Der zornige Weg in die falsche Richtung

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Kapitel 11 Der zornige Weg in die falsche Richtung

„Ja, vielen Dank für deine Ehrlichkeit", sage ich tonlos und greife nach meiner Jacke.

„Ben!" Ich gehe an Anni vorbei und verlasse das Zimmer. An der Wohnungstür hält sie mich zurück.

„Ben, warte doch. Geh nicht. Lass uns reden, bitte."

„Entschuldige, aber für heute hatte ich genug Wahrheiten und Ehrlichkeit für den Rest des Jahres." Ich gehe ohne mich ein weiteres Mal umzudrehen. Draußen bleibe ich einen Moment stehen und sehe zum grauen Himmel. Ich fühle mich ermattet. Einfach müde, aber der Gedanke, in mein Zimmer zurückzukehren, behagt mir nicht.

Am späten Abend kehre ich in die WG zurück und habe ich die zwei Hosen, eine Strickjacke und einen Pullover erstanden, denen ich beim letzten Shoppingtrip mit Anni heldenhaft widerstanden habe. Dazu habe ich noch zwei Bücher gekauft, die ich im Buchladen bereits zur Hälfte gelesen habe. Ich fühle mich nicht besser, aber wenigstens habe ich so den halben Tag hinter mich gebracht. Ich werfe die Tüten in die Ecke und gehe duschen. Ausgiebig und lange. Mit feuchten Haaren und nur in Jeans hole ich mir aus dem Kühlschrank ein Bier. In der Küche bleibe ich unschlüssig stehen. Ich müsste etwas essen. Ich müsste etwas trinken.

Von den anderen beiden ist nichts zu hören und tief im Inneren bin ich froh darüber. Ich habe keine Lust auf Erklärungen und luftig, bemitleidenswerte Bekundungen.

Als ich am Montagmorgen erwache, blicke ich auf meinen Oldschool-Wecker. Das Geräusch ist zum Rütteln und zum Schütteln. Einfach zum Weglaufen, aber da ich mein Handy nicht anmachen wollte, musste ich mich anders wecken lassen. Den gesamten Sonntag habe ich das Telefon aus und trotzdem habe ich es ständig gehört. Reine Einbildung. Nichts anderes. Dennoch habe ich am Abend das Handy unter mein Kopfkissen geschoben und mir eingeredet, dass ich es mir dadurch weniger einbilde. Ich drehe mich auf die andere Seite und schließe die Augen. Die Bilder von ihm und dem fremden Mann kommen mir augenblicklich in den Sinn. In meiner Brust beginnt es zu brennen und ich fühle mich unsagbar dumm. Obwohl mittlerweile zwei Tage vergangen sind, fühle ich mich noch immer nicht stark und gefasst genug, um ihm gegenüber zu treten.

Bewusst meide ich seine Vorlesung. Doch in dem Moment, in dem Sie endet, finde ich mich in dem Flur in der Nähe seines Büros wieder. Ich merke, wie das wiederbelebte Handy in meiner Tasche zu vibrieren beginnt. Natürlich ist es Antony. Ich gehe ran, führe es an mein Ohr und bringe kein Wort heraus.

„Ben? Ben, bist du dran?", plappert er energisch. Antonys ungewöhnlich aufgeregte Stimme versetzt mich ein kleines Bisschen in Panik. Ein ungläubiges Seufzen verlässt meine Lippen und ich atme angestrengt aus. In diesem Moment biegt er um die Ecke. Das Telefon an seinem Ohr und einige Bücher unter seinem Arm. Er lässt das Handy sinken und kommt unbeirrt auf mich zu. Mein Puls geht mit jedem seiner Schritte weiter nach oben. Ich höre, wie er jeder einzelne Schlag durch meinen Körper schallt. Heiß und fast schmerzhaft. Antonys Blick wechselt von Verwunderung zu Unverständnis und dann kurz zu Wut. Doch kurz bevor er bei mir ankommt, wird sein Blick besorgt. Eine Reaktion, die mir jeglichen Mut entzieht. Ich zögere und drehe meinen Fuß bereits in die andere Richtung. Alles in mir schreit danach einfach wegzulaufen.

„Ben, warte!" Er packt mich am Arm und hält mich fest. Die Geschwindigkeit, mit der er nach mir greift, lässt mich verwundert keuchen. Antony führt mich in sein Büro. Ich folge und schweige. Hinter mir schließt er die Tür. Die nun doch erzwungene Konfrontation fördert alle möglichen Gefühle in mir zu Tage. Der gesamte Schmerz. Die bloßstellende Enttäuschung. Die nagende Hilflosigkeit. Die zerrende Wut. Ich funkele ihn an.

Sein fragendes Gesicht macht mich wütend. Ich bin so verdammt sauer. Die Bilder unserer Auseinandersetzung über meine angebliche Affäre mit Luka kommen mir in den Sinn. Seine Wut und seine lächerliche Anschuldigung. Ich konnte nicht fassen, dass er sich so aufgeführt hat und mich eigentlich selbst seit Wochen anlügt. Er ist ein verdammter Heuchler.

Kiss me hard before you goWo Geschichten leben. Entdecke jetzt