Nur ein Schatten

Kapitel 36

Dass sie etwas neben sich stand, schoben Jill und die anderen darauf, dass ihre Mutter gerade erst aus dem Koma erwacht war. Brianna ließ sie in dem Glauben. Immerhin konnte sie ihnen nicht von Mrs. Carvers Angebot erzählen.

Jill schlug ihr schließlich auch vor, sich ein paar Tage freizunehmen, um für ihre Familie da zu sein. Zunächst zögerte Brianna noch, aber nach einem Gespräch mit Mrs. Wesley entschied sie sich doch, Jills Vorschlag in die Tat umzusetzen. Nur ihr Beurteilungsgespräch wollte sie nicht verschieben, sie wollte endlich wissen, wie es um die angestrebte Stelle stand.

Diese Anstellung erübrigte sich vermutlich, wenn sie Mrs. Carvers Team beitrat. Dann würde die sich um alles kümmern. Brianna konnte sich immer noch nicht vorstellen, was alles auf sie zukommen würde, daher hatte sie Oliver nach ihrem Gespräch mit Mrs. Carver geschrieben. Noch hatte sie aber keine Antwort.

Um sich abzulenken, beschloss Brianna zu dem chinesischen Supermarkt zu gehen und heute etwas zu kochen. Erst als sie im Laden an der Kasse stand, kam ihr der Gedanke, dass womöglich Margaret bereits gekocht hatte. Zum Glück hatte sie nichts ausgesucht, das schnell verderben würde.

Zu Hause angekommen stellte sie aber fest, dass Josie und ihre Großeltern nicht da waren. Vermutlich waren sie im Krankenhaus. Nachdem sie ihrer Großmutter eine Nachricht geschickt hatte, begann Brianna das Essen vorzubereiten.

Ihre Gedanken kreisten weiterhin um Mrs. Carvers Angebot. Jetzt, da sie ihr Ziel quasi direkt vor sich hatte, war sie sich nicht sicher, ob sie diesen Weg tatsächlich weiterhin verfolgen sollte. Der Kampf gegen Loretta stand ihr noch zu deutlich vor Augen. Trat sie Mrs. Carvers Team bei, würde sie so etwas öfter erwarten und vielleicht würde es nicht jedes Mal so gut ausgehen. Damit bestand auch die Gefahr, dass ihre Familie sie schon viel zu früh betrauern musste.

Dann wiederum bestand diese Gefahr immer. Sie konnte vor einen Wagen laufen oder Opfer eines Raubüberfalls werden. Es gab täglich Straftaten und es bestand immer die Möglichkeit, dass sie irgendwann zu einem der Opfer gehörte.

Brianna war noch zu keiner Entscheidung gekommen, als sie Olivers Antwort auf ihre Nachricht bekam. Er hatte Zeit für ein Treffen, allerdings erst am Donnerstag. Sie schlug vor, dass sie sich Pizza holten und dann irgendwohin fuhren, wo sie in Ruhe reden konnten. Dieses spezielle Gespräch wollte sie nicht in einem Café oder einem Restaurant führen, wo es jederzeit neugierige Ohren geben konnte.

Vielleicht würde ihr nach diesem Gespräch auch die Entscheidung leichter fallen. Oliver hatte sicher einige Informationen für sie und bei ihm traute sie sich auch, all die Fragen zu stellen, die sie Mrs. Carver sicher nicht stellen würde.

Das Essen war noch nicht ganz fertig, als Josie und ihre Großeltern zurückkamen. Josie sprühte vor guter Laune und erzählte ihr von dem Besuch bei ihrer Mutter und ihrem Gespräch mit einer Psychologin, die sie nun zweimal die Woche besuchen würde, um mit ihr über die Entführung zu reden. Ohne zu murren half sie Brianna einen kleinen Salat vorzubereiten und den Tisch zu decken.

Nach dem Essen setzten sie sich zusammen, um noch einen Film zu schauen. Doch richtig konzentrieren konnte Brianna sich nicht. Ihre Gedanken drehten sich wieder um Mrs. Carvers Angebot und sie sehnte den Donnerstag herbei.

„Und irgendwie weiß ich jetzt nicht, was ich machen soll. Einerseits will ich und andererseits nicht, weil ich Angst habe und mich das grad völlig überfordert." Brianna wies mit ihrem Pizzastück auf Oliver, der leicht lächelte.

„Ich hab mich ähnlich gefühlt, als Marcia damit auf mich zukam", gab er zu. „Sie ist eine Freundin meiner Tante und wusste schon länger von meinen Fähigkeiten. Über die beiden bin ich dann auch offiziell zu SHIELD gekommen. Sonst hätte ich mich anderweitig umgesehen." Er nahm sich ein weiteres Pizzastück. „Natürlich kann ich nur für mich sprechen. Ich bereue es nicht. Das Training ist hart, ja. Vielleicht kommt es mir auch nur so vor, weil ich vorher nichts in dieser Art gemacht habe und auch wenig Sport getrieben hab. Ansonsten aber ... ich mein, schau nur mal in die Nachrichten."