Kapitel 4

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Träume groß und unerschrocken. Lass dir den Weg von deinem Herzen zeigen, es weiß, wo es lang geht."

„Und wie war es?", fragte ich meine Schwester am Abend, sobald sie durch die Tür gekommen war. Einen Moment lang sah sie mich traurig an, doch dann  konnte sie das Strahlen nicht mehr zurückhalten. „Es lief super", freute sie sich, „Also ich habe noch keine direkte Zusage, aber ich habe ein wirklich gutes Gefühl bei der Sache." Ich umarmte sie. „Ich bin wirklich sehr stolz auf dich", flüsterte ich dabei in ihr Ohr.

„Aber jetzt erzähl mal, wie es mit Oliver gelaufen ist", forderte sie mich auf, während sie sich in unserem Wohnzimmer umschaute. Der Fortschritt war deutlich zu erkennen. „Eigentlich ganz gut", antwortete ich, „Er musste dann nur leider wieder zu einem Notfall." „Notfall?" „Jup", erwiderte ich. „Und wie sieht es mit dir aus wegen der Wasser-Geschichte?", fragte sie mich und deutete auf die vielen leeren Flaschen Wasser, die ich heute im Laufe des Tages geleert hatte.

„Naja ... Ich denke, dass ich morgen los fahren werde", gab ich widerwillig zu und Hava verstummte. Diese Zeiten waren noch nie einfach gewesen.

Und schon am frühen nächsten Morgen befand ich mich auf den Weg aus der Stadt heraus. Mein Ziel war ein sehr abgelegener See, an dem ich nun ein paar Tage verbringen würde, um meinen Körper die Wasserzufuhr zu geben, die er benötigt.

Ohne größere Staus erreichte ich dann nach ein paar Stunden endlich den See. Es war herrlich ruhig. Weit und breit war keine einzige Menschenseele zu erkennen. Hier würde ich definitiv die nächsten Tage ungestört verbringen können.

Nach dem Aussteigen schnappte ich mir schnell meine wenigen Sachen und lief auf das Wasser zu. Provisorisch warf ich anschließend alles auf einen Haufen, riss mir die Kleider vom Leib und rannte in das kühle Wasser. Schon bereits nach wenigen Metern, die ich tauchend zurückgelegt hatte, spürte ich dieses altbekannte Kribbeln in meinen Beinen. Dass ich sie kurze Zeit später nicht mehr spüren konnte, verriet mir, dass meine Verwandlung abgeschossen war.

Ich war eine Meerjungfrau.

Vor einigen Jahren:

Na mein Schatz, wie geht es dir heute?", begrüßte mich meine Mutter und musterte mich besorgt. Mürrisch und erschöpft schaute ich sie an. „Immer noch nicht besser. Ich habe das Gefühl, dass es immer schlechter wird", antwortete ich ihr, „Wenn nur nicht diese komischen Schmerzen in meinen Beinen wären." „Schmerzen in den Beinen?", fragte sie mich auf einmal aufgeweckt und nervös, als hätte ich irgendwas falsches gesagt. „Ja, immer so ein piksen", versuchte ich ihr den Schmerz zu erklären, „Außerdem würde ich am liebsten den ganzen Tag mich ins Wasser legen wollen." Geschockt riss sie ihre Augen auf und erhob sich so ruckartig vom Stuhl, dass er nach hinten umfiel.

„Mum, alles in Ordnung?", nun war ich diejenige, die besorgt war. „Ne- ähm ... ja, ich meine ja ... Ich muss dringend mit deinem Vater sprechen", erklärte sie mir aufgewühlt und komplett neben sich stehend. „Mum, du machst mir Angst", gab ich mehr als nur besorgt von mir. War irgendwas mit mir, von dem ich ich nichts wusste?

Sie eilte schnell zu dem Büro meines Vaters. Das einzige, was ich noch hören konnte war ein alarmierendes: „Es ist soweit."

Dieser Moment veränderte wortwörtlich mein gesamtes Leben. Denn von diesem Tag an wurde ich von meinen Eltern verstoßen. Sie schickten mich einfach so weg. Durch Zufall landete ich in der Familie von Hava, die mich liebevoll aufnahm. Seit diesem Tag an hatte ich mir geschworen, sie als meine richtige Familie anzusehen und meine meine Erzeuger waren für mich gestorben.

Mit der Zeit verstand ich auch immer mehr, was mit mir und vor allem mit meinem Körper vorging. Meine neue Familie war jedoch immer für mich da und hat mich in alles Dingen unterstützt. Doch niemand konnte mir meine tausend Fragen beantworten. Diese trug ich bis heute in mir.

Nach mehreren Schwimmrunden ließ ich mich auf dem Rücken treiben und lauschte den Geräuschen der Natur. Das Rauschen des Windes durch die Blätter und der Gesang von vielen verschiedenen Vögeln hatte schon immer einen beruhigenden Effekt auf mich.

Hava's Sicht

Seit Feyas Verschwinden waren nun schon ein paar Tage vergangen. Ich war gerade dabei die Möbel mal wieder von links nach rechts zu verschieben, als ein Klingeln mich innehalten ließ.

