Die zweifelhafte Ruhe im Sturm

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Kapitel 23 Die zweifelhafte Ruhe im Sturm

Ein Ruck und er kommt mir noch etwas näher. Ich kann ein eigenartig vertrautes Aftershave an ihm riechen. Mateos Gesicht fährt meinen Hals entlang. Sein warmer Atem trifft meine Haut und ich erzittere bei jedem Atemzug. Ich fühle mich wie gelähmt. Auch noch als er seine Bewegung wiederholt und an meinem Ohr stoppt.

„Halt dich einfach von ihm fern...vergiss deine glücklichen Beziehungsvorstellungen und das hier bleibt unter uns", sagt er und bohrt mir seine Zähne hart ins Ohrläppchen. Der Schmerz ist auszuhalten und doch wird mein Herzschlag noch eine Schippe heftiger. Als er sich von mir entfernt, greife ich automatisch an mein malträtiertes Ohr. Ich spüre Feuchtigkeit, doch es sind nur Überreste seiner Spucke.

Mateo packt mein Kinn und zwingt mich so, ihn anzusehen. Eine letzte stille Warnung. Ein letzter Blick in seine eiskalten blauen Augen und mit einem Grinsen auf den Lippen setzt er sich die Sonnenbrille wieder auf. Ich beobachte, wie er zurück zu seinem Auto geht, wie er einsteigt und eine weitere unendliche Minute unbeweglich darin sitzen bleibt bis er endlich losfährt. Erst danach habe ich das Gefühl wieder atmen zu können. Nur ein klein wenig. Nur so weit, dass ich nicht zusammenklappe.

Ich zittere noch immer als ich die Tür zur WG öffne. Mich umfängt Stille, so, wie so oft in den letzten Wochen. Meine Mitbewohner treiben sich wieder in der Weltgeschichte rum. Ihr gutes Recht, doch dieses Mal wünschte ich mir, dass jemand da wäre. Das ich nicht allein wäre.

Es ist so still, dass ich meinen Herzschlag hören kann und das macht mich nur noch nervöser. Ich verschließe zum ersten Mal seit langem die Haustür und gehe als erstes ins Badezimmer. Ich kippe mir mehrere große Ladungen Wasser ins Gesicht und rubbele so lange an meinem Ohrläppchen rum, bis es rot leuchtet und es sich anfühlt als würde mir das Ohr gleich abfallen. Es ist unangenehm, doch in diesen Moment hilft es mir klarer zu denken. Danach gehe ich in die Küche. Ich sitze einfach nur da und starre auf einen imaginären Punkt im Raum. Mateo weiß von mir. Nun ist es keine Spekulation mehr, sondern eine Tatsache. Und das sorgt gerade für Tabula rasa in meinem Inneren. Alles scheint sich zu verknoten und zu verdrehen. Ich beuge mich vor und wieder zurück, aber keine der Positionen bringt eine Besserung.

Es dauert eine ganze Weile bis ich mich aus meinem chaotischen Zustand befreien kann und zum Kühlschrank laufe. Ich öffne ihn, um ihm im selben Moment wieder zu schließen. Ich wiederhole es. Stumpf und gedanklich vollkommen woanders. Als auch das sechste Mal kein Ergebnis liefert, besinne ich mich und greife mir den Wasserkocher. Ein Tee wird mir bestimmt helfen. Tee beruhigt. So sagt man es doch. Meine Hände zittern. Ich nehme mir etwas von dem Kräuterteevorrat von Marie und warte darauf, dass das Wasser endlich kocht. Entspannung, Entspannung ist gut. Es wiederholt sich mehrere Mal in meinem Kopf.

Danach setze ich mich wieder hin. Ich fühle mich nicht besser. Kein bisschen klarer als vorher. Meine Finger beben und ich sehe deutlich, wie der Tee in meiner Tasse Wellen schlägt. Es klirrt, als ich das Geschirr auf dem Holztisch abstelle. Ich lehne mich zurück und starre auf die hässliche Wachstischdecke, die Marie vor einer Weile besorgt hat. Ein wirklich absurd scheußliches Ungetüm mit gelb, orangem Schottenmuster. Anni hatte mal ein ähnliches Muster auf ihren Fingernägeln. Für einen kurzen Moment denke ich darüber nach, meine beste Freundin anzurufen, doch dann lege ich das Telefon einfach nur auf dem Tisch ab. Sie wäre keine Hilfe. Nichts ist gerade eine Hilfe.

Woher weiß Mateo, wo ich wohne? Ist er Antony gefolgt? Mir? Egal, was es von beiden ist, er weiß, wo ich wohne. Meine Gedanken rasen und ich schrecke jedes Mal zusammen, wenn aus den Nachbarwohnungen Geräusche dringen. Eine Tür, die zu schlägt oder auch etwas, was einfach zu Boden fällt. Anscheinend sind unsere Nachbarn sehr tollpatschig. Es ist mir vorher nie aufgefallen. Es rumpelt erneut und ich zucke heftig zusammen. Ich höre das Echo meines Herzschlags überall in meinem Körper. Es ist laut und unangenehm. Als ich den ersten Schluck aus der Tasse nehme, ist der Tee bereits kalt. Wie konnte er mich finden? Was soll ich nur tun? Es Antony nicht zu erzählen, würde sich sicher als Fehler herausstellen, aber ich will ihn nicht verlieren und das würde ich. Er würde sofort den Kontakt zu mir abbrechen und das mit dem Schutz meiner Sicherheit argumentieren. Ich hätte kaum Gegenargumente. Vielleicht sollten wir zusammen zur Polizei gehen? Aber sicher wird Antony das nicht wollen, denn dann würde es herauskommen und Stroud würde vielleicht Probleme machen. Die Uni würde es erfahren. Auch von Antony und mir. Es ist also keine Lösung. Jedenfalls keine Gute. Egal, was ich tun werde, es wird nicht gut enden. Ich schließe meine Augen und lehne mich zurück. Das kann alles nicht wahr sein. Wieso ist das alles so schwierig? Wieso kann es nicht einfach sein? Wieder scheint der Pfad in die Zukunft in völlige Dunkelheit gehüllt.

Kiss me hard before you goWhere stories live. Discover now