Kapitel 9

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„Denk nicht kaputt, was dir gut tut."

Noch immer ist das SCPD auf der Suche nach der Person, die den Verbrecher Russel zur Strecke gebracht hat. Der leitende Ermittler konnte noch immer nicht ausschließen, dass von dieser Person eventuell auch Gefahr ausgehen könnte. Alle Verkehrswege bleiben deshalb bis auf Weiteres geschlossen", berichtete die blonde Nachrichtensprecherin von Channel 52 gerade.

Seit dem Vorfall waren nun einige Tage vergangen, in denen ich Hava und vor allem Oliver aus dem Weg ging. Hava ging ihrem neuen Job nach und immer wenn ich sie sah, wirkte sie wirklich glücklich. Mittlerweile gab ich ihr still recht, dass es doch eine gute Idee war, einfach hier zu bleiben.

Es war später Nachmittag, als ich hörte, wie jemand seinen Schlüssel in das Türschloss steckte. Hava betrat unseren Wohnbereich und schaute mich mitleidig an.

„Feya ...", sprach sie mich vorsichtig an, nachdem sie ihre Sachen auf der Kommode im Eingang abgelegt hatte. Stur schaute ich auf den Bildschirm des Fernsehers, bekam aber nicht all zu viel von dem mit, was sich darauf abspielte.

„Feya bitte ... schau mich an", flehte sie mich an und aus ihrer Stimme heraus konnte ich erkennen, dass es ihr wirklich ernst war und sie sich wirklich Sorgen um mich machte. Nur wiederwillig richtete ich meinen Blick auf sie.

„Es tut mir leid, wie ich mich dir gegenüber verhalten habe. Wirklich." Eindringlich musterte sie mich. Wahrscheinlich versuchte sie irgendwas aus meinem Gesicht herauslesen zu können.

Es überraschte mich etwas, dass sie sich bei mir entschuldigte, obwohl ich diejenige war, die sich seit Tagen unmöglich benahm. Ich hatte sogar seit dem Vorfall auf dem Sofa geschlafen.

„Nein ... Du brauchst dich nicht entschuldigen", sagte ich und ließ nun Hoffnung in ihr keimen. Ich konnte ihr richtig ansehen, wie sich ihr Blick erhellte, „Es ist ... weiß du ... Ich habe mich so scheiße benommen. Mir tut es leid und eigentlich bin ich diejenige, die sich bei dir entschuldigen muss." Einen kurzen Moment sahen wir uns still an. Dann fielen wir uns wortlos um den Hals.

„Ich bin so froh, dass wir das geklärt haben", sagte sie erleichtert. Ich nickte. Als sie sich wieder von mir löste, wurde ihr Blick jedoch wieder ernst. „Jetzt müsstest du nur noch zu Oliver gehen und ihm von der Sache erzählen, damit ihr das Problem ein für alle mal aus dem Weg räumen könnt."

Innerlich wusste ich, dass ich dieses Problem nur so lösen konnte, aber ich wollte einfach nicht einsehen, dass ich ihm von meinem größten Geheimnis erzählen sollte. Wie würde er reagieren? Was würde er dann machen? Er war immerhin der Bürgermeister und so jemand wie ich, das war einfach nicht normal.

„Mach dir keinen Kopf, Feya. Er wird dich nicht gleich in irgendwelche Versuchsanstalten stecken", versicherte sie mir. „Woher willst du das wissen?", fragte ich.

„Ich weiß es nicht, aber ich spüre es", antwortete sie, stand auf und ließ mich mit meinen Gedanken wieder allein.  Ich hörte, wie sie ins Badezimmer ging und anschließend lief auch schon das Wasser. Mein Blick fiel wieder auf den Fernseher. Experten von Channel 52 versuchten nun schon bestimmt zum tausendsten mal, die Sache auszuwerten.

Das schlechte Gewissen packte mich. All das war meine Schuld, also lag es auch in meiner Verantwortung die ganze Sache aufzuklären. Entschlossen stand ich auf, schnappte mir schnell ein paar Schuhe und öffnete schwungvoll die Tür.

Ein überraschter Oliver ließ seine Hand, mit der er anscheinend gerade anklopfen wollte, wieder sinken. „Oh", gab ich ebenfalls überrascht von mir. „Du bist noch da?", fragte er mich verwundert. Ich nickte, „Wie sollte ich auch von hier wegkommen?", stellte ich die Gegenfrage. Verstehend schaute er mich an.

„Wir müssen reden", begannen wir beide gleichzeitig zu sprechen. Mit einem amüsierten Grinsen deutete er an, ihm zu folgen. Stumm schloss ich die Tür, schrieb Hava schnell eine SMS und folgte Oliver dann in sein Apartment.