Voller Vorfreude stürmte ich zur Tür und riss sie hektisch auf. „Da bist du ja endlich wieder", rief ich erfreut und schmiss mich in die Arme der davorstehenden Person, ohne zu schauen, wer sich eigentlich wirklich vor der Tür befand. „Wow, so einen Empfang wünsche ich mir immer", vernahm ich eine belustigte männliche Stimme, die definitiv nicht zu meiner Schwester gehörte. Auch dieser muskulöse Körperbau konnte nicht der von Feya sein.

Peinlich berührt ließ ich meinen Blick nach oben schweifen und sah in Olivers grinsendes Gesicht. Dieser griff an meine Arme und schob mich von ihm. Oh Gott, dieser Moment würde mich noch mein ganzes Leben immer wieder aus dem Schlaf schrecken. Peinlich.

„Sorry, ich dachte Feya ist es", entschuldigte ich mich und trat noch mehr Schritte zurück, um Abstand zu gewinnen. Plötzlich verschwand sein Lächeln wieder. „Was ist denn mit ihr?", fragte er sofort alarmiert. „Ähm ... äh ... komm erstmal rein", sagte ich und deutete an, dass er reinkommen soll. Er zögerte nicht lang und ging auch direkt zu unserem Sofa durch.

„Oh ich sehe, ihr habt nochmal umgestellt?", fragte er mit Blick auf die veränderte Anordnung der Möbel, aber ohne auf eine Antwort zu warten, kam er wieder auf Feya zurück. „Ja also Feya ...", nervös versuchte ich noch ein wenig Zeit zu gewinnen für eine gute Ausrede und kaute nachdenklich auf meiner. Lippe herum, „Die ... die ist für ein paar Tage mal weggefahren." Ich nickte nachträglich, um meiner Aussage an Gewicht zu verleihen. Doch so enttarnt wie unter seinem Blick hatte ich mich noch nie gefühlt.

„Hava, was ist mit Feya?", harkte er ernst und bedrohlich nach. Ich wurde noch nervöser. Woher wusste er, dass es nicht der ganzen Wahrheit entsprach? „Habt ihr euch gestritten?" „Oh Gott nein", versicherte ich ihm direkt. „Gut, dann sag mir jetzt auch die Wahrheit!", sein Ton wurde bedrohlich, was mich ebenfalls wütend machte. „Das hat dich nicht zu interessieren, Oliver!", knallte ich ihn an den Kopf.

Für seine Hilfe in den letzten Tagen war ich ihm wirklich dankbar, aber das gab ihm noch lange nicht das Recht alles aus unserem Leben zu erfahren oder über alles Bescheid wissen zu müssen.

Einen kurzen Moment starrten wir uns beide einfach nur angriffslustig an. Doch dann atmete er einmal tief ein und aus, worauf hin wir uns beide wieder entspannten. „Sorry, ich hätte mich nicht einmischen dürfen", entschuldigte er sich ruhig. „Schon okay", erwiderte ich, obwohl es mir schon komisch vorkam, dass er so merkwürdig war. Wahrscheinlich hatte er so wie wir auch mit inneren Dämonen zu kämpfen.

„Was wolltest du eigentlich hier?", fragte ich und lenkte so das Thema wieder um. „Ich wollte eigentlich nur mal vorbeischauen, wie ihr voran gekommen seid", antwortete er und kramte nach etwas in seinem Jackett. „Und ich wollte dir das hier vorbei bringen." Er gab mir einen schlicht aussehenden Umschlag. „Oh ... Das ist jetzt aber nicht sowas wie ein Rausschmiss aus der Stadt oder?", scherzte ich. Er schüttelte grinsend den Kopf. Ich zögerte nicht weiter und riss ihn mehr oder weniger liebevoll auf.

Immer wieder überflogen meine Augen die Zeilen, da ich im ersten Moment gar nicht verarbeiten konnte, was das hier in meinen Händen war. „Herzlichen Glückwunsch, zukünftige Angestellte von Palmer Technologies", gratulierte Oliver mir und langsam bahnte sich ein blendendes Lächeln in mein Gesicht.

„Das ist ja der Wahnsinn", sprach ich fassungslos vor Glück aus. „Wieso hast du den Brief eigentlich gehabt?" „Eine gute Freundin von mir leitet das Unternehmen, ich dachte ich könnte dir den Brief einfach schnell vorbei bringen. Ich hoffe das war okay", sagte er und schaute mich prüfend an. „Ja ... Einfach krass", erwiderte ich.

„Also gut", sagte Oliver dann irgendwann und machte sich auf den Weg zur Tür, „Ich wollte mich heute Abend noch mit ein paar Freunden zum Trinken treffen. Vielleicht möchtest du ja mitkommen, um gebürtig zu Feiern?" Ich überlegte nicht lange und stimmte sofort zu. „Ja klar, ich komme gerne mit", stimmte ich zu, „Schade nur, dass Feya nicht hier ist. Ich würde das wirklich gern mit ihr zusammen feiern."

„Was würdest du gern mit mir feiern?", fragte auf einmal Feya, die überraschend auf dem Treppenabsatz stand.

Arrow's BubbleWhere stories live. Discover now