Was wäre wenn...

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Kapitel 22 Was wäre, wenn...

Antony zögert nur für einen Sekundenbruchteil. Dann schließt er zu uns auf und bleibt neben mir stehen.

„Benedikt, Ihre Unterlagen... Sie haben sie in meinem Büro vergessen", presst er hervor, klingt dabei seltsam gestelzt und aber auch irgendwie durcheinander. Er reicht mir den Hefter mit meinen Notizen ohne den Blick von dem anderen Mann zu nehmen. Bevor ich die Unterlagen an mich nehmen kann, greift Mateo danach. Ich ziehe meine Hand, wie verbrannt zurück und sehe auf. Mateos Augen werden von der schwarzen Sonnenbrille verdeckt, doch mir reicht das winzige Grinsen auf seinen Lippen, um zu wissen, dass er sich seinen Teil dazu denkt. Der schwarzgekleidete Mann lässt seinen Blick über die Vorderseite des Hefters wandern.

„So spät noch so fleißig?" Ich nehme ihm diesen aus der Hand, setze zu einem mürrischen Kommentar an, doch Antony nimmt ihn mir ab.

„Entgegen weitläufiger Meinung wird der Universitätsbetrieb nicht um 15 Uhr eingestellt. Es gibt danach noch Vorlesungen, Seminare und Sprechzeiten bei Dozenten und Professoren." Der Portugiese sieht erst zu Mateo und dann zu mir. Die stille Bitte in den kühlen Augen des anderen Mannes, die mir sagt, dass ich schnell das Weite suchen soll, ist deutlich und unbehaglich. Sie verursacht mit Gänsehaut. Er braucht die Konfrontation zwischen uns nicht. Und auch ich habe im Moment nicht das Bedürfnis danach. Abgesehen von dem feinen Kitzeln in meinen Fingerkuppen, welches mir sagt, dass ich dem furchteinflößenden Spanier nur zu gern unter die Nase reiben würde, dass ich der neue Mann an Antonys Seite bin und dass er zur Hölle fahren soll. Es ist nur der kurzzeitige Rückfall in pubertären Leichtsinn. Die darauffolgende Erkenntnis macht mir jedes Mal deutlich klar, dass ich ihm das höchstens mit 50 Meter Abstand zu rufen würde. Am besten mit einer viel befahrenen Autobahn zwischen mir und ihm. Oder einer Schlucht voller Krokodile. Ein Steinbruch voller hungriger Zombies. Die Möglichkeiten scheinen grenzenlos. Die Stimmung ist so gespannt, dass selbst das Stahlseil über dem imaginären Canyon reißt.

„Immer viel zu tun. Wie könnte man auch nicht, bei so vielen tüchtigen Schüler." Es klingt bedrohlich. So, wie eigentlich alles an dem großen Mann bedrohlich wirkt. Obwohl er die Sonnenbrille trägt, bin ich mir sicher, dass die Augen des Spaniers auf mich gerichtet sind. Ich schluck unmerklich, weil mir die Kälte in der Stimme des Anderen schier Erfrierungen verursacht. Trotzdem verschwindet dieser Kitzel nicht.

„Studenten", berichtige ich flapsig. Antony seufzt. Wenn es nicht so auffällig gewesen wäre, dann hätte er sich sicher die Hand vor die Stirn geschlagen.

„Wie bitte?"

„Studenten, nicht Schüler.", wiederhole ich. Mateo beginnt zu grinsen.

„Was tust du hier?", fragt Antony ungeduldig. Fast nervös. Er schiebt sich zwischen mir und dem großen Spanier, nimmt mich damit aus der Schussbahn. Doch das funktioniert nicht.

„Vor allem im Weg stehen...", entflieht es mir wenig galant und bereue es im nächsten Augenblick schon wieder. Dem Spanier von vornherein mit einer negativen Haltung gegenüberzutreten, ist eine unglaublich dumme Idee. Anscheinend sieht es Antony genauso.

„Herr Kaufmann, Sie haben noch einiges an Stoff nachzuholen, nicht wahr?", harscht er mich belehrend an und setzt seinem durchdringenden Blick ein. Der Hinweis ist deutlich. Er will mich hier weghaben. Ich kann es verstehen, auch wenn ich ebenso das Bedürfnis verspüre ihm beizustehen. Ich nicke es nur ab.

„Vielen Dank für die Hilfe und die Unterlagen...", sage ich kurzangebunden, sehe beim Gehen, wie mir die aufmerksamen, kühlen Augen beider Männer folgen. Doch nur einer trifft mich mit völligem Unbehagen.

Mit einem seltsamen Gefühl in der Brust fahre ich in die WG, springe unter die Dusche und erwische mich dabei, wie ich bei jedem weiteren Schritt auf das Handydisplay starre. Ein kurzer Blick beim Abtrocknen. Nach dem Anziehen der Hose und auch nach dem Pullover. Nach jedem Socken. Worauf ich eigentlich hoffe, ist mir selbst nicht ganz klar.

Kiss me hard before you goWo Geschichten leben. Entdecke jetzt