Bekenntnisse eines Akademikers

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Kapitel 13 Bekenntnisse eines Akademikers

Ich blicke auf den Zigarettenstummel in meiner Hand. Warum muss derzeit alles schiefgehen? Beim nächsten Mülleimer lasse ich die Zigarette verschwinden und habe für einen Moment das Gefühl, dass mit diesem Stummel mein Leben im Müll verschwindet. Nichts, aber wirklich nichts scheint zu funktionieren. Liebe. Freundschaft. Familie. Alles im Arsch.

Mein Körper fühlt sich schwer, aber zugleich unglaublich leer an. Es ist seltsam. Ich sehe auf meine Fingerspitzen. Sie sind taub und dass, obwohl ich mich direkt daran erinnere, wie sie über warme, wohltuende Haut streichen. Was ist nur los mit mir?

Entmutigt und seltsam ermattet, gehe ich zur Bushaltestelle und nach nur wenigen Minuten kommt ein Bus. Ich setze mich ganz nach hinten und lehne meinen Kopf müde gegen die leicht vibrierende Scheibe. Das sanfte Rütteln beruhigt mich und ich schließe meine Augen. Warum passiert das nur alles? Für einen Augenblick spüre ich tiefe Verzweiflung, die sich in bodenlose Ernüchterung wandelt. Die anhaltende und tiefsitzende Enttäuschung über die Gefühlskälte meines Erzeugers, der mir damit auch den Rest meiner Familien genommen hat. Meine beste Freundin, die so wenig Empathie und Mitgefühl für mich aufbringt, dass ich mittlerweile der völligen Überzeugung bin, dass bei ihr etwas ganz grundlegend kaputt gegangen sein muss. Und der Mann, bei dem ich mir Halt und Chance wünschte, der aber letztendlich meine Gefühle nur mit Füßen tritt. Und dann noch Luka. Ein Kapitel für sich. Im Grunde meine eigene Dummheit.

Die Ernüchterung bereitet sich in mir aus, wie eine Krankheit, die meine Glieder lähmt und meinen Verstand in die Knie zwingt. Na, wenn das mal nicht Stoff für kitschige und dramatische Belletristik ist. In meinem Kopf bündeln sich die Szenen meines chaotischen Lebens zu einer erzählerischen Storyline mit mahnenden Kommentaren. Als ich das nächste Mal auf die Ansage achte, bin ich schon um 5 Stationen an meiner Haltestelle vorbeigefahren und damit bei der Endstation angelangt. Großartig.

Der Bus hält und ich stehe nicht sofort auf. Der Busfahrer wiederholt die Durchsage und betont dabei den Hinweis auf die Endstation. Sein Blick, der über den Rückspiegel auf mich gerichtet ist, ist genervt und leicht aggressiv. Bevor er ein weiteres Mal den Mund aufmacht, ziehe ich mich an einer Haltestange hoch und steige aus dem Bus. Hinter mir schließt er sofort die Tür.

Es ist verdammt kalt. War es vorhin auch schon so kalt? Wahrscheinlich habe ich es nur nicht wahrgenommen, weil diese verräterische Lust in meinem Blut schwamm und sich mein eigener Körper fremd anfühlte. Jetzt trifft sie mich schlagartig.

Ich ziehe merklich die Schultern nach oben und erhoffe mir so mehr Schutz vor der bitteren Kälte. Mein Hals liegt komplett frei. Ich weiß nicht einmal, wo meine Winterklamotten hingekommen sind. Anni weiß es. Noch möchte ich sie nicht anrufen und danach fragen. Ich denke an meine Mutter. Ich habe meine Schwester gebeten, mich auf den Laufenden zu halten, aber bisher habe ich keine Nachricht von ihr bekommen. Es belastet mich nicht zu wissen, wie es meine Mutter geht. Mein Leben gerät aus den Fugen und ich habe niemanden, mit dem ich darüber reden kann. In mir wächst das Bedürfnis eine liebevolle Stimme zu hören, die mich beruhigt und mit sagt, dass alles wieder gut wird, auch wenn es nicht stimmt. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und blicke still auf das dunkele Display, während ich schleichend weiterlaufe.

Ich wähle nach kurzem Zögern Natalias Nummer. Es klingelt lange und ich lege nicht auf, bis ich ihre Stimme höre.

„Ben?" Fast nur ein Flüstern. Wahrscheinlich musste sie in einen anderen Raum gehen, bevor sie ans Telefon kam. Unwillkürlich schließe ich die Augen. Ich fühle mich getroffen, auch wenn ich im Grunde weiß, woran es liegt und es nichts Neues ist.

„Hey, wie geht es euch? Wie geht es Mama?"

„Mama, darf nächste Woche nach Hause. Sie muss nicht operiert werden." Ich atme erleichtert aus. Natalia hört es.

Kiss me hard before you goWo Geschichten leben. Entdecke jetzt