicht in ihr heimeliges Weltbild. Ich kämpfe mit meinen Empfindungen und bringe kein Wort zur Verteidigung oder wenigstens zur Erklärung hervor. Sie spricht von zukünftigen Behinderungen und Steinen. Wege und Möglichkeiten, die sich durch eine solche skandalöse Anhaftung versperren. Für mich. Für Antony. Maries Vortrag endet mit einem nervösen Seufzen. Ich streiche mir durch die Haare, spüre die Schwere in meinen Gliedern, die mich schon eine ganze Weile schleichend lähmt und versinke in Gedanken. Marie fasst an den weißlackierten Türrahmen. Sie hat kleine, fast knubbelige Finger mit kurzen Nägeln. Praktisch und uneitel. Etwas Anderes würde auch nicht zu ihr passen. Ihre letzten Worte habe ich schon nicht mehr richtig wahrgenommen.

„Ben?" Noch mehr Verunsicherung. Wahrscheinlich kann sie nicht zu ordnen, wie sie meine wortlose Reaktion auffassen soll. Bevor ich etwas erwidern kann, geht hinter mir die Tür auf. Ein gähnender Rick trabt Richtung Toilette, bleibt dicht hinter mir stehen und legt mir sein Kinn auf die linke Schulter. Er hat beidseitig noch genügend Platz, um frontal um mich herumzugehen.

„Du stehst im Weg", murmelt er und ich merke, wie er kurz an mir schnuppert. Dabei stupst seine Nasenspitze sachte gegen meinen Hals. Sie ist schrecklich kalt, aber wenigstens nicht feucht. Seine unbedarften Berührungen fördern ein sonderbares Kitzeln, welches jedes Mal wieder in völliger Zufriedenheit verebbt. Nur mit einem Auge mustert er mich, als ich ihm Platz mache und er an Marie vorbei ins Badezimmer geht. Ricks Akzeptanz durchströmt mich beruhigend. Ich nutze diesen seltsamen Moment um mich aus der Affäre zu ziehe.

„Schlaf gut. Ich versuche leise zu sein..." Schnell verschwinde ich in mein Zimmer und schließe hinter mir die Tür. Ich bin mir sicher, dass sich Marie nur um mich sorgt.

Ich bleibe mitten im Raum stehen, blicke zu dem Bett, in dem vor einer Stunde noch unsere warmen Körper gelegen haben, sich gesuhlt und gewälzt haben. Automatisch schließe ich meine Augen als ich das Gefühl seiner Hände zurück auf meinen Körper ersinne. Das feine Kribbeln, wenn seine Haut auf meine trifft. Die Sanftheit seiner Lippen. Liebkosend und so umwerfend süß. Ich erschaudere allein bei der Erinnerung daran. Mir entfährt ein erregtes Brummen. Ich straffe meine Schultern, öffne das Fenster und schwinge mich auf meinen Schreibtischstuhl. Leider mit so viel Elan, dass ich fast wieder herunterfalle. Ich ziehe mich zurück auf das Polster und schalte meinen Rechner an. Ich logge mich in den Universitätsverteiler ein, downloade mir ein paar neue Vorlesungsfolien und checke meine E-Mails. Die Antwort von meinem eventuellen Projektpartner. Er erklärt mir, dass er mittlerweile angefangen hat und bittet darum, dass wir uns bald möglich zusammensetzen. Ich willige ein, schreibe ihm meine Handynummer auf, da wir uns so besser verständigen können und beruhige mein schlechtes Gewissen damit, dass ich mir ein paar erste Informationen des Themas aus dem Internet ziehe. Nach einer Dreiviertelstunde kann ich noch immer nicht einschätzen, ob das Thema wirklich nur langweilig oder versteckt interessant ist. Ich denke an den Vortrag und die kommenden Diskussionen im Seminar. Mein Magen wird flau. Das wird ein Spaß! Für gewöhnlich habe ich nichts gegen eine gute Kontroverse, aber ich muss selbst dafür stehen. Ich schiele auf mein Handy. Ein munteres Blinken. Eine Nachricht. Mein Pulsschlag beschleunigt sich. Noch bevor ich die Nachricht öffnen kann, beginnt das Telefon in meiner Hand zu klingeln und ich lasse es fallen.

Kiss me hard before you goHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin