Kapitel 6

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„Lerne aus der Vergangenheit, aber mach sie nicht zu deinem Leben."

Am nächsten Morgen saß ich lächelnd an unserem Esstisch und dachte an gestern Abend zurück. „War schön gestern oder?", fragte mich meine Schwester und erschreckte mich somit. „Ja, ist doch noch ein schöner Abend geworden. Hätte ich wirklich nicht gedacht", gab ich zu.

Zwar war es mir insgeheim ein bisschen unangenehm mit Felicity und John, denn ich kannte sie immerhin nicht. Allerdings stellte sich im Verlaufe des Abends heraus, dass die beiden ziemlich in Ordnung waren.

„Und? Wie sieht es zwischen dir und Oliver jetzt aus?", wollte Hava grinsend von mir wissen. Ich schaute sie verwirrt an. „Naja ... Jeder Blinde erkennt, dass da was zwischen euch ist", lachte sie. Sofort formten sich meine Augen zu Schlitzen. „Da ist nichts und da wird auch nie was sein", erwiderte ich kühl. Vielleicht auch ein bisschen zu kühl. „Na, wenn du das sagst, dann muss das wohl so sein", antwortete sie nur noch, bevor sie sich dann umdrehte und begann sich in der Küche einen Kaffee zu machen.

„Und was machen wir heute?", fragte ich nach einer Weile an sie gewandt. Sie zuckte mit den Schultern, ohne mich anzusehen. „Vielleicht sehen wir uns heute mal ein bisschen hier in der Stadt um." Ich nickte. Das war eine gute Idee. Wir waren nun schon mehrere Tage hier und ich hatte das Gefühl, dass ich von der Stadt noch gar nichts kannte. „Soll ich Oliver fragen, ob er uns die Gegend zeigen kann?", fragte sie und zwinkerte mir dabei dämlich zu. „Nein", entgegnete ich. „Och Feya ... Niemand kennt die Gegend so gut wie er. Er ist immerhin der Bürgermeister!" „Ja, eben der Bürgermeister, der hat bestimmt viel zu tun", antwortete ich. Wieso konnte sie nicht einfach einsehen, dass wir auch mal was ohne ihn machen konnten?

„An einem Sonntag wird er bestimmt nichts wichtigeres zu tun haben, als an seinem langweiligen Schreibtisch zu sitzen, um langweiliger Arbeit nachzugehen", sagte sie und der Sarkasmus war mehr als nur deutlich herauszuhören. „Du wirst ihn doch bestimmt so oder so anrufen oder?", fragte ich geschlagen. Plötzlich sah sie mich nervös an. „Naja ... Ehrlich gesagt hatte ich ihn schon angerufen", gab sie leise zu und vermied es mir dabei in die Augen zu schauen.

„Ich fasse es nicht", rief ich wütend und erhob mich ruckartig vom Stuhl. „Feya ... bitte sei mir nicht böse", flehte sie mich an. „Ich dachte die Vergangenheit hätte dir wenigstens was gelehrt Hava", enttäuscht schaute ich auf sie herab, „Wenigstens auch nur irgendwas, aber anscheinend ist das nicht der Fall." Niedergeschlagen sah sie nun auf den Tisch. Ich konnte nur hoffen, dass sie mal selbst einsehen würde, dass sie nicht immer so handeln konnte. So ... so sicher! „Ich gehe jetzt duschen und überlege mir das mit dem Ausflug nochmal!", verkündete ich ihr und erkannte sowas wie einen Funken Hoffnung in ihren Augen.

Seit mehreren Stunden lief ich nun schon hier durch die Stadt und lauschte den ewig dauernden Vorträgen von Oliver. Tatsächlich hatte ich mich doch noch entschieden mitzukommen. Ich wollte meiner Schwester den Neuanfang nicht noch schwerer machen, als er sowieso schon war. Also lief ich den beiden nun schon seit Ewigkeiten hinter her und versuchte dabei mehr oder weniger interessiert auszusehen.

„Und wie sieht es aus? Habt ihr Hunger?", fragte Oliver an uns gerichtet. „Oh ja, auf jeden Fall", stimmte Hava zu. Plötzlich sahen die beiden mich abwartend an. „Würde es was ändern, wenn ich keinen hätte?", stellte ich die Gegenfrage. Betroffen schaute mich Hava an. Olivers Gesichtsausdruck wurde ernst und er schaute mich kopfschüttelnd an. „Was ist denn nur los mit dir?", wollte er von mir wissen. „Nichts", murrte ich ihn an, „Los, lasst uns gehen." Ich lief einfach Random los, in der Hoffnung, dass sie mir folgen würden und ich so schnell wie möglich wieder nach Hause konnte. Oliver räusperte sich, „Zu den Restaurants geht es in diese Richtung ..."

Wenig später hatten wir drei alle eine Kleinigkeit gegessen und sahen zufrieden aus dem Fenster. Auch ich war zufriedener und meine schlechte Laune war nicht mehr ganz so schlimm. „Ich gehe mal kurz für kleine Mädchen", entschuldigte sich Hava und verließ unseren Tisch. So waren Oliver und ich nun alleine.

„Was ist denn los Feya?", ernst schaute Oliver mich an. In seinem Blick konnte ich erkennen, dass er wirklich von mir verwirrt sein musste. „Nichts", erwiderte ich, so wie viel zu oft heute schon. „Nein, das kannst du dem Typen dahinten erzählen, aber nicht mir. Ich sehe doch, dass irgendwas nicht stimmt." Ich schluckte. „Ich bin sauer auf Hava", gab ich letztendlich kleinlaut zu. „Warum?" „Weil sie ohne mich zu fragen, hinter meinem Rücken einfach irgendwelche Dinge beschließt, obwohl sie doch genau die gleichen Erfahrungen gemacht hat wie ich, Oliver", sagte ich und schaute ihm dabei tief in die Augen, „Da frage ich mich doch, ob sie denn nichts aus der Vergangenheit gelernt hat."

In mir wühlte ein Sturm von den verschiedensten Gefühlen. Ich war mir sicher, dass er das sehen konnte. Er hatte irgendwas an sich, mit dem er die Menschen lesen konnte. „Ach Feya", er lehnte sich gegen die Lehne seiner Bank zurück und sah mich mit einem weichen Blick an. „Ich weiß, was du meinst", begann er zu sprechen, „Ich habe auch die Hölle durchgemacht und auch ich kenne das, was du gerade durchmachen musst. Aber glaub mir eins: Deine Schwester meint es nur gut mit dir." Ich sah ihn unverfroren an. Was soll er schon so schlimmes durchgemacht haben?

Plötzlich lacht er belustigt auf. „Ich kenne deinen Blick", lachte er, „Du fragst dich jetzt: ‚Was soll dieser Typ schon so schlimmes wie die Hölle erlebt haben?' Aber ich kann dir nur immer wieder sagen, auch ich hatte ein anderes Leben, bevor ich Bürgermeister geworden bin." Immer noch konnte ich nicht anders und starrte ihn weiterhin grimmig an.

„Soooo, da bin ich wieder", vernahmen wir beide plötzlich die fröhliche Stimme meiner Schwester. Ihr Lächeln fiel allerdings in sich zusammen, als sie die eisige Stimmung an unserem Tisch bemerkte. „Oh ... Was ist los?", fragte sie und schaute abwechselnd in unsere Augen. „Nichts", antworteten Oliver und ich gleichzeitig, wobei er es nicht so forsch ausdrückte, wie ich.

„Ich würde sagen, dass wir uns jetzt langsam wieder auf den Heimweg machen", sagte er und erhob sich von seiner Bank. „Das glaube ich nicht", ertönte auf einmal eine dunkle gefährliche Stimme, worauf hin zwei Schüsse fielen.

Arrow's BubbleWhere stories live. Discover now