Es sah alles noch ganz genau so aus, wie ich es das letzte Mal gesehen hatte. Er hatte anscheinend nicht viel verändert. „Setz dich"; bot er mir an und deutete auf sein bequem aussehendes Sofa. Er nahm gegenüber von mir Platz und sah mich nun eindringlich an.

„Es tut mir leid, wie ich mich benommen habe", entschuldigte ich mich als erstes bei ihm. Eigentlich wäre er derjenige gewesen, der sich bei mir entschuldigen müsste, nachdem er sich so dermaßen unter aller sau benommen hatte.

Ich sah, wie er seinen Kiefer fest aufeinander presste und innerlich wieder mit sich kämpfte. „Ja ... mir tut es auch leid. Ich hätte nicht so ... spöttisch sein sollen." Es fiel Oliver anscheinend nicht sehr einfach, sich bei mir zu entschuldigen. Ich nickte.

Es wurde wieder still. Keiner sagte etwas. Stumm starrten wir uns gegenseitig in die Augen. Er versuchte irgendwas in mir lesen zu können. „Du bist eine Meerjungfrau, habe ich Recht?", sprach er nun das aus, was ich eigentlich ihm so schonend wie möglich beibringen wollte. „Wie bitte", geschockt sprang ich auf und sah ihn fassungslos an. „W-Woher?", fragte ich ihn. Er musterte mich ruhig von unten, antwortete mir aber nicht. „Hava hat es dir erzählt?", schlussfolgerte ich schließlich. Anders hätte er es gar nicht herausfinden können.

Immer noch sagte er nichts. Er machte eher den Eindruck, als würde er gerade ziemlich doll überlegen, wie er mir nun am besten antworten würde.

„Ich fasse es nicht, dass sie mir so dermaßen in den Rücken fällt und es dir einfach so sagt!", aufgebracht wirbelte ich durch die Gegend. Erst als ich seine Hand auf meinem Arm spürte, drehte ich mich wieder zu ihm und schenkte ihm meine Aufmerksamkeit. Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in meinem Inneren breit.

„Hava hat mir nichts erzählt. Ich habe selbst meine Recherchen durchgeführt", erklärte er mir ruhig und gefasst. Wieder sah er mir mit so einem intensiven Blick in die Augen, dass ich automatisch ruhiger wurde. „Du ... du hast es selbst herausgefunden?", fragte ich nun leise nach. Das war für mich noch schlimmer, als wenn er es von Hava hätte, weil das bedeutete, dass jeder an diese Info kommen konnte. Jeder konnte mein Geheimnis enttarnen.

„Hey", sprach er mich sanft an. Seine große warme Hand griff an meine Wange und zwang mich so, den Blick zu heben und ihm somit in sein Gesicht zu schauen. „Keine Sorge ... Niemand wird herausfinden, was du bist", flüsterte er. Meine Gedanken verflogen auf einmal, wie Sand, der durch die Finger rinnt.

Gerade im Moment sprühte er eine so enorme Anziehung aus, dass mein ganzer Körper zu kribbeln begann. Wir standen uns extrem nah. Irgendjemand von uns beiden bräuchte sich nur noch einen Zentimeter nach vorn lehnen und unsere Lippen würden sich berühren.

Ich starrte auf seine Lippen. Sie sahen von Nahem sehr rau und ein wenig trocken aus. Dennoch wünschte ich mir in diesem Moment wirklich nichts sehnlicher, als meine Lippen auf seine zu pressen. Oliver schien den gleichen Gedanken zu haben, denn er legte seinen Kopf leicht schrägt und näherte sich wie in Zeitlupe meinem Gesicht. Sein Atem prellte an meinem Mund ab. Nur noch ein paar Millimeter.

Doch auf einmal zerschnitt das Klingeln seines Handys die Anspannung zwischen uns. „Verdammt", murmelte er leise zu sich selbst und ließ von mir ab. „Das tut mir so unglaublich leid, aber da muss ich rangehen", entschuldigte er sich bei mir und entfernte sich mit großen Schritten, um an sein Handy zu gehen.

Es war richtig so. Ich durfte ihm nicht verfallen. Nicht nachdem ich so eine Enttäuschung zuletzt durchgemacht hatte. Vor allem aber wusste er nun von meinem Geheimnis und hatte mich somit in der Hand.

Noch bevor er das Gespräch beendet hatte, schlich ich mich wieder zurück in mein Apartment.

Arrow's BubbleWhere stories live. Discover now